Köln – Kleiner Umschlag heißt Zusage, heißt Ende der Suche, heißt Glück. Großer Umschlag heißt Absage, heißt: Das Drama geht weiter. Janneke hat Angst vor großen Umschlägen. Die Neunjährige aus Sülz gehört zu den 400 Kindern, die nicht an dem gewünschten Gymnasium einen Platz bekommen haben. Es hat auch im zweiten Versuch nicht geklappt. Ende April flatterte wieder ein großer Umschlag ins Haus. Der Anmeldeschein für die nächste Runde der „Schullotterie“ war mit dabei. „Es sind viele Tränen geflossen“, sagt ihre Mutter Swantje Heinemeier.
Warum werden Plätze verlost?
Wie berichtet, hat die Stadt Köln das Anmeldeverfahren für die Gymnasialanmeldung im laufenden Betrieb geändert. Statt wie früher Erst- und Zweitwunsch, wurde nur noch die Erstanmeldung registriert (in 3440 Fällen erfüllte sich der Wunsch). Die zweite Wahl entfiel, Eltern bekamen eine Liste mit 14 Schulen zugeschickt, auf die sie ihr Kind anmelden konnten. Und dann entschied an vielen Schulen das Los. Ergebnis: Rund 50 Kinder mussten erneut eine Absage hinnehmen. Für sie blieben zuletzt sechs Schulen übrig: Heinrich-Mann-Gymnasium, Chorweiler (32 Plätze freie Plätze), Thusnelda, Deutz (24), Heinrich-Heine, Ostheim (21), Genoveva-Gymnasium, Mülheim (20), Maximilian-Kolbe, Porz (11) und Dreikönigsgymnasium in Bilderstöckchen (5). Die Stadt will sich am Mittwoch zu der Verteilung äußern.
Was sagen die Eltern?
Sie laufen Sturm und haben sich längst organisiert. Nach einer Demonstration vor dem Rathaus hat die Initiative „die-abgelehnten.de. Verantwortliche Schulpolitik jetzt!“ einen offenen Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) geschrieben (siehe Infotext). „Das Verfahren ist unmöglich, man sollte es sofort stoppen“, sagt Vater Olaf Wittrock. Sein Sohn Benjamin ist in der ersten Runde abgelehnt worden, in der zweiten hat er Glück gehabt. Er hat eine Schule im eigenen Veedel gefunden. Was den 44-Jährigen aufbringt: Die Probleme der fehlenden Schulplätze sind seit Jahren bekannt. Ausgerechnet in der Corona-Phase, in der es ohnehin schwerer sei, eine Schule auszuwählen, ändere die Stadt das Verfahren. Das aber sei eine Farce. „Es produziert nur Verlierer. Was hier passiert ist eine Schande für diese Stadt.“ Das Schlimme: „Niemand will Verantwortung übernehmen. Also hoffen wir, dass die Oberbürgermeisterin sich endlich äußert.“
Wie erleben die Kinder das Verfahren?
Einige erleben die ganze Härte des Auswahlprinzips und der verfahrenen Kölner Schulpolitik. Schon im Januar hatten tausende Familien ihre Kinder an Gesamtschulen angemeldet. 700 bekamen eine Absage. Sie mussten sich anderweitig orientieren – etwa auf dem Gymnasium, und kassierten dort teilweise die nächsten Absagen.
Janneke aus Sülz etwa hatte sechs Freundinnen, mit denen sie gerne auf eine weiterführende Schule gegangen wäre. „Auch wenn es nicht mit allen geklappt hätte, aber wenigstens mit ein oder zwei Freundinnen den neuen Abschnitt zu starten, wäre doch schön gewesen“, sagt Mutter Swantje Heinemeier. Drei bekamen den Zuschlag für ihr Wunschgymnasium, die anderen drei bekamen an anderen Schulen irgendwo in der Stadt einen Platz. Janneke nicht, es kam der große Umschlag. „In einem Umkreis von 1,5 Kilometern gibt es drei Gymnasien. Und es ist nicht möglich, dort einen Platz für sie zu bekommen? Das ist schon traurig.“ Für „moralisch sehr zweifelhaft“ hält ihr Vater, Lars Gräßer, das Verfahren. „Das Verlosen der freien Plätze mag rechtlich zulässig sein, aber es ist auch ein Verlosen von Biografien und Freundschaften.“ Wittrock spricht von „Psychoterror, das Verfahren sei „unmenschlich“, weil den Kindern wiederholt das Gefühl gegeben werde, sie seien nicht erwünscht.
Wie geht es nun weiter?
Der Großteil der 50 Kinder kommt laut Eltern aus dem Südwesten der Stadt. Sie dürften sich vor allem auf die 24 Plätze am Thusnelda-Gymnasium in Deutz gestürzt haben. Rund die Hälfte wird also wieder eine Absage bekommen. Und dann? Folgt eine vierte Vergabe? Freie Plätze gibt es unter anderem an Schulen in Chorweiler, in Porz oder Ostheim. Das bedeutet nicht nur beträchtliche Anreisen durch die Stadt. „Die Kinder kennen dort nichts und niemanden, sie sind dort fremd “, sagt Wittrock. „Es gibt eine Mehrklasse in Chorweiler. Was soll die bringen?“
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Was er fordert: Dass sich die Stadt mit ihren Schulleitern an einen Tisch setzt und nach Lösungen sucht, so wäre die Uni bereit, mit Räumen zu helfen. Auch die Eltern bräuchten Unterstützung. Zwar seien ihnen Gespräche im Amt für Schulentwicklung angeboten worden, doch die seien keine Hilfe gewesen. „Uns wurde nur gesagt, was wir ohnehin schon wussten“, sagt Heinemeier.
Sie hat mit ihrem Mann die Dinge selbst in die Hand genommen, wie einige andere Eltern auch. Einige wurden an Gymnasien in Hürth vorstellig und bekamen dort einen Platz. Janneke besucht ab dem Sommer die katholische Ursulinenschule. Die Familie ist froh, das städtische Verfahren verlassen zu können. Und Janneke? Sie findet es „super“, dass sie ihren Schulplatz sicher hat.
Sie weiß ja nun, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.
Mehr zum offenen Brief der Eltern
700 Eltern haben für die Initiative „die-abgelehnten.de. Verantwortliche Schulpolitik jetzt!“ einen offenen Brief an die Oberbürgermeisterin unterzeichnet. Darin heißt es:
„Wir sind empört und erschüttert über dieses Vorgehen. Die Verwaltung lässt die Kinder und Eltern mit der Schulplatzsuche völlig allein. Sie entzieht sich jeder Verantwortung für einen einigermaßen vernünftigen Ausweg aus der durch die Stadt selbst verschuldeten Mangelsituation.“ An Oberbürgermeisterin Reker richtet die Initiative fünf Forderungen:
1 „Stoppen Sie dieses unwürdige Verfahren. Sorgen Sie dafür, dass die Kinder dieser Stadt nicht wieder und wieder in Losverfahren getrieben werden.“
2 „Rufen Sie alle Betroffenen und Beteiligten an einen Tisch und dort zur Räson. Steuern Sie persönlich einen anderen Vergabeprozess, mit Pragmatismus, Vernunft und dem Willen zur Lösung dieser Krise.“
3 „Schaffen Sie in gemeinsamer Anstrengung zusätzliche Schulplätze. Und zwar dort, wo sie auch nachgefragt werden. Richten Sie noch in diesem Schuljahr eine weitere Mehrklasse im Südwesten ein.“
4 „Schließen Sie einen Pakt für Schülerinnen und Schüler. Beschleunigen Sie den Schulbau.“
5 „Handeln Sie ohne Verzögerung. Damit die Kinder so schnell es geht Sicherheit haben.“ (mft)