Köln – Bremsen! Um Himmelswillen, in die Eisen! Die Reifen qualmen. Eine weiße Fahne zieht hinter dem Ford her, als wollte sich der Fahrer ergeben. Mag der Fahrer auch das Schlimmste mit seinem Bremsmanöver verhindert haben, gänzlich ist das Unheil nicht mehr abzuwenden. Immerhin noch 35 Stundenkilometer zu schnell brettert er in die Radarfalle. Was ihm dabei reichlich egal sein dürfte: Er ist nun Teil der Kölner Verkehrsgeschichte. Als einer der ersten wird er von einem Starenkasten der Stadt Köln geblitzt.
Vor 30 Jahren wurden erstmals drei „Fotoregister- und Geschwindigkeitsmessanlagen“ unter der Regie der Stadtverwaltung in Betrieb genommen. Eine Geschichte voller Misstrauen, Emotionen, Machtspiele und Geld. Viel Geld. Der Auslöser: Mitte 1990 ändert die NRW-Landesregierung das Ordnungsbehördengesetz. Fortan ist es Kreisordnungsbehörden möglich, fest installierte Geschwindigkeitskontrollgeräte aufzustellen.
Starenkästen sorgen für Emotionen
Bisher blitzte allein die Polizei. Nun zieht Köln nach, als erste Großstadt in NRW. Aber erst einmal mit nur drei „Fotoregister- und Geschwindigkeitsmessanlagen“. Allerdings werden 21 Standorte für die Starenkästen ausgemacht. Die Technik wird wechselweise in sie eingesetzt. „Nach dem Zufallsprinzip“, so steht es ausdrücklich in einer Anordnung der Stadtverwaltung. Welcher „Blitzer“ ist gerade scharf geschaltet? Der Autofahrer soll sich nie sicher sein.
Jedoch, es steigt die Ahnung auf, dass die Starenkästen Emotionen auslösen könnten. Die Presse müsse mit eingebunden werden. Die Standorte sollen einer breiten Öffentlichkeit bekannt gegeben werden, „da die Stadt Köln nicht beabsichtigt, Fallen aufzustellen“, heißt es in einem Aktenvermerk. Auch brauche es Augenmaß. Es dürfe keine „kleinliche Verfolgung von Geschwindigkeitskontrollen“ stattfinden. Der Toleranzwert: 10 km/h. So nehmen die ersten städtischen Blitzer im Februar 1991 ihre Arbeit auf.
Transparenz und Toleranz
Sollten die Ordnungshüter gehofft haben, so Emotionen zu dämpfen, sie sollten sich täuschen. Gewaltig. Kaum stehen die Blitzer, wird ihre Funktionsweise in Zweifel gezogen. Ach was, ein Feldzug beginnt. „Immer wieder kommen Bedenken wegen der Zuverlässigkeit auf“, schreibt der ADAC in einer Mitteilung. Bei Vergleichsmessungen habe es erhebliche Abweichungen gegeben. Gerade bei dem in Köln verwendeten System. Der Club rät, Einspruch einzulegen, sollte ein Bußgeldbescheid ins Haus flattern.
Oh ja, es gibt sie, die Fälle von Fehlmessungen. Schon kleinste Missgeschicke führen dazu, wie in einem Bericht der Kölnischen Rundschau von damals nachzulesen ist: „Techniker hatten ein Lattenrost über die Messstelle gelegt. In einem anderen Fall wurde der Asphalt zwischen den Fühlern aufgerissen.“ Das Innenministerium des Landes schaltet sich ein. Wenn solche Bagatellen schon die Messungen verzerren, dann kann der Innenminister gar nicht anders: Er empfiehlt laut Rundschau-Bericht, „die Messanlagen in der bisherigen Ausführung nicht mehr zu betreiben“.
Blitzer in Zahlen
48 Blitzer betreibt die Stadt Köln heute. Die Blitzer der ersten Stunde wurden alle verschrottet, bis auf ein Exemplar, das auf einem Amtsflur steht (Foto). Die heutigen Blitzer sind zwischen drei und 16 Jahren alt. 11,7 Millionen Euro hat Köln in 2019 durch Buß- und Verwarngelder in Folge von rund 580 000 geblitzten Verstößen eingenommen.
Kölns Ordnungsamtsleiter Dr. Günther Bäumerich ist auf dem Baum. Nach einer Krisensitzung diktiert er den Reporten in die Blöcke: „Der Ministererlass ist vollzugsuntauglich. Wir werden den Minister auffordern, den Erlass zu revidieren.“ Düsseldorf fährt im Gegenzug die Physikalisch-Technische Bundesanstalt auf. Versuchsreihen werden angeordnet. Im Kreis Borken werden unter Augenschein der Dekra, der Justizbehörden und der Kommunen „in eine Messstelle Latten und Kabel eingebracht“. Ein Experte des Blitzer-Herstellers soll dem Vernehmen nach dabei versichert haben, es bräuchte schon tektonische Verschiebungen, um grobe Messverzerrungen zu erzeugen. Statt Erdbeben ein Kompromiss: Die sogenannte Messstrecke, also die beiden im Asphalt eingelassenen Messkabel, werden um 0,5 Meter versetzt. Nach sieben Tagen Pause sind die Kölner Blitzer modifiziert und wieder in Betrieb.
Kampf gegen die Blitzer
Doch die Diskussion öffnet die Büchse der Pandora. Der Mob tobt. Aus einem Protokoll des Ordnungsamtes: „21.3. 91: Anschlag mit Schusswaffen auf Standort 08.“ „21.5.91: Brandanschlag auf Standorte 18 und 19.“ „10.10.91: Anschlag auf Starenkasten 16, vermutlich mit Lkw.“ Soweit das große Kaliber. Das kleine: Wackersteine, Farbbeutel und Kaugummi. Kaum der Rede wert: Unmutsbezeugungen direkt ins Objektiv.
Was das Blut der Autofahrer kochen lässt, ist letztlich der Erfolg der Anlagen. In einer Prognose vor Einführung ging die Verwaltung von 40 000 Geschwindigkeitsverfahren im Jahr aus. Knapp daneben. Allein auf der Inneren Kanalstraße löst einer von zwei dort stehenden Blitzern zwischen Februar und September 1991 über 120 000 Mal aus. Ein unerwarteter Geldsegen für die Stadt. 40,47 DM pro Verwarnung, 95,76 DM pro Bußgeld. Die Anschaffungskosten von rund 1,3 Millionen Mark haben sich schnell amortisiert.
40 Prozent der Geblitzten sind Kölner. Zu 94 Prozent sitzen Männer hinterm Steuer. Die Zahlungsmoral ist erbärmlich. Nur 77 Prozent der Verkehrssünder bezahlt. Die Stadt Köln überlegt, was getan werden kann. Die Lösung: Fortan wird das Foto mitgeschickt. Der In-flagranti-Effekt greift.
Werden Misstrauen, Emotionen und Geldsegen mal beiseite gelassen, ist der Blick frei für die Fakten – und die sprechen durchaus für die Blitzer. Auf der Aachener Straße kam es 1989 zu neun Unfällen wegen überhöhter Geschwindigkeit. Zwischen Februar und September 1991, also mit Starenkasten, kommt es zu keinem Unfall mehr, der auf Rasen zurückzuführen wäre. So auch am Holzmarkt, an der Inneren Kanalstraße, an der Universitätsstraße, vorm Colonia-Haus, am Bergischen Ring und der Industriestraße.
Warum also nicht zum großen Schlag ausholen. Aus einer ersten Bilanz der Verwaltung zu den Blitzern: „Da aber fast auf jeder Straße zu schnell gefahren wird, und nicht ganz Köln mit stationären Anlagen regelrecht zugepflastert werden kann, muss die gesetzliche Möglichkeit geschaffen werden, dass die Kreisordnungsbehörden auch mit mobilen Messgeräten Geschwindigkeitskontrollen durchführen können.“
Der Autofahrer also allein auf breiter Front? Nicht ganz. Das Antiblockiersystem kommt auf. Es verringert den Bremsweg auch vor Starenkästen und verhindert qualmende Reifen.