Köln – Reimar Molitor kennt rheinische Befindlichkeiten. Der frühere Geschäftsführer der Regionale 2010 weiß, wie der Kölner tickt und dass der Rhein für ihn unverzichtbar ist. Bernd Imgrund sprach mit ihm.
Direkt neben dem Bürohaus in der Rheingasse verlädt das Brauhaus Malzmühle seine Fässer. Anlass genug für eine erste Frage an Reimar Molitor, den Geschäftsführer des Kommunalvereins Region Köln/Bonn.
Was kann eine traditionelle Biermarke wie Mühlenkölsch für eine Stadt, eine Region leisten?
Brauereien sind wichtige Orte, quasi DNA-Material der Stadt. Die Kölner Innenstadt kann man sich auch anhand von Brauereistandorten erschließen. Für mich war die Malzmühle auch schon in meiner Jugend wichtig. Hier bin ich mit meinen Freunden aus dem Bergischen gern hingefahren. Ich finde bis heute, dass Mühlen das leckerste Kölsch ist.
Über die kommunale Grenze weg
Es gibt Bundesländer, Städte, Dörfer. Was zeichnet demgegenüber eine Region aus?
Vor allem geht es um den gemeinsamen Lebenszusammenhang von Menschen. In Köln ist der starke Veedelsbezug auffällig. Und je mehr Luft man unter die Flügel bekommt, je älter man wird, desto eher geht die Wahrnehmung dann auch darüber hinaus. Denken Sie an die Begegnungen in Sportvereinen, an das Pendeln während der Ausbildung oder für den Beruf – das geht fast immer über die kommunale Grenze hinweg.
Was verbindet die Region Köln/Bonn, etwa im Gegensatz zum Ruhrgebiet?
Die klare Ausrichtung auf die dicken Hunde hier am Rhein, sprich: Köln und Bonn, auch Leverkusen. Andere Regionen drehen sich um einen zentralen Solitär, also um München, Hamburg oder Berlin. Hier jedoch haben wir zwei bis drei Pole, deren Herzen mehrmals am Tag ganz stark pumpen. Die Kölner realisieren gar nicht in ausreichendem Maße, wie intensiv das Umland, die weitere Region auf diese Stadt ausgerichtet ist. In Bezug auf die Arbeitspendler ebenso wie als Einkaufsmetropole, wegen Kulturveranstaltungen oder FC-Spielen.
Zur Person
Reimar Molitor wurde 1968 geboren, wuchs in Kürten auf und überquerte am Wochenende regelmäßig den Rhein auf dem Weg ins „Popocatepetl“ in der Südstadt. Nach dem Abitur studierte er Geografie in Münster, auf das Diplom 1996 folgte 1999 die Promotion zum Doktor der Naturwissenschaften. Von 2004 bis 2012 fungierte er als Geschäftsführer der Regionale 2010, die in Köln Projekte wie den Deutzer Rheinboulevard und die Archäologische Zone mit anstieß.
2007 stieg er als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied bei der „Region Köln/Bonn“ ein. Der Verein wird unter anderem getragen von den Städten Köln, Bonn, Leverkusen sowie den anrainenden Landkreisen.
Reimar Molitor lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Wipperfeld, genau auf der Grenze zwischen dem Rheinisch-Bergischen und Oberbergischen Kreis.
www.region-koeln-bonn.de
Gäbe es diese Region auch ohne den Rhein? Ist sie überhaupt denkbar?
Nein. Der Rhein ist das Rückgrat, und seine Zuflüsse bilden so etwas wie den Brustkorb der Region. Ich sage immer, die Erft, die Dhünn oder die Sieg tragen zwar diese Vornamen, aber mit Nachnahmen heißen sie alle „Rhein“.
Einer Ihrer ersten Jobs nach dem Studium führte Sie 1997 nach Irland. Was haben Sie dort gemacht?
Da habe ich in einer Benediktinerinnen-Abtei in Connemara geholfen, den viktorianischen Garten wiederherzustellen. Ein englischer Industrieller hatte dort seiner Geliebten ein Traumschloss gebaut, aber mit den Jahrzehnten war der einst traumhafte Zier- und Nutzgarten verwildert.
Sie sind also en passant auch noch Gartenbauer?
Nein, aber ich habe EU-Gelder und deutsche Gartenexperten organisiert, die sich dort an die Arbeit machten. Das Projekt läuft bis heute. Im Jahr kommen nun mehr als 100 000 Touristen, und die Nonnen sind offenbar sehr zufrieden. Jedenfalls habe ich dort Wohnrecht auf Lebenszeit.
Sie waren zunächst ein halbes Jahr in Irland. Was haben Sie mitgenommen?
Nicht zuletzt meine Frau, die ich ein paar Tage vor Ablauf der Zeit auf einem Konzert im Süden der Republik kennengelernt habe. Bald nach der Rückkehr habe ich meine Zelte in Deutschland zunächst abgebrochen und dann insgesamt für vier Jahre in Irland gelebt.
Köln und Cork sind Partnerstädte. Passt das?
Ja. Katholische Gegenden, beide Völkchen feiern und singen gerne. Ich sehe auch eine Seelenverwandtschaft in Bezug auf die Gelassenheit, oder sagen wir sogar: die Leidensfähigkeit der Iren und Kölner. Man ist hier wie da recht gut darin, mit dem vorlieb zu nehmen, was man eben vorfindet. Das beschreibt ja auch Böll schon in seinem Irischen Tagebuch.
Der Region geht es außerordentlich gut
Dennoch kritisieren Sie zuweilen die Passivität vieler Menschen im Vertrauen darauf, dass der Staat, „die Obrigkeit“ alles regele.
In Deutschland insgesamt herrscht eine unglaublich hohe Erwartungshaltung gegenüber dem System. Was hier als „normaler“ Standard angesehen und permanent verlangt wird, ist im internationalen Vergleich exorbitant hoch. Die Ansprüche an den Staat steigen deshalb nicht selten ins Maßlose, wodurch die Menschen in ihrer eigenen Verantwortung für das Gemeinwohl gleichzeitig immer fauler und träger werden. Das Gejammer hierzulande ist schwer zu ertragen für mich. Der Vergleich mit Irland sowie anderen EU-Staaten und ihrer deutlich schwächeren Infrastruktur hilft mir: Ich erkenne immer wieder aufs Neue, wie außerordentlich gut es um uns hier in der Region bestellt ist.
Sie haben 1999 über „Nachhaltige Regionalentwicklung“ promoviert. Ist „Nachhaltigkeit“ weiterhin eine wichtige Vokabel für Sie.
Auf jeden Fall, wobei ich inzwischen lieber von Balance rede. Es muss immer nach einer Balance gesucht werden zwischen Zentrum und Umland, zwischen Wachstum und Umweltschutz, Arm und Reich und so weiter. Eine Region sollte arbeitsteilig organisiert sein wie eine Fußballmannschaft. Die kann auch nicht aus elf Linksfüßlern oder elf Kopfballungeheuern bestehen, sondern braucht versierte, sich ergänzende Talente.
Dann mal konkret: Sollte man die heiß diskutierte Braunkohleförderung auf der Stelle beenden oder sogar noch ausbauen?
Der laufende Umbau- und Auskohlungsprozess sieht feste Zeitrahmen vor, und das ist auch in Ordnung so. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, zusätzliche Siedlungen plattzumachen. Interessant wird schon jetzt mit Blick auf die Zeit danach: Da entstehen Seenlandschaften so groß wie der Chiem- oder Tegernsee direkt vor den Toren Kölns. Wir reden da über Tiefen bis zu 500 Metern, das sind gewaltige Dimensionen für die westliche Rheinschiene.
Wie sieht es mit der Balance zwischen Links- und Rechtsrheinischem aus? Die Bahn hat gerade verlauten lassen, dass sie an einem zweiten Standort in Deutz nicht interessiert sei.
Auch national betrachtet ist das eine Sauerei. Wir müssen weg von den überforderten Nadelöhren, Verkehre müssen entflochten werden. Und dafür wäre Deutz, verbunden mit einem Shuttle zum Hauptbahnhof, perfekt geeignet. Das gleiche gilt im übrigen für Bonn/Siegburg und Düsseldorf/Neuss.
Viel Positives in der Region geschafft
2004 bis 2012 haben Sie die Regionale 2010 geleitet, ein Riesen-Projekt zur Entwicklung von Köln und Umland. Wie sieht mit gewissem Abstand Ihr Resumee aus?
Sehr gut! (lacht) Nehmen wir die Verwaltungsebenen: Wie sollen Köln und etwa Bergisch Gladbach konkret zusammenarbeiten, wenn die Verwaltungsleute hier und dort sich nicht kennen, oder womöglich sogar nicht mögen. Da gibt es seit der Regionale ein viel stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl der verschiedenen Kommunen unter- und miteinander. Weil eben so viel passiert ist.
Auf welche Resultate sind Sie besonders stolz?
Nehmen Sie das neue Erscheinungsbild des Drachenfels – da ist ungeheuer viel geschehen seit dem Abriss des alten Betonklotzrestaurants. Auch der inzwischen so beliebte Rheinboulevard wurde von uns angestoßen – durchaus gegen massiven Widerstand zu Anfang.
Wo sind Sie gescheitert?
Am Altenberger Dom, voll und ganz. Da gab es einen kompletten Entwicklungsplan für das Areal rund um den Dom und sein Umfeld, bis zum Parkplatz am bekannten Märchenwald. Das ist ein regional ausgesprochen bedeutender Ort, an dem weiterhin hoher Investitionsbedarf besteht. Es tut mir bis heute in in der Seele weh, dass dort nichts geschehen ist.
Visionen für Köln existieren en masse, da ist der Kölner gut drin. Was sehen Sie als wünschenswert und praktikabel an?
Was läuft und großen Einfluss haben wird, ist der Umbau des Deutzer Hafens. Das wird ausstrahlen ins ganze Rechtsrheinische, zugleich werden die beiden Rheinseiten dadurch ein Stück weit zusammenwachsen.
Der Deutzer Hafen hat gegenüber dem Rheinauhafen den Vorteil, keine vier- bis sechsspurige Rheinuferstraße direkt im Rücken zu haben.
Genau. Das ist derzeit das größte innerstädtische Konversionsgelände in ganz Deutschland, viel größer – und in seiner Szenerie viel dramatischer – als der Potsdamer Platz in Berlin zum Beispiel.
Können Sie angesichts Ihrer Arbeit und Ihres Wissens eigentlich noch entspannt spazieren gehen, sei es in der Stadt oder auf dem Land?
Nicht wirklich, das nervt auch meine Familie manchmal gewaltig. Ich kann mich nicht als normaler Ausflügler bewegen, sondern stehe dabei immer zugleich auf unseren Entwicklungsprojekten. Am entspannendsten ist es dann noch, zum Fußball zu fahren.
Welcher Verein?
Leverkusen, klar! Mütterlicherseits komme ich aus einer Werkskolonie von Bayer. Mein Großvater war 44 Jahre Chemiearbeiter im Werk, 66 Jahre im Verein. Ich selbst habe auch immer und überall Fußball gespielt, wo ich lebte. Auch in Irland bin ich sofort in einen Fußballverein eingetreten.
Dabei ist in Irland doch der Gaelic Football, diese wilde Mischung aus Fußball und Rugby die Nummer Eins.
(lacht) Habe ich einmal gespielt, genau fünf vielversprechende Minuten lang. Ich erinnere mich an die erste Spielszene mit mir im Mittelpunkt, und dann bin ich im Krankenhaus wieder wachgeworden. Mit Verdacht auf Schädelbasisbruch.