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Interview

Profi-Kletterin aus Köln
„Klettern ist für mich die natürlichste Art der Fortbewegung“

Lesezeit 7 Minuten
Hoch hinaus soll es auch bei Olympia 2024 in Paris für Hannah Meul gehen.

Hoch hinaus soll es auch bei Olympia 2024 in Paris für Hannah Meul gehen.

Hannah Meul ist Profi-Kletterin und startet für Deutschland bei Olympia. Über Sport, Erwartungsdruck und Perfektionismus spricht sie mit Bernd Imgrund.

Im Ehrenfelder Café Franck ist nur noch ein Eckbänkchen frei. Da sitze sie sowieso oft, sagt Hannah Meul, weil man dort ungestört lesen könne.

Was macht im Training überhaupt keinen Spaß?

Schwierig ist es mit den Fingerkuppen. Durch die Beschichtung der Klettergriffe entsteht Reibung. Manchmal reißt die Haut auf, dann muss man pausieren.

Fürs Klettern braucht man Kraft. Aber Sie müssen auch kreativ sein.

Beim Klettern ist jede Route, jeder Boulder anders. Das heißt, jeder Teilnehmer sucht sich seinen eigenen Weg. Ich vergleiche das gern mit einer Choreo oder auch mit einem Puzzle, das man lösen muss.

Hannah Meul in Aktion

Hannah Meul in Aktion

Sie dürfen Ihren Konkurrentinnen also nicht zusehen, wie sie die Aufgabe lösen?

Im Wettkampf nicht. Da kommt man vorher in die Isolationszone und gibt sein Handy ab. In der Halle dann sieht man den Boulder das allererste Mal. Mir kommt das entgegen, weil es mich eher rausbringt, wenn ich anderen zusehe.

Haben Sie Ticks und Tricks, um Ihre beste Leistung abzurufen?

Ich bin am besten, wenn ich Freude habe. Ich richte mich sozusagen nach der Sonne, egal wie schlecht es läuft. (lacht) Manchmal denke ich vorm Wettkampf an ein Lied − Don´t stop me now von Queen beispielsweise.

Sport bedeutet Spannung − lesen Sie gern Krimis?

Schwierig, weil ich eine so lebhafte Fantasie habe. Nach Krimis schlafe ich schlecht ein. Ewald Arenz und Mariana Leky mag ich sehr gern.

Und wenn Sie in acht Metern Höhe an der Kletterwand baumeln, haben Sie keine Angst?

Nein. Klettern ist für mich die natürlichste Art der Fortbewegung. Als Kind bin ich auf alles geklettert − auf jeden Baum, jede Mauer. Wenn ich heute an alten Gebäuden vorbeigehe, studiere ich die Struktur, und es kribbelt mir in den Fingern, daran hochzuklettern.

Sie haben schon als kleines Kind in Freundschaftsbücher geschrieben, dass Sie Profikletterin werden wollen.

Zum Klettern hat mich meine Schwester gebracht. Meine erste Kindergruppe leitete dann ausgerechnet Lara Salzer, die Schwester des erfolgreichsten deutschen Kletterers aller Zeiten, Jan Hojer.

Haben Sie sofort Feuer gefangen?

Ich hatte schon immer meinen eigenen Kopf. Lara hat mein Potenzial gesehen, aber sie musste mich erstmal locken. Sie hat mich zum Beispiel mit Kaffeekeksen dazu gebracht, vorgegebene Routen zu trainieren. An Wettkämpfen wollte ich zuerst nicht teilnehmen. Aber nach meinem ersten Kids-Cup wusste ich, dass ich Profikletterin werde.

Wie sah es mit Reiten, Hockey und den klassischen Mädchenhobbys aus?

Ich habe im Kindergarten Ballett getanzt. War toll, das Körpergefühl hilft mir heute beim Klettern enorm.

Bouldern betreibt man ohne Sicherung in bis zu vier Metern Höhe. Hatten Sie Unfälle?

Beim Klettern nicht, ich fühle mich in der Wand sicherer als beim Laufen im Alltag. Einmal bin ich aus dem Supermarkt raus, bin umgeknickt und hatte einen Bänderriss. Als Profikletterer weiß man, wie man fallen muss. Das läuft intuitiv, wie bei einer Katze.

Beim Lead wiederum, das bei Olympia in Kombination mit Bouldern betrieben wird, geht es mit Sicherung in bis zu zwanzig Meter Höhe.

Dementsprechend mehr Kraft und Ausdauer braucht man dabei. Außerdem hat man beim Bouldern mehrere Versuche, während man beim Lead nach einem Abrutschen ausgeschieden ist. Das erfordert noch einen Tick mehr Fokussierung.


Zur Person

2001 wurde Hannah Meul geboren und wuchs in Frechen auf. Mit sieben Jahren begann sie zu klettern und errang schnell Erfolge. Im Alter von zehn Jahren bestritt sie ihren ersten Wettkampf. Unter anderem gewann sie 2022 eine Silbermedaille bei der Europameisterschaft in München. Auch bei Weltcup-Wettkämpfen stand sie mehrmals auf dem Treppchen. Ihre Disziplinen sind das Bouldern (ohne Sicherung, bis etwa vier Meter) und Lead (mit Sicherung, etwa 20 Meter), die bei Olympia als Kombination ausgetragen werden. Die Weltspiele in Paris in diesem Sommer sind ihr großes Ziel. Seit dem Wintersemester 2020/2021 studiert Hannah Meul Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule Köln. Sie wohnt in Ehrenfeld.


Sollte Klettern Schulsport sein?

Unbedingt. In der Wand ist man ganz im Moment, ganz bei sich. Beim Lead kommt das Vertrauen in den Partner hinzu, der einen unten sichert. Der hält mein Leben in seinen Händen, auch das ist eine wichtige Erfahrung. Aus Vertrauen entsteht Selbstvertrauen, das ist die Basis, um über sich hinauszuwachsen.

Inwiefern?

Beim Klettern lernt man, dass es nicht nur einen Weg gibt, sondern viele. Du kannst dir deinen eigenen suchen − wie im Leben.

Leistungssportler sind Individualisten. Warum studieren Sie Sozialarbeit?

Ich habe ein großes Harmoniebedürfnis und teile meine Liebe gern mit anderen Menschen. Meine Eltern und meine Schwester sind Pädagogen, und bei mir könnte es zum Beispiel auf Therapeutisches Klettern hinauslaufen. Mit Kindern zu arbeiten und ihnen meine Erfahrungen zu vermitteln, wäre ein Traum.

Hin und wieder modeln Sie auch.

Ich stehe gern vor der Kamera und bin auch in den Sozialen Medien sehr präsent. Das gehört zu meinem Beruf, finde ich. Auch Produkten kann man seine Persönlichkeit verleihen.

Kekse, Brot und Bier fallen schonmal weg.

Genau, das geht nicht. Zu Hannah passen Blumen, Sonne, aber auch Schmuck, Backen oder Yoga.

In der Halle scheint keine Sonne. In welchem Verhältnis steht das Indoor-Klettern zum Klettern in der Natur?

Ursprünglich war Plastikklettern, wie wir sagen, das Training fürs Felsklettern. Inzwischen sind daraus eigene Sportarten erwachsen − Bouldern, Lead und Speed etwa.

Reizt Sie der Mount Everest?

Das ist ja dann Extrembergsteigen. Ich würde unheimlich gern mal eine Expedition mitmachen. Letztes Jahr bin ich mit einer Gruppe ein bisschen an die Eiger-Nordwand geklettert und über einen Gletscher gelaufen. Das war ein Traum, ein ganz großartiges Erlebnis. Vielleicht intensiviere ich das nach meiner aktiven Wettkampfkarriere.

Sie kommen aus Frechen. Gibt es da Berge?

Unsere höchste Stelle ist der Rote Stein auf dem Sandberg, ein Überbleibsel der ehemaligen Frechener Quarzwerke. Aber wir haben ja das Chimpanzodrome, eine der ältesten Kletterhallen Deutschlands. Das war und ist bis heute mein Lieblingsspielplatz.

Sind Sie der Star, wenn Sie da heute auflaufen?

(lacht) Ein bisschen ist das so. Kein Training, ohne dass ich um Autogramme und Fotos gebeten werde. Es ist für mich schwer zu begreifen, dass ich nun ein Vorbild bin. Aber ich finde es schön.

Als Frechenerin sind Sie Be-Emmerin. Und trotzdem ein kölsches Mädchen?

Auf jeden Fall, ich bin auch in Köln geboren und wohne inzwischen hier! Frechen ist schön, aber für mich war immer klar, dass ich nach Köln ziehen wollte. Ich bin viel und gern in der Weltgeschichte unterwegs, aber nie traurig, wenn ich irgendwo wieder weg muss. Stattdessen freue ich mich auf zuhause, auf Köln. Die Stadt gibt mir Energie.

Wann haben Sie Ihr letztes Kölsch getrunken?

Leider habe ich seit zwei Jahren Zöliakie, vertrage also kein Gluten. Ich kann dementsprechend kein Bier trinken und leider auch keine Kaffeekekse mehr essen. (lacht)

Worauf muss man als Profi noch verzichten?

Ich muss in der Hinsicht gar nichts. Im Klettersport herrscht ein anderer Lifestyle als etwa bei Profischwimmern. Wir machen mehr Party, und wir sind ein bisschen verrückt. Wer fährt schon in den Wald und klettert an Steinen rum, und dann auch noch an der steilsten Stelle!

„An der Wand bin ich frei“, sagen Sie.

Obwohl ich die Schwerkraft natürlich spüre, fühle ich mich leicht. Mich definiert nicht die Route, sondern ich gebe dem Klettern meine Persönlichkeit! Das ist ein Gefühl von großer Freiheit.

Und im restlichen Leben fühlen Sie sich unfrei?

Es kommt vor, dass mir mein Perfektionismus im Weg steht. Manchmal will ich perfekt schlafen und bin unzufrieden, wenn ich zu lange wach lag. Aber da muss ich dann auch selbst drüber lachen. Beim Klettern habe ich nie solche Probleme.

Die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio 2021 haben Sie knapp verpasst.

Ich war gerade 18 und noch sehr unerfahren. Der Fokus lag schon damals auf Paris, denn jetzt bin ich im besten Alter.

Die Zeitungen schreiben von Ihnen als der „großen Medaillenhoffnung“. Verspüren Sie Druck?

Sehr deutlich seit 2022, meinem bislang erfolgreichsten Jahr. Der Druck ist positiv, aber manchmal bin ich eben auch nicht die strahlende Hannah. Nicht jedes Training bringt Fortschritte und macht Spaß.

Ganz ohne Druck: Holen Sie Gold oder Silber?

(lacht) Meine Silber-Kollektion ist schon ziemlich groß. Irgendwann sollte es mal Gold sein.