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Der Künstler „Pero Carton“ im Interview„Inzwischen bin ich total farbensüchtig“

Lesezeit 7 Minuten
Pero Carton vor seinen Werken.

Erklärt sich selbst für farbensüchtig: „Pero Carton“ hat keine Lieblingsfarbe, nur Schwarz sollte es nicht sein.

Peter Stamol wurde mit dreidimensionaler Papp-Kunst und starken Farben berühmt. Mit Bernd Imgrund spricht er über La Gomera, Köln und die Teilung Jugoslawiens

So eigenwillig wie seine Bilder ist auch sein deutscher Akzent: Pero spricht Schwäbisch mit jugoslawischem Einschlag. Sehr charmant.

Warum verbringen Sie als Bewohner von La Gomera jeden Sommer drei Monate in Köln?

Weil meine Freundin Anke aus der Südstadt kommt. Sie will nicht aus Köln weg, ich nicht von der Insel. Also führen wir eine Fernbeziehung, in der wir rund sieben Monate im Jahr zusammen sind.

Sie haben einige Jahre in Süddeutschland verbracht. Was war Ihr erster Eindruck von Köln?

Dass die Kölner total verliebt sind in ihre Stadt. Im Vergleich zu München gehört Köln eher dem Volk als den Reichen. Man feiert sein Kölsch, den Karneval, die Queer-Szene ist größer und öffentlicher als anderswo. Und wenn ich diese Musik hier „Schlager“ nenne, sind alle entrüstet und behaupten, das sei kölsche Folklore.

Sie stammen aus Zagreb, einer weiteren Großstadt. Warum leben Sie auf einer verschlafenen Hippie-Insel?

Ich wollte freischaffender Künstler werden und bin deshalb 1994 aus Augsburg abgehauen. Deutschland besteht aus Regeln wie: Am 3. des Monats muss die Miete überwiesen sein. Aber wenn du kein festes Einkommen hast, gibt es immer Stress mit den Vermietern. Wo Meer ist, ist das Leben billiger: eine Terrasse oder ein Garten, und schon hast du ein Atelier. Auf La Gomera brauchst du auch keine Heizung.

Man wacht spät auf, macht ein bisschen Yoga, raucht einen Joint, und dann ist der Tag auch schon fast wieder vorbei. Läuft das so auf La Gomera?

(lacht) Für manche schon, für mich nicht. Mein Tag ist getackert: Morgens um 8 gehe ich meine Runde, trinke Kaffee im Stammlokal, und ab 10 Uhr arbeite ich bis zum Abend. Zum Sonnenuntergang kommt dann das halbe Dorf am Strand zusammen, es wird getrommelt, man trinkt ein Bier. Alles sehr übersichtlich, das genieße ich heute.

Wie haben Sie den Werkstoff Pappe für Ihre Kunst entdeckt?

Auf La Gomera war es schwer, an Rahmen heranzukommen. Irgendwann habe ich sie mir selbst aus Karton gebaut, und auf einmal habe ich Bilder verkauft, die vorher wie Blei im Regal lagen. Inzwischen haben meine Bilder keine Rahmen mehr, aber bestehen aus Karton.

Häufig bauen Sie bemalte Reliefs, dreidimensionale Bilder, die wie Skulpturen wirken.

Ich muss immer grinsen, wenn mir Leute von ihren 3d-Bildern aus dem Computer erzählen. Dann sage ich denen, das gibt es schon ewig und heißt eben Relief. Nur dass es früher aus einem Stück Holz oder Stein herausgehauen wurde.

Wie hoch ist der Anteil an Schnibbeln, Falten, Kleben gegenüber dem Malen?

Das ist fast gleichwertig, und beides gefällt mir sehr gut. Rein handwerklich habe ich nach über zwanzig Jahren ein gewisses Know-how. So mancher Künstlerkollege wollte das mal kopieren, hat dann aber schnell aufgegeben.

Was haben Sie über Kartons gelernt in der Zeit?

Das Material ist billig und unaufwendig: Man braucht einen Cutter, Schere, Bleistift und Kleber. Ich kann biegen, wegschneiden und ankleben. Karton ist zugleich weich und statisch. Oft falte und klebe ich Hohlräume, die einerseits verletzlich und andererseits ziemlich robust sind. Und im Gegensatz zu meinen früheren Metallskulpturen wiegt das ganze Kunstwerk so gut wie nichts.

Warum sind Ihre Bilder so bunt?

Eigentlich brauche ich so gut wie nichts zum Malen. Meine Eltern hatten nicht viel Geld, die ersten Bilder habe ich mit dem Kugelschreiber gezeichnet – auch damit kann man Wunder bewirken. Als ich jünger war, habe ich mehr Schwarz verwendet. Da wollte ich mein Leiden an der Welt kundtun, aber mir wurde klar: Ich habe eine kreative Gabe, warum sollte ich leiden. Inzwischen bin ich total farbensüchtig. Ich habe keine Lieblingsfarbe, mir ist jede Farbe lieb.

Letztlich recyceln Sie ein Verpackungsmaterial. Spielt dieser ökologische Aspekt eine Rolle?

Klar, wir schmeißen Millionen von Tonnen Karton Tag für Tag weg. Ich ärgere mich immer über die Kollegen, die sich ihren Karton nagelneu bestellen. Ich habe noch nie einen Cent dafür bezahlt. Und wenn ich größere Flächen brauche, klebe ich eben kleinere zusammen. Jenseits der Bilder baue ich auch Möbel aus Karton.

Früher haben Sie auch vom Meer angespülten Müll in Ihre Kunst integriert.

Ich habe damals immer gesagt: Ich bin der größte Müllexporteur von La Gomera. Und mein Zeug hängen sich die Leute sogar an die Wand.

Haben Sie jenseits des „Kartonierens“ mal etwas Anständiges gelernt?

Auf der Kunstschule in Zagreb haben sie mich rausgeschmissen, weil sie mich beim Kiffen erwischt haben. Die Lehre als Maschinen-Mechaniker in Reutlingen habe ich dann nach zweieinhalb Jahren selbst abgebrochen. Aber die Kenntnisse im Flexen und Schweißen konnte ich später ganz gut für meine Metallskulpturen brauchen.

Zagreb ist heute die Hauptstadt von Kroatien.

Ich bin in Kroatien als Kind slowenischer Eltern aufgewachsen, während meine Brüder in Serbien groß wurden. Ich war überall zuhause und war immer Jugoslawe. Mich schmerzt bis heute die Teilung des Landes, den Balkankrieg mit all seinen Schrecken vergisst man nicht so schnell. Aber ich bin auch Deutscher, seit 1974 besitze ich einen deutschen Pass.

Interessieren Sie sich für Fußball?

Überhaupt nicht, und ich war auch kein guter Spieler. Als Kind wohnte ich neben dem Stadion von Dinamo Zagreb, dem kroatischen Topverein. Wenn die Serben von Roter Stern Belgrad kamen, bin ich mit meinen Kumpels da hin und habe aus Trotz Belgrad angefeuert.

Und dabei eine dicke Lippe riskiert?

Ach, das waren doch meine Freunde. Heute kann ich diese verbissenen Fußballfans ärgern, indem ich sage: Ich habe sechs ex-jugoslawische Teams, wohne in Spanien und bin Deutscher. Die Chance ist also immer groß, dass meine Mannschaft gewinnt. (lacht)

Ihr zweites auffälliges Faible neben der Pappe ist es, großformatige Konzertgemälde zu malen.

Ich kann nicht singen und beherrsche kein Instrument. Aber ich kann durch das Malen geräuschlos mitspielen – ich male die Band.

Was reizt Sie daran besonders?

Normalerweise hocken Künstler in ihrem Atelier und präsentieren später ihre fertigen Werke. Auf Konzerten hingegen male ich immer live, jeder kann mir bei diesem Prozess zusehen. Das erfordert auch einen gewissen Mut, da kannst du keine Leinwand mal eben in die Tonne kloppen. Und wenn mir ein Rhythmus gefällt, tanzt der Pinsel manchmal mit.

Wie wurden Sie zu einem gefragten Udo Lindenberg-Porträtisten?

(lacht) Zuerst habe ich einen Lagerfeld gemacht. Irgendwann wollte jemand dann ein Lindenberg-Relief, und so fing das an. Inzwischen habe ich auch den Tatort-Kommissar Axel Prahl gemalt – für eine Frau, deren Bruder mit ihm in der Schule war. Portraits mag ich eigentlich nicht, seit ich sie damals in Kroatien auf der Straße gemalt habe. Deshalb wird jeder Lindenberg hundert Euro teurer. Inzwischen bin ich bei 700 Euro, aber die Leute hören nicht auf nachzufragen.

Sie mieten in Köln immer ein Atelier im Großmarkt an der Bonner Straße. Wie ist die Atmosphäre dort zwischen den Abrissbirnen?

Schade um diese Fläche, aber es soll ja etwas Neues entstehen. Ich mache das seit gut sechs Jahren, früher gab es abendliche Cafés dort, die bis spät in der Nacht aufhatten. Und Karton war auch leichter zu finden als heute. Aber letztlich ist mir egal, wo ich arbeite, ich schöpfe aus jeder Atmosphäre.


Zur Person

Peter Stamol, Künstlername Pero cARTon, wurde 1958 in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren. Nach dem Hauptschulabschluss kam er 1974 nach Reutlingen. Eine Lehre als Maschinenmechaniker brach er ab. Zurück in Kroatien, flog er wegen Kiffens von der Kunstschule. Er zog nach München und wurde Grafikdesigner, parallel begann er, als Künstler zu arbeiten – unter anderem schuf er Metallskulpturen. 1994 zog er nach La Gomera und entwickelte seine Karton-Kunst: reliefartige, dreidimensionale Kunstwerke aus Pappen und Farben. Jedes Jahr im Sommer verbringt er mehrere Monate in Köln, mietet ein Atelier und stellt hier auch aus. Pero lebt im Valle Gran Rey auf La Gomera und in der Kölner Südstadt. www.facebook.com/cartonart