Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch auf der Keupstraße 20 Jahre nach dem Nagelbombenangriff. Davor gab ein Aufregung.
„Birlikte“-Fest in KölnSteinmeier zu Gast auf der Keupstraße – Entwarnung nach Sprengstoffalarm
Zwei Jahrzehnte später, zehn Jahre nach der ersten Auflage des Kulturfestes rund um die Keupstraße, hat „Birlikte“ wieder ein Zeichen für Vielfalt, Solidarität und gegen Fremdenfeindlichkeit gesetzt. Auf der Keupstraße selbst herrscht dabei reinste Straßenfest-Atmosphäre: Die Gaststätten haben Tische vor ihre Läden gestellt, Grillduft hängt in der Luft, Besucher schlendern die Meile entlang. In Hinterhöfen, auf Bühnen in der Schanzenstraße sowie in den Räumlichkeiten des Carlswerks finden Lesungen, Diskussionsrunden und Konzerte statt.
Auf der Bühne können die Moderatorinnen und Meral Sahin von der IG Keupstraße hohen Besuch begrüßen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. „Es kommt darauf an, dass wir Gewalt im politischen Meinungskampf ächten – ganz gleich, aus welchen Motiven sie sich speist: ob links- oder rechtsextremistisch oder aus religiösem Fanatismus Gewalt zerstört Demokratie, und das wollen wir nicht“, so Steinmeier. Er schildert den Ablauf des NSU-Anschlags: „702 Zimmermannsnägel wurden später gefunden, jeder einzelne zehn Zentimeter lang. Die Wucht des Sprengstoffs schleuderte die glühenden Nägel Hunderte von Metern weit. Diese Wucht warf Menschen um, die langen Nägel bohrten sich in Körper, die Detonation zerriss Trommelfelle, die Druckwelle verwüstete die halbe Straße.“
Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und OB Henriette Reker sind da. Sie würdigen das starke Zeichen für ein friedvolles Zusammenleben, das die gut besuchte Veranstaltung setzt, und sprechen sich ihrerseits gegen Fremdenfeindlichkeit aus „noch immer wird dieses Wort benutzt, wenn man darüber spricht, dabei ist es im Grunde nichts als Menschenfeindlichkeit“, sagt Wüst. Vor allem aber bitten sie die Menschen der Keupstraße um Verzeihung – nicht für das Attentat, sondern für die Zeit danach. Denn die Ermittler hatten damals einen rechtsradikalen Hintergrund ausgeschlossen und die Täter in einem vermuteten Milieu von organisiertem Verbrechen innerhalb der Community der Keupstraße gesucht. „So mussten Sie zusätzlich die Ungerechtigkeit erfahren, verdächtigt zu werden. Wir, die deutschen Behörden, haben die Dimensionen des rechten Terrors nicht wahrnehmen wollen“, sagt Steinmeier.
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Diese Erfahrung beschreibt etwa Özcan Yildirim als „Bombe nach der Bombe“. Als Besitzer des Friseurladens Özcan stand er nicht nur im Zentrum des Anschlags, sondern auch der folgenden Ermittlungen. „Erst sieben Jahre später war bewiesen, dass ich unschuldig bin. Man hat sich bei mir entschuldigt, aber mit den finanziellen und persönlichen Folgen musste ich alleine klar kommen.“ Yildirim macht aus seinem Schmerz keinen Hehl, doch nutzt er seine Redezeit auf der Bühne auch , „um Rouven zu gedenken“, dem Polizisten, der in Mannheim von einem mutmaßlich islamistisch motiviertem Gewalttäter erstochen wurde.
Zu Beginn des Festes müssen auch die Verantwortlichen von Birlikte den Atem anhalten, als die Sicherheitskräfte das Festgelände wegen eines möglichen Bombenfunds für kurze Zeit sperren (siehe Infotext). Der Verdacht erhärtet sich nicht, aber für Meral Sahin ist die Schrecksekunde echt. „Wir haben alle gezittert, als wäre es wieder wie damals.“
Damit an der Keupstraße ein Mahnmal über den Anschlag gebaut wird, hatte die IG Keupstraße jahrelang gekämpft – nun scheint der Weg erstmals bereitet zu sein. Statt einem statischen Standbild soll ein „Interaktiver Lernort“ entstehen – wie man sich das vorstellen kann, lässt sich beim Kuaför Özcan besichtigen: Eine schlichte Betonplattform, in der QR-Codes eingebettet sind – scannt man diese, werden Videos gezeigt, in denen Betroffene von ihren Erfahrungen berichten.