Köln – Am Donnerstagnachmittag sitzt Andreas Kossiski in der Parteizentrale der Kölner SPD an der Magnusstraße und zieht Bilanz seiner Kandidatur für das Oberbürgermeisteramt. Es sei die interessanteste Zeit in seinem politischen Leben gewesen, sagt er.
Vier Tage zuvor hat er seine Partei nach der verlorenen Stichwahl in Aufruhr gestürzt. Dass er 90 Minuten nach Schließung der Wahllokale auf der SPD-Wahlparty spontan erklärte, er wolle Fraktionschef werden, elektrisierte manchen Genossen. Andere reagierten entsetzt. Die während des Wahlkampfs mühsam überdeckte, tiefe Zerrissenheit der Partei trat wieder offen zu Tage. Eine für Montag geplante Pressekonferenz mit Parteichefin Christiane Jäger (57) und Fraktionschef Christian Joisten (48) wurde kurzfristig abgesagt. Der Parteivorstand sah sich sogar genötigt, Kossiskis Vorgehen in einem Brief an alle SPD-Mitglieder als „nicht akzeptabel“ zu rügen.
Zwei Niederlagen in drei Tagen
Jetzt gibt Kossiski die Pressekonferenz alleine, das habe er so gewünscht – als Abschluss seiner siebenmonatigen Kampagne. Dass der Soloauftritt nicht gerade ein Bild der Geschlossenheit der SPD vermittele – darauf hat man ihm am Abend vorher in der Fraktion hingewiesen. Kossiski will es trotzdem so.
Die SPD-Fraktion
27 Mitglieder hatte die alte SPD-Fraktion inklusive des Ex-Piraten Thomas Hegenbarth, der im Mai 2019 zur SPD gewechselt ist. Die neu gewählte SPD-Fraktion besteht nach dem Absturz von 29,4 auf 21,6 Prozent nur noch aus 19 Mitgliedern. Wenn Andreas Kossiski (62) sein Ratsmandat niederlegt, würde der Arzt und SPD-Sozialpolitiker Michael Paetzold (59) nachrücken, der seit 2004 dem Rat angehört, aber weder ein Direktmandat holte, noch über die Liste einzog.
9 Sozialdemokraten wären dann neu im Rat, die restlichen zehn waren vorher dabei. Unter den Neuen sind Parteichefin Christiane Jäger (57), die frühere Landtagsabgeordnete Lisa Steinmann (54), der ehemalige Bezirksbürgermeister Mike Homann (45), die Politologin Claudia Brock-Storms (53), Studiendirektor Oliver Seeck (46) und Studienrätin Maria Helmis (30) sowie die Studierenden Viola Recktenwald (25), Lukas Lorenz (28) und Pascal Pütz (31). Fraktionsvorsitzender ist Christian Joisten (48). Er hat das Recht, eine Person für das Amt des Fraktionsgeschäftsführers vorzuschlagen. Derzeit übt sein Vertrauter Rafael Struwe dieses Amt aus, der sein Ratsmandat bei der Wahl verloren hat.
42,1 Prozent beträgt der Frauenanteil in der SPD-Fraktion, im gesamten Rat sind es 41,1 Prozent. Die SPD-Ratsmitglieder sind im Schnitt 49,8 Jahre alt , das ist ein Jahr über dem Gesamtdurchschnitt von 48,8 Jahren. (fu)
Zwei Niederlagen in drei Tagen hat er hinter sich – am Sonntag die OB-Wahl gegen Henriette Reker, am Mittwoch die Wahl zum SPD-Fraktionschef gegen Joisten. Beide Male kommt er auf rund 40 Prozent. Es sind ordentliche Ergebnisse, aber eben keine Mehrheiten.
In der Wahlnacht hat Kossiski als fairer Verlierer als Erstes der Siegerin gratuliert. Jetzt betont er nach dem Machtkampf mit Joisten, er akzeptiere das Ergebnis der „demokratischen Entscheidung“ und wünsche ihm „alles Gute und viel Kraft für diese schwierige Aufgabe“.
Am 13. September wurde Kossiski in den Stadtrat gewählt, sein Mandat beginnt am 1. November. Dass er es antritt, gilt als unwahrscheinlich – die Kölner SPD erlaubt keine Doppelmandate. Eine Ausnahme gibt es nur für den Fraktionschef, und der heißt Joisten. Er wolle seine Arbeit als Landtagsabgeordneter „jetzt noch intensiver wahrnehmen für die ganze Stadt“ und werde sein Ratsmandat „möglicherweise nicht antreten“, sagt Kossiski. Er kritisiert nicht, wie die Fraktion abgestimmt hat, betont aber: „Durch diese Entscheidung ist mir der Weg in die Kommunalpolitik verbaut. Ich gehe jetzt nicht weg, weil ich will, sondern ich muss.“
Sein Vorschlag, die neue Fraktion mit Joisten und Jäger als seine Stellvertreter zu führen, habe keine Mehrheit gefunden. Er habe mit diesem Kapitel abgeschlossen, aber nicht mit Köln, unterstreicht Kossiski. Im Wahlkampf habe er „die Stadt noch mal neu kennengelernt“, viele Menschen hätten Hoffnung in ihn gesetzt. „Die will ich nicht enttäuschen.“
Auf Nachfrage lässt er durchblicken, dass es einen Weg gäbe, ihn in die Ratsarbeit einzubinden. „Man kann Beschlüsse auch ändern. Aber das fordere ich nicht ein.“ Im Klartext: Wenn ein Parteitag entscheiden würde, dass auch der unterlegene OB-Kandidat ein Doppelmandat haben darf, könnte Kossiski sowohl im Landtag bleiben, als auch in den Stadtrat einziehen.
Als würden „mehrere Züge aufeinander zu fahren“
Dass es in der Partei viel Kritik an der Art und Weise gab, wie er seine Kampfkandidatur verkündete, ficht Kossiski nicht an. Das sei für viele überraschend gewesen, aber für ihn nicht, „weil ich mir darüber sehr viele Gedanken gemacht habe“. Die Situation habe er so erlebt, als würden „mehrere Züge aufeinander zu fahren“. Er habe das, was man in den vergangenen Monaten gemeinsam entwickelt habe, in Gefahr gesehen und deshalb ohne Rücksprache gehandelt. „Was daraus entstanden ist an Verwerfungen, das konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht absehen.“
Dass er danach von einigen Genossen als „Verräter“ und „wortbrüchig“ beschimpft worden sei, habe ihn sehr getroffen. Es habe Angriffe „unter der Gürtellinie“ gegeben – darüber müsse in der Partei geredet werden. Jetzt schaue man gemeinsam nach vorne und hoffe, „dass die SPD wieder zu alter Stärke zurückfindet“.
Das könnte Sie auch interessieren:
Doch die Möglichkeiten sind begrenzt. Nach der herben Wahlniederlage und dem Absturz auf 21,6 Prozent ist die in Köln einst so mächtige SPD-Fraktion von 27 auf 19 Mitglieder geschrumpft und so klein wie noch nie. Dass sie in den nächsten fünf Jahren in der Stadtpolitik viel mitbestimmen kann, darf bezweifelt werden angesichts einer Mehrheit von Grün-Schwarz plus OB Reker, die zwar knapp ist, aber bei Bedarf mit Partnern wie Volt, Gut oder Klima Freunde aufgestockt werden kann. Doch die SPD hat jetzt auch die Chance, sich nach fünf Jahren Fundamentalopposition im Rat und mehr als zwei Jahren interner Gräbenkämpfe neu zu erfinden. „Der Wunsch nach einer Rückkehr zur Sacharbeit ist riesengroß“, sagt ein Mitglied der Fraktion.