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Kölner Gesundheitsdezernent„Wenn wir wie früher weitermachen, geht das schief“

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Köln Gesundheitsdezernent Harald Rau

  1. Ausgerechnet der Kölner Gesundheitsdezernent hat sich bisher nicht öffentlich zur Corona-Lage geäußert.
  2. Warum das so ist und wie er sie einschätzt, darüber sprachen Matthias Hendorf und Ingo Schmitz mit Harald Rau.

KölnSeit Wochen hat eine Pandemie Köln im Griff, wie es sie in der Moderne so noch nicht gegeben hat. Kein Tag vergeht, an dem sich nicht zahlreiche Zuständige und Experten zu Wort melden. Dabei ist uns aufgefallen, Ihre Stimme, die des Kölner Gesundheitsdezernenten, fehlte bisher. Warum?

Schon am Anfang der Entwicklung habe ich meine Kollegen dezernatsübergreifend eingeladen, damit wir uns auf die Krise vorbereiten. Als klar wurde, wir befinden uns im Ausnahmezustand, wurde frühzeitig der Krisenstab einberufen. In Köln ist es die Regel, dass immer der Stadtdirektor Leiter des Krisenstabes ist. Eine Krise braucht eindeutige Kommunikation, um die Menschen nicht zu verunsichern.

Sie sind also ständiges Mitglied des Krisenstabes? Jüngst wurden Bilder aus dem Krisenstab veröffentlicht, auf denen Sie nicht zu entdecken sind.

Als ständiges Mitglied des Krisenstabes war ich bisher in jeder Sitzung des Krisenstabes anwesend. Mag ich auch in der Öffentlichkeit nicht präsent sein, intern bin ich extrem aktiv. Im Vorbereiten und Umsetzen unserer Beschlüsse zur Eindämmung der Pandemie bin ich mit meinen Ämtern für Gesundheit und Soziales neben dem Katastrophenschutz am allermeisten gefragt und tätig. Es gibt im Hintergrund verdammt viel zu tun.

Die Pandemie fällt in den Wahlkampf. OB Henriette Reker lässt sich auf einer Schaukel fotografieren, weil die Spielplätze wieder öffnen. Stadtdirektor Keller präsentiert sich mit Blick auf Düsseldorf, wo er OB werden will, als Macher. Sie sind nicht im Wahlkampf, darum könnten sie zur Versachlichung beitragen. Früher waren sie viel auf Facebook unterwegs, um Themen zu setzen. Warum greifen Sie nicht auch jetzt zu diesem Instrument?

Ich halte mich schon seit einiger Zeit in den sozialen Medien zurück.

Warum?

Das will ich jetzt nicht weiter kommentieren.

Wurden Sie eingefangen?

Naja, ich bin in den sozialen Medien nie nur Privatperson, sondern werde natürlich auch immer als Dezernent wahrgenommen. Damit wird jede meiner Äußerungen auch immer zu einer offiziellen. Für offizielle Äußerungen haben wir aber in der Verwaltung einen formalen Weg, der über das Presseamt führt – und daran halte ich mich jetzt. Auch ist eine Vorwahlzeit immer eine Zeit der besonderen Zurückhaltung für die Spitzenbeamten.

Aber ist das nicht auch ein bisschen Ihre Aufgabe als Dezernent: Themen voranzutreiben, quer zu denken? Das haben Sie seinerzeit bei dem Streit um den Ausbau des FC-Trainingsgeländes getan und nicht zuletzt auch bei Verkehrsfragen.

Wenn alle sieben Dezernenten der Stadt Köln quer denken, dann wird es schwierig. Vor allem in der Krise. Grundsätzlich gilt: Bevor die Stadtspitze ihr Vorgehen festgelegt hat, kann es abweichende Einzelpositionen geben. Die werde ich, wo ich es für richtig halte, auch weiterhin einnehmen. Ist das Vorgehen festgelegt, kann es kein Abweichen mehr geben. Um auf den Kern ihrer Frage zurückzukommen: Sie haben schon recht, dass ich mich da zurückhaltender verhalte. Aber es wird auch wieder Themen geben, bei denen ich mich stärker bemerkbar machen werde. Es ist grundsätzlich gut, dass wir intern ringen. Ich wünsche mir das manches Mal viel mehr. Aber in der Krise ist Diskurs zweitrangig, handeln vorrangig.

Zurzeit wird mit großer Geschwindigkeit der Lockdown zurückgefahren. Haben Sie dazu eine abweichende Position?

Ich habe mich schon vergangene Woche an NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gewandt mit dem Hinweis, dass gerade mit dem Blick auf unsere Pflege- und Seniorenheime die Öffnung sehr sorgfältig gestaltet werden muss. Es fehlen einfach noch wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jetzigen Vorgehen. Einen Infektionsschutz aufzubauen, da ist die Vorgehensweise relativ klar. Wie aber die richtige Reihenfolge und was das richtige Maß beim wieder Lockerlassen ist, das ist wissenschaftlich schlechter untersucht. Darum finde ich, da geht einiges wirklich zu schnell.

Befürchten Sie eine zweite Welle?

Wir waren bisher extrem erfolgreich. Es gibt nur noch wenig mehr als 100 Infizierte in Köln. Aber ich gebe zu bedenken, die rund 100 Infizierten sind wahrscheinlich mehr, als wir im Februar hatten, und im Februar ist von einer wohl kleineren Zahl eine breite Infektionswelle ausgegangen. Die Wahrscheinlichkeit also, dass von den jetzt Infizierten bei nur geringer Immunitätsrate und gleichzeitig schlagartiger Lockerung eine starke Infektionsentwicklung ausgeht, ist groß. Darum ist mir eine Botschaft besonders wichtig: Die jetzigen Lockerungen müssen von uns allen verantwortungsvoll gestaltet werden. Wenn wir jetzt wieder so weiter machen, wie vor der Pandemie, dann geht das garantiert schief.

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Hätten wir also besser alle Auflagen beibehalten?

Nein. Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Seelische Aspekte spielen eine große Rolle. Dass Menschen, die im Sterben liegen, wieder ihre Liebsten um sich haben können, ist genau richtig. Bildungsforscher sagen uns, dass benachteiligte Kinder einen Bildungsrückstand von sieben Wochen nicht mehr aufholen können. Das wird diese Kinder ihr ganzes Leben lang begleiten. Nur zwei Beispiele, warum wir wieder schrittweise in die Normalität zurückkommen müssen. Aber unter Bedingungen, die den Infektionsschutz nicht vernachlässigen.

Köln bricht die Mitte weg

Überschattet werden zurzeit viele anstehende Themen von der Corona-Krise, die aber deshalb nicht weniger existenziell wichtig sind. Eins davon sprach Gesundheits- und Sozialdezernent Harald Rau an: „Uns liegt mittlerweile der Lebenslagenbericht vor – und er zeigt eine dramatische Entwicklung auf.“

Die mittlere Altersgruppe bricht in Köln zunehmend weg. „Die jungen Menschen werden mehr, was ja grundsätzlich gut ist“, sagt Rau. Auf der anderen Seite nehme die Zahl der älteren Menschen weiterhin zu.

Aber die Gruppe dazwischen dünne stark aus. „Wir kommen in eine Situation , in der Menschen, die Bildung oder Pflege brauchen mehr werden, diejenigen aber, die diese Arbeit leisten oder sie finanzielle tragen, in die Minderheit geraten. Die Entwicklung ist so dramatisch, dass wir darauf gute Antworten brauchen, sonst funktioniert Köln nicht mehr.“ (ngo)

Zu Zeiten, als Sie noch in den sozialen Medien unterwegs waren, trieb Sie nicht zuletzt das Thema Luftreinhaltung sehr um. Nun hat sich die Luftqualität deutlich verbessert, weil der Verkehr auch stark abgenommen hat. Viele Angestellte sind jetzt im Home-Office. Kriegen wir diesen positiven Effekt über die Krise gerettet?

Wir haben alle gelernt, wir können digital viel mehr machen, als bisher. Ich bin mir sicher, diese Erfahrung wird dazu führen, dass es mehr Home-Office geben wird und wir unser Mobilitätsverhalten nachhaltig verändern werden. Das bringt uns ein Stück weiter. Aber wir retten das Klima nicht allein durch Home-Office. Es reicht nicht, allein den Individualverkehr zu verringern. Der ist nur ein Baustein.

Was können wir noch aus der Krise lernen?

Wir müssen unsere Pflegeversorgung deutlich mehr stabilisieren. Wir brauchen mehr und andere Pflegeplätze. Stationäre Pflege muss viel näher ans häusliche Wohnen gerückt werden. Wir brauchen eine andere Organisation von Pflegediensten, und wir brauchen vor allen Dingen mehr Personal. Zudem brauchen wir technische Innovationen, die es den Menschen ermöglichen, länger zu Hause zu bleiben. Daran haben wir schon vor der Krise gearbeitet.