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Geflüchtete und IntegrationWas der Runde Tisch in Köln seit 20 Jahren alles leistet

Lesezeit 5 Minuten
Fluechtlings-Unterkunft in einer Turnhalle

n Turnhallen wurden viele Geflüchtete 2015/16 untergebracht.

Vor 20 Jahren gründete sich der Runde Tisch für Flüchtlingsfragen. Nahezu alle Akteure der Stadt sind hier vertreten – wir blicken auf das ungewöhnliche Gremium.

Direkter kann ein Draht nicht sein: Am Runden Tisch (RT) für Flüchtlingsfragen kommen Politiker, Vertretende von Kirchen, NGOs, Caritas, Diakonie, Polizei, Rom e.V., Flüchtlingsrat und Amtsleiter der Stadt zusammen, um miteinander über drängende Probleme geflüchteter Menschen sprechen. Und um Lösungen zu finden. „Das ist bundesweit einzigartig. Bis heute“, sagen die Gründungsmitglieder Ossi Helling (Grüne), damals Sprecher des Sozialausschusses, und Claus-Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat.

Wie das ungewöhnliche Gremium, das vor 20 Jahren gegründet wurde, arbeitet und was es bewirkt hat, erklären wir im Folgenden.

Wieso gibt es den Runden Tisch, wer hat ihn gegründet?

Über die Unterbringung von geflüchteten Menschen entbrannten ab den   1990er Jahren heftige Kontroversen. Wohlfahrts- und Geflüchtetenorganisationen,   Kirchen und der Runde Tisch für Integration kritisierten die gängige Praxis der Stadt vehement, der Kölner Flüchtlingsrat forderte eine flüchtlingspolitische Plattform als Kommunikationsforum. Auf Antrag von CDU und Grünen beschloss der Rat am 17. Juni 2003 schließlich die Einrichtung des Runden Tisches für Flüchtlingsfragen.

Wie wurden Geflüchtete damals untergebracht?

„Aus dem ehemaligen Jugoslawein geflüchtete Männer, Frauen und Kinder lebten auf dem schlammigen Gelände der ehemaligen Chemischen Fabrik Kalk in primitiven Containern“, erinnert sich Caritas-Chef Peter Krücker, von Beginn an im Wechsel mit evangelischen Vertretenden Sprecher des Runden Tisches. „Selbst prominente Befürworterinnen einer einvernehmlichen Lösung wie die damalige Vorsitzende des Katholikenausschusses, Hannelore Bartscherer und die damalige Bundesministerin Katharina Focke hatten kein Gehör gefunden.“

Trauriger Höhepunkt dieser Praxis sei der Winter 2002 gewesen, so Krücker weiter. „Damals waren 88 geflüchtete Kinder, darunter 45 Kinder unter fünf Jahren, und 121 Erwachsene auf einem Schiff im Deutzer Hafen untergebracht worden. Das war eine unhaltbare Situation.“ „Die Stadt   war damals überfordert, hat auf eine Strategie der Abschreckung von Geflüchteten gesetzt“, blickt Helling zurück. Schlagzeilen von „Klaukids“ mit Fotos minderjähriger Kinder in Boulevardblättern hätten zusätzlich Ängste und Ablehnung geschürt.

Was macht das Gremium so einzigartig?

Das breite Spektrum von Akteuren der Stadtgesellschaft und sein direktes Wirken in den Rat hinein. „Der Runde Tisch kann wie ein Ausschuss   Ratsbeschlüsse vorbereiten. Das war eine völlige Neukonstruktion“, so Prölß und Helling. Er hat eine Geschäftsordnung, eine   Geschäftsstelle für alles Organisatorische, neue Mitglieder werden durch den Rat benannt.

Aufbruchstimmung und eine Mammutaufgabe

„Alle brannten, es gab unheimlich viel Spirit, eine große Aufbruchstimmung“, erinnert sich Prölß. Der Runde Tisch beginnt sein Wirken dann auch mit einer Mammutaufgabe: 2004 entwickelt er im Auftrag des Rates ein Unterbringungskonzept und Leitlinien zur Betreuung und Integration geflüchteter Menschen. So sollen etwa Massenunterkünfte abgeschafft, nicht mehr als 80 Geflüchtete an einem Ort untergebracht und Integrationshilfen ausgebaut werden. Der Rat beschließt die Leitlinien. „Das war eine deutliche und überraschende Veränderung der Geflüchtetenpolitik“, erinnert sich Helling. „Ohne den anhaltenden Druck der Zivilgesellschaft wäre das nicht möglich gewesen.“

Von Auszugsmanagement bis anonymer Krankenschein

Der direkten Austausch aller Beteiligten macht Nöte sichtbar. Etwa, dass Geflüchtete kaum eine Chance auf eine Wohnung haben. Der RT schlägt die Einrichtung eines städtischen Auszugsmanagements als Unterstützung vor. Er konzipiert Hilfen für minderjährige Geflüchtete ohne Eltern ebenso wie für Menschen ohne Papiere. „Dass diese Menschen durch freie Träger beraten werden dürfen, und jetzt der in anonyme Krankenschein, das sind große Erfolge unserer vertrauensvollen Zusammenarbeit am Runden Tisch“, sagen Helling und Prölß.

An Unterbringungsplätzen mangelt es weiterhin

Beim großen Problemfeld Unterbringung bewegt sich dagegen kaum etwas. „Seit 2010 gab es ein Nachlassen des Wohnversorgungsbetriebes, die Heime wohnfähig zu machen. Damals wurde auf immer niedrigere Zahlen gesetzt“, erinnert sich Ossi Helling. „Dabei hätte man dringend neue Unterbringungsmöglichkeiten gebraucht.“ Die Stadt reagiere nur kurzfristig auf neue Entwicklungen und plane nicht langfristig. Schon 2014 habe man 25 bis 30 Grundstücke für neue Flüchtlingswohnanlagen benötigt, so Akteure des RT. Eine dezentraliesierte Unterbringung in kleineren Einheiten erleichtere eine Integration wesentlich, soPrölß. „Auch die der nächsten Generation.“

Große Herausforderungen 2015/16 und 2022

Bis zu 13 300 geflüchtete Menschen kommen von 2014 bis 2017 nach Köln. Weil es nicht annähernd genug Unterbringungsplätze gibt, werden in Turnhallen Feldbetten aufgestellt. Der RT informiert Anwohnende, ist Ansprechpartner für Willkommensinitiativen. Die Situation in den Massenunterkünften fordert die Akteure des Runden Tisches massiv. Sie richten   Ombudsstellen ein, um Eskalationen in den Unterkünften vozubeugen. Dabei seien sie an die Grenzen des Erträglichen gekommen, so Krücker und Prölß.

Negativer Höhepunkt sei das Vorhaben der Stadt gewesen, 200 Flüchtlinge, darunter auch Familien, in einem ehemaligen Baumarkt in Porz-Eil einzuquartieren. „In einem Großraum mit Betonboden, ohne natürliche Beleuchtung, fast ohne Privatsphäre, mitten in einem Industriegebiet“, so Krücker.

Während der Corona-Pandemie setzt sich der RT für eine schnelle Impfung von Menschen in Sammelunerkünften und die Teilnahme von geflüchteten Kinder am Digitalunterricht ein.

Als 2022 urplötzlich viele Menschen aus der Ukraine fliehen, sind die mittlerweile geschaffenen 1500 Plätze der städtischen Unterbringungsreserve schnell besetzt. Die Akteure des RT sind wieder umittelbar vor Ort, fordern Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder, eine Überprüfung privater Wohnangebote, um Mißbrauch zu verhindern.

Starke Basis für drängende Zukunftsaufgaben

Am Runden Tisch sei eine völlig neue Kommunikationsstruktur entstanden, eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit, auch in Krisenzeiten. Es werde hier darum gerungen, wie die menschenwürdige Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen gesichert und stetig verbessert werden könne, sind sich Prölß, Helling und Krücker einig.

Zur Zeit seien Leitlinien und   Unterbringungskonzept weiter vorläufig ausgesetzt. Jetzt müssten Konzepte einer zukünftigen Geflüchtetenpolitik   entwickelt und ihre Umsetzung geplant werden. Mit dem Runden Tisch, einer so bewährten wie starken Ressource der Stadt.

Ehrung im Rathaus: Mit einem nicht-öffentlichen Empfang zum 20-jährigen Bestehen würdigt Oberbürgermeisterin Henriette Reker am Freitag, 11. August, um 17 Uhr, im Historischen Rathaus den Einsatz und die besonderen Verdienste aller Akteure des Runden Tisches.