Interview mit Jürgen Zeltinger„Sechs Tage haben die mich eingesperrt und geschlagen“
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Er war der erste, der Rockmusik auf Kölsch gemacht hat.
Mit dem Album „De Plaat im Roxy“ hatte Jürgen Zeltinger Ende der 80er einen Riesenerfolg.
Bernd Imgrund sprach mit dem Musiker über sein Leben in Köln und über seine Vergangenheit.
Köln – In der kleinen Bäckerei am Vogelsanger Markt sitzen vornehmlich ältere Herren beim Kaffee. Als Jürgen Zeltinger aus seinem Auto steigt, wird er vielstimmig begrüßt. Man kennt sich hier, und man kennt vor allem „dä Jürjen“.
Sie wohnen nun seit fünf Jahren in Vogelsang. Was ist das für ein Veedel?
Ruhig ist es hier, ein Vorort von Köln, wo man sich zur letzten Ruhe begibt. (lacht) Wenn du hier fragst, wo denn der und der abgeblieben ist, heißt es meistens: „Jo, dä es duut.“
Da habe ich keinen Bock mehr drauf. Im Kölner Nachtleben kenne ich niemanden mehr. Auf den Ringen siehst du nur noch schwazze Köpp. Ist halt so. Aber ich fühle mich da nicht mehr wohl, da liegt immer so ein Hauch von Aggressivität in der Luft.
Schlimm für so einen ewig friedliebenden Menschen wie Sie!
Hüür doch op! Ich bin doch wirklich lieb.
Sieht man Sie zuweilen in den Vogelsanger Kneipen?
Ganz selten gehe ich in die Meise. Aber ich mag ja kein Bier, mochte ich noch nie.
Gibt es in der Meise guten Wein?
Ja, meine Lieblingssorte: Müller-Thurgau. Aber an sich trinke ich gar nichts mehr, außer vor Konzerten mal einen Wein und einen kleinen Wodka. Ich bin ene langweilije Typ, dat kannst m’r jläuve.
Sie hatten Kneipen in Köln, aber früher auch mal eine auf Menorca.
Übersetzt hieß die Das Loch. Das waren die 70er, in Spanien war noch Franco an der Macht, und wir waren Hippies. Unser VW-Bus war voll mit den aktuellsten LPs. Und die liefen dann auch in unserer Kneipe, so was gab es vorher nicht auf Menorca.
Soweit ich weiß, endete dieses Kapitel eher unglücklich.
Eines Tages stürmte die Guardia Civil mit MP im Anschlag den Laden und verhaftete mich. Sechs Tage haben die mich eingesperrt und immer wieder verhört und geschlagen. Das war die reinste Folter. Die behaupteten, ich hätte Franco im Loch als Arschloch bezeichnet.
Wie kamen Sie aus der Sache raus?
Indem wir bewiesen, dass der Denunziant uns gar nicht verstanden haben konnte, weil wir uns doch in diesem seltsamen deutschen Dialekt unterhalten. Wir haben dann vor dem Gremium da Kölsch gesprochen, und tatsächlich konnte das dann niemand übersetzen.
Fast ein halbes Jahrhundert später könnten Sie nun eigentlich mal ein Geständnis ablegen.
Klar, ich habe das so gesagt. Letztendlich haben die mich zwar freigelassen, aber ich musste ohne Geld, ohne all meine Sachen sofort zurück nach Deutschland.
Sie sind in Ehrenfeld und der Südstadt aufgewachsen.
Die 50er, 60er Jahre kann man mit heute nicht vergleichen. Ich erinnere mich, dass sonntags auf der Straße gegessen wurde. Da haben die Leute Tisch und Stühle rausgestellt und zu Mittag gegessen. „Tach Frau Schmitz, wie is et?“ – das war ein ganz anderes Miteinander als heute.
Sie waren damals im Kinderchor und haben vermutlich Volks- und geistliche Lieder gesungen. Aber Ihre erste Schallplatte war von wem?
Von den Beatles. Die Stones und The Who waren auch wichtig, aber ich hatte auch immer eine romantische Ader. Ich mochte The Moody Blues genauso wie später die Eagles, Cat Stevens und James Taylor. Und mein erstes Stereo-Konzert waren dann Pink Floyd in Aachen. Schön im Gewimmel gesessen, getrunken, Joints geraucht, alles wunderbar. Und dieser Stereo-Effekt, Töne von überall her und nach überall hin – das war der Hammer für uns!
Berühmt wurden Sie 1979 mit deutschsprachiger, genauer gesagt: mit kölscher Punkmusik.
Arno Steffen hatte mich gefragt, ob ich mit ihm an Heiligabend im Roxy ein paar Lieder spielen würde – mit Akustikgitarren. Und der Abend war ein so großer Erfolg, dass der Wirt Horst Leichenich uns an Karneval nochmal haben wollte. Da haben wir dann richtig gerockt, Conny Plank saß im Keller und hat das aufgenommen. Daraus entstand die erste Platte „De Plaat im Roxy“, und dann ging es total ab.
Ihre weiche Seite lag damit brach.
Ich war verurteilt zum Punkrock, ja. Aber es hat ja auch Spaß gemacht. Mein Lieblingsalbum ist trotzdem die Soloplaat von 1992 mit ihren ruhigeren Liedern. Die hat ja damals der Wolfgang Niedecken produziert. Leider wollten die Leute das überhaupt nicht hören.
Zur Person
Jürgen Zeltinger wurde 1949 in Altenkirchen geboren. Ab seinem dritten Lebensjahr wuchs er in Köln auf – in Ehrenfeld, der Südstadt und später in Weidenpesch. Seine Lehre als Autoschlosser endete vorzeitig, als er den Meister nach einer Ohrfeige k.o. schlug. Mit Heiner Lauterbach lebte er als Straßenmusiker in Paris, später zog er als Hippie in Europas Süden herum und betrieb unter anderem eine Kneipe auf Menorca.Seinen Durchbruch als Musiker 1979 verdankte er einem Zufalls-Gig. In den 1980ern mehrten sich Ruhm und Erfolg der Zeltinger Band, bevor sie Ende des Jahrzehnts zu verblassen begann. Zeltinger musste seine luxuriöse Wohnung im obersten Stockwerk des Unicenters räumen und zog mehrfach um. Bis heute jedoch tritt er mit seiner Band in inzwischen kleineren Hallen auf. Bereichert werden die Gigs seit 2014 durch den jungen Gitarristen Dennis Kleimann. Mit seinem „besten Freund“ treibt „de Plaat“ (echte Kölsche sagen: di Plaat) auch ein Unplugged-Duoprojekt voran. Befördert wurde die Karriere der schwulen Ikone zuletzt 2019 durch den Film „Asi mit Niwoh“, der Zeltingers exzessives Leben Revue passieren lässt.Jürgen Zeltinger wohnt heute in Vogelsang.www.zeltinger-band.de
Sie haben zum Beispiel „Er war gerade 18 Jahr’“ aufgenommen, einen sehr getragenen Chanson von Dalida. Welche Schlagerstars gefielen Ihnen noch?
Schlager liefen bei meinen Eltern von morgens bis abends. Ich mochte zum Beispiel Howard Carpendale.
„Deine Spuren im Sand“?
(lacht) Genau, su enen schleimijen Driss, damit kannst du mich kriegen. Ich war aber auch ein Riesenfan der Bläck Fööss. Schön musikalisch, fürs Herzchen, und Tommy Engel war ein großartiger Frontmann.
Sie waren noch vor BAP der Erste, der Rockmusik auf Kölsch machte. Wer ist auf die Idee gekommen?
Arno Steffen und ich. Deutsch ist eine sehr harte Sprache, nicht besonders dankbar für Musik. Kölsch ist im Vergleich viel melodischer und weicher. Das fließt wie von selbst.
2019 ist mit „Asi mit Niwoh“ ein Film über Ihr Leben erschienen. War das ein gutes Jahr?
Ein sehr gutes! Der Film ist bundesweit sehr gut angekommen, und wir sind dadurch auch für neue Konzerte gebucht worden.
Wie haben die Leute zum Beispiel in Hamburg auf die Vorführung reagiert?
Vor allem habe ich mich gewundert, wie voll das überall war. In Hamburg waren wir erst bei Markus Lanz in der Sendung und sind dann zum Kino gefahren. Nach dem Film haben wir immer noch ein paar Liedchen gesungen.
Heutzutage schimpfen die Kölner viel über ihre Stadt. Was stinkt Ihnen?
Dass alles verbaut wird, sieht man ja an jeder Ecke. Hat nichts mit Köln zu tun, aber: Grausam finde ich auch dieses Handy-Gemache der Computergeneration. Schrieve künne se nit mieh, ävver tippe. Mich stört, dass die Menschen nicht mehr miteinander auskommen. Ich finde auch, dass es nicht gut klappt mit den ganzen Ausländern. Es gibt keine echte Verbindung, man schlägt sich die Köpfe ein. Und gleichzeitig wird die AfD immer stärker, auch hier im Viertel. Dat kotz mich och aan, met denne Naziköpp han ich nix am Hoot.
Ihr Rückzugsrevier ist der Koikarpfenteich im Garten, außerdem fotografieren Sie gerne Insekten. Seltsam für jemanden, der lebenslang im Leopardendress aufgetreten ist.
Ich hätte immer gern eine Safari gemacht, aber jetzt bin ich zu alt dafür. Zuhause mache ich Makrofotografie, gehe also sehr nah ran. Dazu braucht man Ruhe, und das bringt mir innerliche Ruhe. Ich knipse aber nicht nur Insekten, sondern alles mögliche Kleinzeug. Einfach drop, weißte.
Klingt nach einer zukünftigen Ausstellung.
Ich habe mittlerweile um die 6000 Fotos im Computer. Eine Auswahl davon zu zeigen, wurde mir schon öfters angetragen. Aber da habe ich mich einfach noch nicht drangesetzt, das wäre ja Arbeit. Et es einfach esu: Ich bin ein faules Schwein. (lacht)