Glenda Obermuller kam mit 24 Jahren nach Deutschland, machte hier Abitur und hat in Köln eine Bibliothek für Schwarze Literatur aufgebaut. Bernd Imgrund sprach mit ihr.
Interview mit Kölnerin„Weiße Menschen sollten sich fragen, warum sie das N-Wort weiter benutzen wollen“
Das Interview findet in der Theodor Wonja Michael Bibliothek für Schwarze Literatur an der Viktoriastraße statt. In den Regalen: viel Toni Morrison, aber auch Geheimtipps der afrikanischen Literaturszene.
Wie riecht Guyana?
Ich bin praktisch im Urwald aufgewachsen. Der Kölner Regen heute erinnert mich an meine Kindheit und den Geruch von Frische und Reinheit.
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Was wollten Sie werden als Kind?
Ich wollte immer Lehrerin werden. Ein Grund dafür war mein kindliches Stottern, das mir die Schulzeit sehr erschwert hat. Später habe ich dann ja auch an der Kölner Uni auf Lehramt studiert. Und mit unserer Schwarzen Bibliothek hier und den verschiedenen Initiativen bin ich tatsächlich eine Art Lehrerin geworden.
„Guyana“ heißt: Land der vielen Gewässer. Vermissen Sie Ihren heimatlichen Fluss, den Pomeroon River?
In Flüssen steckt so viel Leben, so viel reinigende Kraft! Das Wasser des Pomeroon ist tiefschwarz, ich vermisse ihn. Aber ich fühle mich auch am Rhein sehr wohl. Wenn ich am Ufer spaziere, finde ich Ruhe und fühle mich zuhause.
Was wussten Sie über Deutschland, als Sie mit 24 Jahren hier hinkamen?
Einiges. Mein Urgroßvater war Deutscher, deshalb heiße ich mit Nachnamen Obermuller (gesprochen Obermüller). Mein Vater hat uns immer das Gefühl gegeben, dass wir auf diese deutschen Wurzeln stolz sein sollten. Weil er verschiedene Zeitungen gekauft hat, wusste ich immer Bescheid über Deutschland – und vor allem über Steffi Graf und Boris Becker. (lacht)
Was hat Sie in dieser anderen Welt, in Deutschland überrascht?
Mich überrascht bis heute noch vieles. Zum Beispiel die Diskussion um die Strafbarkeit von Containern. Für jemanden aus Guyana ist es völlig unverständlich, überhaupt darüber zu diskutieren, ob man sich Essen aus dem Mülleimer holen darf.
Zur Person
1979 wurde Glenda Obermuller in Guyana an der südamerikanischen Atlantikküste geboren. Ihr Nachname geht auf einen deutschen Urgroßvater aus dem Schwarzwald zurück, ihre Eltern sind schwarzer (Vater) bzw. indigener Herkunft (Mutter). Nach der High School und einer Wirtschaftsausbildung kam sie mit 24 Jahren nach Deutschland.
Die Euphorie um Barack Obamas Wahlsieg 2009 brachte sie dazu, das deutsche Abitur zu machen und anschließend ein Lehramtsstudium an der Universität zu Köln aufzunehmen. 2017 war sie Mitgründerin der „Sonnenblumen Community Development Group“, die Schwarze Menschen auf allen Ebenen unterstützt. Fünf Jahre später eröffnete sie mit anderen die Theodor Wonja Michael Bibliothek, die erste Schwarze Bibliothek in NRW.
Darüber hinaus ist sie in weiteren Hilfs- und Aufklärungsorganisationen tätig. Dieses Jahr erscheint das von ihr mitkuratierte Buch „Neue Töchter Afrikas“ (Unrast Verlag). Noch den ganzen Februar über gehen im Rahmen des Black History Month diverse von ihr mitgeplante Veranstaltungen über die Kölner Bühnen. Glenda Obermuller wohnt in Buchheim.
Sie haben mit 32 das Abitur gemacht und hatten Deutsch als Leistungskurs. Welche Autoren gefielen Ihnen?
Oh, ich liebte die deutsche Klassik, alles von Schiller und Goethe. Lernen hat mich begeistert, ich wollte alles aufsaugen, alles über dieses Deutschland wissen.
Sie haben zunächst in Siegburg gelebt und kamen dann nach Köln.
Mein Sohn ist Autist, ich war alleinerziehend und habe in Köln studiert. Mein Leben war eine einzige Hetzerei, sehr schwierig, vor allem, wenn man niemanden kennt.
Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten oder sich um Ihren Sohn kümmern?
Dann will ich vor allem meine Ruhe haben, wandern oder auch kochen. Ich bin seit sechs Jahren Vegetarierin und versuche, möglichst mit regionalen und saisonalen Produkten zu kochen.
Ist Köln so tolerant, wie es sich gern sieht?
Köln ist auf jeden Fall toleranter als Siegburg, ich fühle mich wohl hier. Ich betreue aber auch Schwarze Menschen, die in Köln negative Erfahrungen gemacht haben. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Fühlen Sie sich als Schwarze Frau im Kölner Alltag beobachtet?
Nein. Ich versuche das auch auszublenden, weil man damit den Weißen Blick ins Zentrum stellt.
In Guyana schwelen seit der Unabhängigkeit 1966 ethnische Konflikte zwischen Afro- und Indisch-Guyanern.
Ich bin mit Rassismus aufgewachsen. Mein Vater ist Schwarzer, meine Mutter indigen. Indigene Menschen haben es schwer in Guyana, sie werden häufig zum Spielball der Machtinteressen. Größtenteils sind das Folgen der Kolonialgeschichte unter britischer Herrschaft.
Wir sitzen hier in der 2019 von Ihnen mitgegründeten Theodor Wonja Michael Bibliothek, benannt nach einem sehr interessanten Kölner, der als Schwarzer die NS-Zeit überlebte und später als Journalist, Schauspieler und für den Bundesnachrichtendienst arbeitete.
Mit dieser Bibliothek wollen wir aufklären, neue Perspektiven aufzeigen im Umgang mit Schwarzen Menschen und unsere eigene Geschichte erzählen, die in Deutschland immer noch zu unsichtbar ist. Afrika ist nicht ausschließlich arm, sondern auch sehr reich und vielfältig.
Schwarze Literatur ist Literatur von und über Schwarze/n. Aber unterscheidet sie sich auch in ästhetischer Hinsicht?
Schwarze Literatur ist natürlich genauso vielfältig wie weiße. Aber es gibt eben bestimmte Merkmale, kulturelle Phänomene, die nur Schwarze Menschen kennen.
Zum Beispiel?
Denzel Washington wurde mal gefragt, warum er auf einen schwarzen Produzenten bestand. Er antwortete, dass nur Schwarze diesen Geruch kennen, wenn sonntagmorgens vor der Kirche die krausen Haare mit einem heißen Eisen geglättet werden. Übrigens haben Sie gerade nach diesem Insekt geschlagen. Ich hingegen reagiere auf so ein Tierchen gar nicht – wegen meiner Herkunft.
Sie haben die Initiative „N-Wort stoppen“ mitgegründet, der es um die Ächtung der Vokabel „Neger“ geht.
Wieso sprechen Sie das Wort aus?
Weil es meiner Meinung nach in sachlichen Zusammenhängen erlaubt bleiben muss. In Ihrer Bibliothekssammlung steht unter anderem der verfilmte Besteller „Neger, Neger, Schornsteinfeger!“ von Jürgen Massaquoi. Den kann man ja nicht umbenennen.
Es freut mich, wenn sich Menschen mit dem Thema auseinandersetzen und wissen, woher das Wort kommt. Schwarze Menschen verbinden mit dem N-Wort Schmerz, Erniedrigung und Entmenschlichung. Weiße Menschen sollten sich fragen, warum sie dieses Wort unbedingt weiter benutzen wollen. In der Ansprache sollte man sich an die Selbstidentifizierung des Gegenübers halten und dessen Wunsch respektieren.
Das sollte selbstverständlich sein. Aber was machen wir etwa mit der literarischen Figur des „Nigger Jim“ aus Mark Twains Huckleberry Finn?
Es gibt verschiedene Lösungen. Warum sollte man die Figur nicht anders bezeichnen – als Schwarzer Mann etwa.
Das könnte man auch als Eingriff in die Kunstfreiheit verstehen.
Sprache war schon immer im Wandel. Ebenso könnte man mit Fußnoten oder einem erläuternden Vortext arbeiten.
Die Aussage „Das Lied ,Zehn kleine Negerlein’ gilt heute als rassistisch“ kann nicht ersetzt werden durch „Zehn kleine N-Wörterlein …“. Hier wird das N-Wort in rein sachlichem Zusammenhang benutzt.
Wie gesagt: Ich verstehe nicht, warum weiße Menschen das N-Wort so unbedingt brauchen. Das Lied können Sie ruhig weitersingen. Aber „Zehn kleine Entchen“ oder so tut es genauso.
Darauf können wir uns einigen. Sie wurden vor einem Jahr in das „Expert*innengremium (Post)koloniales Erbe Kölns“ berufen. Was tun Sie dort?
Wir sollen bis nächstes Jahr ein Papier entwickeln zu Kölns Umgang mit seinem kolonialen Erbe. Ich betreue den Bereich Bildung und kümmere mich zum Beispiel um rassistische Klischees in der Kinderliteratur. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Aufklärung und Sensibilisierung von Lehrerinnen und Lehrern.
Wie ernst ist es den städtischen Stellen Ihrem Eindruck nach mit dieser Expertise?
Wir werden sehen. Ich bin gespannt und nehme die Stadt zunächst mal beim Wort. Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt.
Was sollte sich in Köln vordringlich ändern?
Kommen wir zurück zum N-Wort. Köln war im Mai 2020 die erste deutsche Stadt, die es geächtet hat. Der Kölner Rat stellte fest, dass die Verwendung des Wortes rassistisch sei. Aber niemand weiß, dass dieser Beschluss gefasst wurde.
Stimmt, wusste ich auch nicht.
Genau das meine ich. Es reicht nicht, so etwas zu beschließen. Man muss auch offensiv damit umgehen.