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Interview mit Kölner Museumskuratorin„Hinter jedem Bild stecken eine, viele Erzählungen“

Lesezeit 7 Minuten
Klimaschutz und ästhetische Ansprüche dürfen nicht gegeneinander ausgepielt werden, findet Miriam Szwast.

Klimaschutz und ästhetische Ansprüche dürfen nicht gegeneinander ausgepielt werden, findet Miriam Szwast.

Miriam Szwast ist Kuratorin für Fotografie am Museum Ludwig. Mit Bernd Imgrund spricht sie über die Geheimnisse der Kunst und wie sie das Haus klimaneutral machen will

Für das Foto durchqueren wir mehrere Ebenen des Museum Ludwig. Es ist Montag, das Museum menschenleer – und deshalb sehr atmosphärisch.

Sie sind in den USA geboren. Warum?

Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Amerikaner. Aber ich kam schon mit vier Jahren nach Deutschland, von Florida in die Pfalz.

War das ein Kulturschock?

Durchaus! Die Weite des Raumes, die Wärme Floridas und seiner Menschen habe ich erstmal vermisst. Die Herzlichkeit der Amerikaner und meiner Verwandten dort genieße ich bis heute.

Wenn Sie sie in der Pfalz nicht wiedergefunden haben, dann doch bestimmt im so offenherzigen Köln.

Ja. Vor allem im Vergleich zu Berlin, wo ich acht Jahre gelebt habe. Nichts gegen die Berliner Schnoddrigkeit, aber diese offene Art der Rheinländer gefällt mir schon sehr.

Welche Rolle spielt die Fotografie im Ludwig, und welche sollte sie spielen?

(zögert) Manchmal denke ich, die Sammlung Fotografie ist so etwas wie der Blinddarm des Museums. Meine spannende Aufgabe ist es, die insgesamt 70 000 Werke in den Gesamtbestand zu integrieren. Die Sammlung Fotografie reibt sich daran, nicht zuletzt, weil sie schon im frühen 19. Jahrhundert beginnt und neben künstlerischer auch angewandte Fotografie beinhaltet.

Passt überhaupt nicht zum Ludwig-Profil, stimmt's?

(lacht) Passt großartig! Man muss sich nur ein bisschen von seinen althergebrachten Kunstvorstellungen lösen, dann lässt sich da vieles miteinander in Verbindung bringen. Ein größeres Problem ist demgegenüber, dass Fotografie kein Tageslicht verträgt.

Wird die Kunstform Fotografie durch die heutige Digitaltechnik entwertet?

Ich betrachte die Digitalisierung von analogen Fotografien als Appetizer für das Original. Die historischen Papiere − die Größen, Oberflächen und Farbtöne, die Stockflecken, Knicke und Risse – haben eine Bandbreite, die nicht ins Digitale übersetzt werden kann. Ein analoges Werk zeigt, dass es gelebt hat.

Achten Sie bei Ihren Handyfotos auf Lichteinfall, Blickwinkel, Hintergründe etc.?

Da bin ich minimalistisch, ich habe kein großes Interesse am Knipsen. (lacht) Natürlich habe ich Kurse besucht, auch zu historischen Techniken. Ich will ja verstehen, wie dies und jenes entstand. Aber jenseits dessen genieße ich lieber die Bilder von anderen als meine eigenen.

Nehmen wir Andreas Gursky: weltberühmt nicht zuletzt, weil er seine großformatigen Fotowerke digital manipuliert.

Manipulierte Fotos gibt es seit Beginn der Fotografie. Es ist eine spannende Herausforderung, solche Werke zu entschlüsseln.

Inwiefern vermitteln Fotos Wahrheit?

Die Realität ist natürlich viel komplexer als eine zweidimensionale, kleine Fotografie. Mich interessiert durchaus, was auf einem Bild zu sehen ist, aber noch mehr, was ich eben nicht sehe. Es geht um Fragen wie: Was wurde hier weggelassen, was wurde verdichtet und warum? Hinter jedem Bild stecken eine, viele Erzählungen.

Fotos, wie Gemälde, enden nicht am Rahmen?

Nein. Jedes Bild verdankt sich einer Wahl, die jemand getroffen hat. Das beinhaltet auch die Entscheidung, anderes nicht auszuwählen und dadurch unsichtbar zu lassen. Hätte man selbst am Ort des Fotografen gestanden, hätte man vielleicht einen völlig anderen Rahmen gewählt. Wir kennen das von Fotos, die ein Ereignis fokussieren, während die anderen 180 Grad drumherum vielleicht ganz anders gewirkt hätten.

In Ihrer viel besprochenen Ausstellung „Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen“ ging es um Nachhaltigkeit. Die Einladungskarten bestanden aus Samenpapier. Was war die Botschaft?

Wir haben uns für diese Ausstellung in allen Abteilungen gefragt, an welchen Stellen wir nachhaltiger agieren können. Papier wird im Museumsbetrieb en masse verbraucht. Druckerfarbe enthält meist Mineralöl, die Stapel werden in Plastik eingeschweißt und unter Umständen von weit her geliefert. Aber Samenpapier zersetzt sich mit der Zeit. Die Menschen sollten die Einladungen in Pflanzen verwandeln können.

Städtische Kultureinrichtungen fressen Strom und Ressourcen ohne Ende. Sind Samenkarten demgegenüber nicht Kinkerlitzchen?

Absolut! Aber es geht eben auch um Psychologie, darum, kleine Zeichen zu setzen. Wir kennen alle die großen Herausforderungen in Museen: weltweite Kunsttransporte etwa oder das gleichbleibende Klima in den Ausstellungsräumen.

Wo kommt man mit größeren Schritten voran?

Das Museum Ludwig wird vom Amt für Gebäudewirtschaft der Stadt Köln betrieben. Wir haben mit darauf hingewirkt, dass das Museum seit 2021 Grünen Strom bezieht. Wir rüsten um auf LED und merken, dass der Stromverbrauch dadurch sinkt. Und natürlich hätten wir auch gern Photovoltaik auf dem Dach.

Vermutlich sind die Architekten Busmann und Haberer da eher zurückhaltend.

Grundsätzlich erlebe ich sie beim Klimaschutz voll mit an Bord. Aber natürlich gilt es, die Anliegen sinnvoll zusammenzuführen – also ästhetische und klimafreundliche nicht gegeneinander auszuspielen.

Die beiden sagen nein zur Photovoltaik?

Konkrete Gespräche wurden noch nicht geführt, weil wir auch selbst erst die Optionen kennenlernen müssen. Standardlösungen gibt es einfach nicht, um ein Museum zu einem grünen Museum zu machen.

Museen haben eine weitaus schlechtere Klimabilanz als Opernhäuser, sogar als Festivals. Warum eigentlich?

Sie müssen 24 Stunden klimatisiert werden, den ganzen Tag brennt das Licht. Wir reden da von riesigen Gebäuden mit hohen Hallen wie etwa dem Ludwig-Treppenhaus. Wie bei Theatern fließt zudem die Anreise der Besucher in die Bilanz ein und ebenso die Transporte der Werke.

2035, in gerade einmal zwölf Jahren, soll das Ludwig klimaneutral betrieben werden. Illusorisch, oder?

Es ist eine immense Herausforderung. Ob wir das schaffen oder nicht, hängt nicht allein von Technik und Finanzen ab. Es geht auch um den Mut umzudenken und uns als Museum ein Stück weit neu zu definieren.

In welcher Hinsicht?

Um einen Punkt herauszugreifen: Wir übertreffen uns permanent in der Zahl der Ausstellungen, wollen Besucher und Presseresonanz immer weiter steigern und so weiter. Aber geben wir uns wirklich die Zeit, über klimaneutrale Transporte nachzudenken? So wie der Betrieb heute angelegt ist – Output-orientiert – schaffen wir das nicht.

Es geht um die Quote, wie im Fernsehen.

Genau. Aber jeder Einzelne von uns muss die Zeit bekommen, nach neuen Wegen zu suchen, sonst wird sich nichts nachhaltig ändern. Natürlich wollen wir Resonanz und Erfolg. Wir wollen mehr Kultur, nicht weniger. Aber wir müssen uns zugleich dazu befähigen, einen gewissen Wachstumsschmerz auszuhalten.

Sie sprechen im Zusammenhang mit diesen Transformationsplänen von Kreativität und Sinnlichkeit. Was ist sinnlich am Stromsparen?

Ganz plakativ: Ein begrüntes Museum macht mehr Spaß als eine Betonfassade. Außerdem kühlen Pflanzen das Mauerwerk und fördern die Insektenpopulationen.

Kuratorin für Ökologie hier im Ludwig sind Sie seit 2021. Hat Ihr Chef inzwischen manchmal Angst vor Ihnen und versteckt sein Auto in der Tiefgarage?

(lacht) Es wird schon manchmal gefrotzelt: Das sagen wir besser nicht Miriam. Aber ich habe hier intern keinerlei Widerstand erlebt, wir haben alle dasselbe Ziel.

Beeinflusst die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit Ihr Privatleben?

Ich weiß mehr. Und je mehr man weiß, desto mehr überdenkt man das eigene Verhalten.

Welche Laster leisten Sie sich noch?

Ich esse nach wie vor gelegentlich Fleisch. Ich habe diverse Seifenshampoos ausprobiert und lande trotzdem bei der Plastikflasche. Und ich bin halbe Amerikanerin, ich fahre wahnsinnig gern Auto. Auch wenn ich kein eigenes habe.

Sie können das noch genießen?

Ich versuche es. Die totale Askese ist nicht gesund, das Verbieten darf nicht stärker werden als die Vision. Wer den Zeigefinger erhebt, bekommt den Stinkefinger zurück.


Zur Person

1977 wurde Miriam Szwast in Philadelphia geboren und lebte dann vier Jahre in Florida. Sie studierte Kunstgeschichte in Saarbrücken, Frankfurt und Hamburg. Nach der Promotion volontierte sie an den Staatlichen Museen zu Berlin. Seit 2013 arbeitet sie als Kuratorin für Fotografie am Museum Ludwig. 2019 war sie Initiatorin des Teams Nachhaltigkeit am Ludwig, seit 2021 ist sie zusätzliche Kuratorin für Ökologie.

2022 organisierte sie die viel beachtete Ausstellung „Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen“. Im September 2023 schließlich brachte sie gemeinsam mit dem Kulturdezernat und 18 Kölner Kultureinrichtungen das Projekt „Köln hoch 3 – Kultur weiterbilden, bilanzieren, transformieren“ auf den Weg. Soeben eröffnet: Die von ihr kuratierte Ausstellung „Walde Huth. Material und Mode“.

Miriam Szwast wohnt in Ehrenfeld.