Auslöser der Gewaltorgie ist der Raub von mehr als 300 Kilo Cannabis aus einer Halle in Hürth. Verantwortlich sollen Kriminelle aus den eigenen Reihen sein.
Explosionen und Schussabgaben im RheinlandKölner Drogenbande zerlegt sich selbst

Nach der Explosion vor dem Nachtclub Vanity auf den Kölner Ringen suchten Ermittlerinnen und Ermittler nach Spuren und Beweismitteln.
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Immer wieder haben Explosionen in Hauseingängen und Schüsse auf Gebäudefassaden in den vergangenen Wochen und Monaten für Aufruhr gesorgt. Kölns Kripochef Michael Esser sprach von einem „neuen Gewaltphänomen“, das in diesem Ausmaß ein „neues Phänomen“ darstelle. Lange galt ein Streit rivalisierender Drogenbanden als Ursache, nachdem rund 300 Kilogramm Cannabis geraubt worden waren. Die Ermittlungen der Behörden deuten nun darauf hin, dass eine im rechtsrheinischen Köln ansässige Drogengruppierung für die Taten verantwortlich ist. Das Cannabis soll von Personen aus den eigenen Reihen entwendet worden sein. Die Antworten auf wesentliche Fragen:
Was ist über die Kölner Gruppe bekannt?
Viele Verdächtige, die der Gruppe zugerechnet werden, sollen aus dem rechtsrheinischen Köln stammen, als Schwerpunkt gilt der Stadtteil Kalk. Als „Schlüsselfigur“ dieser Vereinigung gilt laut Polizei ein 22-jähriger Deutsch-Iraker aus Köln. Er war am 1. Oktober am Pariser Flughafen Roissy festgenommen worden, nachdem die Kölner Polizei einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erwirkt hatte. Die Auslieferung nach Deutschland wurde beantragt, ist aber bislang noch nicht erfolgt. Über die Größe der Gruppierung schweigen die Ermittlungsbehörden. Der 22-Jährige soll für die Lagerung von 750 Kilogramm Cannabis in einer Halle in Hürth-Kalscheuren verantwortlich sein. Diese Drogen hatte die Kalker Gruppierung laut Staatsanwaltschaft in den Niederlanden auf Kommissionsbasis bei dortigen Kriminellen „angekauft“. Der Wert des Cannabis soll bei etwa zwei Millionen Euro liegen.
Was ist der Auslöser für die Anschläge?
Aus der bewachten Lagerhalle war Mitte des Jahres knapp die Hälfte des Cannabis verschwunden, die Rede ist von mindestens 300 Kilogramm. Ein enormer finanzieller Schaden für die Kalker Gruppe. Verantwortlich sollen jedoch eigene Mitglieder sein. Dies war nach bisherigen Kenntnissen der Behörden der Auslöser für die Gewaltorgie der folgenden Wochen. Das Ziel: Die Einschüchterung Verdächtiger, um Informationen zum Verbleib der Drogen zu erlangen.
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Welche Verbindungen gibt es in die Niederlande?
Bei der versuchten Wiederbeschaffung des Cannabis sollen sich die Kölner Kriminellen Unterstützer aus den Niederlanden eingekauft haben. „Die Beweislage spricht dafür, dass Mitglieder der Kölner Gruppierung Personen aus den Niederlanden gegen Entgelt damit beauftragt haben könnten, sich an Entführungen zu beteiligen und Gewalt auszuüben“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Zunächst waren Tatverdächtige mit niederländischem Pass am 25. Juni an einer Entführung in Hürth beteiligt. Wenige Tage später sollen weitere Verdächtige einen Libanesen (34) und dessen Freundin in Bochum entführt und dann in einer Villa in Rodenkirchen schwer misshandelt haben.
Die Beweislage spricht dafür, dass Mitglieder der Kölner Gruppierung Personen aus den Niederlanden gegen Entgelt damit beauftragt haben könnten, sich an Entführungen zu beteiligen und Gewalt auszuüben
Offenbar nahmen die Täter an, dass Familienangehörige der Entführten mit dem Raub des Cannabis in Zusammenhang stehen. Ein 24-Jähriger aus Gelsenkirchen sollte eine der Geiseln in Rodenkirchen erschießen, hatte aber eine Zigarettenpause zur Flucht genutzt (wir berichteten). Die „Tatherrschaft“, so nennt es die Kölner Staatsanwaltschaft, soll stets bei der Kölner Gruppierung gelegen haben. Nach den Explosionen vor dem Vanity-Club auf den Ringen und vor einem Geschäft in der Ehrenstraße wurden zwei Verdächtige von Kameras erfasst. Sie werden ebenfalls in den Niederlanden vermutet.
Wie viele Verdächtige wurden bislang gefasst?
Als Reaktion auf die Explosionen und Schüsse hat die Polizei eine gesonderte Ermittlungsgruppe eingerichtet, der 60 Ermittlerinnen und Ermittler angehören. Bei der Staatsanwaltschaft, die sich schwerpunktmäßig mit der Bekämpfung organisierter Kriminalität befasst, beschäftigen sich fünf Personen mit der Anschlagsserie. Derzeit werden 35 Strafverfahren geführt, 16 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft. Allein nach der Entführung in Rodenkirchen waren acht Personen festgenommen worden. Nur drei der in Haft sitzenden Personen stammen aus den Niederlanden.
Wie geht es in dem Verfahren weiter?
In den kommenden Monaten sollen bei der Staatsanwaltschaft die ersten Anklagen gegen Verdächtige fertiggestellt werden. Am Landgericht wird bereits über Sicherheitsmaßnahmen für die Prozesse gegen die Mitglieder der Drogenbande beraten werden. Nach Rundschau-Informationen wird darüber nachgedacht, den Hauptbeschuldigten mit dem Hubschrauber ins Gerichtsgebäude an der Luxemburger Straße in Sülz zu fliegen.