Köln – Vor einer Woche sickerte durch, dass SPD-Fraktionschef Martin Börschel neuer hauptamtlicher Geschäftsführer der Stadtwerke werden soll. Die Exklusivmeldung der Rundschau platzte in die Aufsichtsratssitzung, der Beschluss wurde vertagt. Nun ist die Oberbürgermeisterin eingeschritten. Blick auf eine Woche, die die Kölner Kommunalpolitik verändern wird.
Am Nachmittag des Dienstags, 18. April, geht eine Einladung zur Pressekonferenz in der Rundschau-Redaktion ein. Martin Börschel bittet für den nächsten Tag zu einem Hintergrundgespräch, um über „diverse aktuelle Entwicklungen“ zu reden. Der 45-Jährige, einer der einflussreichsten Politiker im Bundesland, steht am Scheideweg seiner Karriere. Börschel galt als Kandidat für die Fraktionsspitze im Landtag. Am gleichen Tag erklärt der bisherige SPD-Vize der Landtagsfraktion, dass er sich auf „Aufgaben in Köln“ konzentrieren werde. Börschel ist frustriert über das Gerangel um die Führung in Düsseldorf. Er kritisiert „Hinterzimmer“-Deals, fordert Transparenz.
Die Sitzung
Wenig später, um 18 Uhr am selben Tag, kommt der Aufsichtsrat der Stadtwerke am Neuehrenfelder Parkgürtel zu einer Sondersitzung zusammen, es geht später als geplant los. Auf der Tagesordnung im riesigen Konrad-Adenauer-Saal steht der Punkt „Besetzung der Geschäftsführung“. Börschel, bisher Chef des Aufsichtsrats, nimmt nicht an der Sitzung teil, seine Funktion ruht. Sein Vize Harald Kraus, Betriebsratschef der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB), leitet das Gremium und ist damit für Vorbereitung und Durchführung der Sitzung zuständig.
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Eine schriftliche Unterlage zu dem gewichtigen Tagesordnungspunkt gibt es nicht. Das 19-köpfige Gremium wird mündlich darüber unterrichtet, dass Jurist Börschel als neues Mitglied der Geschäftsführung tätig werden soll, der Posten werde eigens geschaffen. Das heißt, er legt alle politischen Ämter nieder. Die Spitze der Stadtwerke-Holding bilden derzeit Rheinenergie-Chef Dieter Steinkamp und KVB-Chef Jürgen Fenske, quasi nebenamtlich. Aufrücken in die Geschäftsführung soll Netcologne-Chef Timo von Lepel, um die Digitalisierung voranzutreiben. Börschel soll für die strategische Entwicklung zuständig sein. Sein Jahresgehalt soll dem Vernehmen nach mit Altersbezügen bei bis zu 500.000 Euro liegen.
Der geplatzte Beschluss
Schon zu Sitzungsbeginn wird eine Mitteilung von Oberbürgermeisterin Henriette Reker verlesen. Sie befindet sich auf Dienstreise in Augsburg, kann nicht teilnehmen. In der eingesandten Erklärung verweist sie auf den Formfehler, dass es keine schriftliche Vorlage gebe, eine Abstimmung unmöglich sei. Das Gremium befasst sich dennoch mit der Personalie, verlesen wird das Gutachten eines Personalberatungsunternehmens. Einen Gegenkandidaten zu Börschel gibt es nicht. Um 19.27 Uhr geht die Exklusivmeldung der Rundschau über die geplante Berufung Börschels online. Ein Sitzungsteilnehmer reckt sein Smartphone in die Höhe, die Botschaft ist in der Welt, die Geheimniskrämerei vorbei. Das Gremium verschiebt den Beschluss auf eine Sitzung in den kommenden zwei Wochen.
Die Erklärung
Am Folgetag nimmt Martin Börschel im Rathaus Stellung. Er spricht über „die schwerste Entscheidung seines politischen Lebens“, über den scharfen Wettbewerb der Stadtwerke, den hohen Koordinierungsaufwand und dass all dies nicht nebenberuflich zu regeln sei. Dem Vorwurf, er habe seine Aufsichtsratsfunktion genutzt,um sich den attraktiven Job zu sichern, begegnet er: Er habe seine Aufsichtsratsfunktion ruhen lassen, als klar wurde, dass der Job für ihn interessant sei. Dann habe er sich dem Test einer Personalberatungsagentur gestellt. Börschel: „Ich habe ein reines Gewissen.“
Kritik der OB
Am Tag nach Börschel äußert sich Reker. Deutlich. Sie hätte ein Verfahren erwartet mit einer „transparenten Bestenauswahl“. Ihre Zustimmung lässt sie offen. Tatsächlich wurde die Entscheidung vorbereitet vom Viererausschuss des Stadtwerke-Aufsichtsrats. Dem gehören neben den Betriebsratschefs von Rheinenergie und KVB, Wolfgang Nolden und Harald Kraus, der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank sowie CDU-Partei- und Fraktionschef Bernd Petelkau an. Eine Konstellation mit Sprengstoff. Denn: Die schwarz-grünen Vertreter – eigentlich Rekers Unterstützer – haben die Personalie wohl an der OB vorbei geplant.
Laut Stadt hat Rekers Büro die Einladung bekommen und wie üblich um Unterlagen zur Vorbereitung gebeten. Nur: Trotz Aufforderung kamen keine Unterlagen. Der Punkt „Besetzung der Geschäftsführung“ blieb demnach bis Dienstag unklar, Reker wäre erst in der Sitzung informiert worden.
Die Stadt teilte mit: „Da keine Unterlagen übermittelt wurden, hat die Oberbürgermeisterin Widerspruch zu einer möglichen Beschlussfassung eingelegt.“ Erst danach seien Reker offiziell Unterlagen zugeleitet worden – am „späten Dienstagnachmittag“.
Ein unglaublicher Vorgang. Die Bürgermeisterin einer Millionenstadt soll quasi en passant erfahren, wer zukünftig den wichtigsten Konzern führt. Kanzler-Enkel Konrad Adenauer ist auf dem Baum, bezeichnet das Verfahren als einen „Coup wie in der Unterwelt“. Das „Regierungsbündnis hat seine Unschuld verloren“, das Ganze ekele ihn an.
Der Preis für den Deal
Es ist die Frage aller Fragen: Warum will Schwarz-Grün Börschel, den Gegner schlechthin, zu einem Vertrag in Millionenhöhe verhelfen? Klar, Börschel per goldenen Handschlag aus dem Rat zu kegeln, ist quasi der Knockout für die SPD. Aber, so der Tenor: Das reicht nicht. Bekommt die CDU doch den KVB-Chefposten, wenn Fenske Ende 2018 abtritt? Stimmt die SPD der von Schwarz-Grün angedachten Abwahl von Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach zu? Wird Petelkau Chef des Verwaltungsrates der Sparkasse Köln Bonn? Und was bekommen die Grünen? Möglicherweise das Verkehrsdezernat, falls Dezernentin Andrea Blome zur KVB wechselt?
Politische Kultur
Alles wie immer: Hinterzimmer, Posten-Geschacher, Versorgungs-Politik. Eigentlich war Reker mit CDU, Grünen und FDP angetreten, um das zu ändern, wollte einen neuen Politikstil. Aber schon Ende 2016 sagte sie: „Dass man Stellenbesetzungsverfahren unabhängig vom Parteibuch vornimmt, das wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.“
Die Schubumkehr
Der Deal wird öffentlich, von Klüngel ist die Rede. Die Bürgerinitiative „Köln kann auch anders“ startet eine Online-Petition. Das wohl geplante Drehbuch ist dahin, Petelkau und Co. hatten sich vermutlich gedacht: Die paar Tage miese Presse halten wir aus, die Fakten sind ja geschaffen. Erst langsam macht sich die Einsicht breit, das Verfahren nachvollziehbar zu machen. Zuerst fordern das die Grünen, am Mittwoch folgen CDU und Börschel. Worte wie Transparenz fallen – da ist es erst eine Woche her, dass ein elitärer Zirkel einen Millionen-Deal mal eben so durchdrücken wollte.
Die möglichen Folgen
Reker hat gerade Halbzeit ihrer fünfjährigen Amtszeit, peilt eigentlich eine zweite ab 2020 an. Aber nun ist zumindest offen, ob sie gestärkt oder geschwächt aus der Affäre herauskommt. Reker, so der Eindruck, ist einsame Spitze. Sie schießt verbal zurück in Richtung Politik, das dürften Frank und Petelkau nicht vergessen.
Hält das Bündnis auch 2020, wenn Kommunal- und OB-Wahl anstehen? Finden sie wieder zusammen, weil die Machtperspektive zu verlockend ist? Oder bricht das Bündnis? Klar ist: In Köln ist seit Dienstag vieles auf links gedreht worden.