Rund um den Parteikonvent der CDU am Wochenende zeigte sich wieder: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst macht Parteichef Friedrich Merz zunehmend die Kurshoheit streitig.
Rundschau-Debatte des TagesLiefern sich Merz und Wüst ein Fernduell um die K-Frage?
Die Arbeitsteilung am vergangenen Sonntag liefert mal wieder Hinweise, dass die Führungsfrage in der Union in einem ziemlich asymmetrischen Kampf ausgefochten werden dürfte. CDU-Parteichef Friedrich Merz äußert sich im ZDF mit sorgenzerfurchter Stirn über eine „krisenhafte Zuspitzung in unserer Demokratie“ und verweist auf zersetzende Unzufriedenheit in allen Ecken der Gesellschaft – „leider auch“ mit der schwarz-grünen Landesregierung in NRW. Deren Chef Hendrik Wüst sitzt derweil gut gelaunt in Turnschuhen auf einer Kinderfest-Bühne in Bochum und lässt sich von Klara (10) und Tjade (11) interviewen.
So geht das schon seit Monaten. Merz will die Ampel-Koalition attackieren, das Grundsatzprogramm der CDU renovieren und eigentlich die AfD halbieren. Wüst dagegen hält Grußworte, durchquert Werkshallen und verleiht Orden. Die schwarz-grüne Koalition des 47-Jährigen arbeitet seit einem Jahr streitfrei. Und wenn es mal knallt wie im Braunkohle-Protestdorf Lützerath, beim Landeshaushalt oder der Download-Panne im Zentralabitur – am Ministerpräsidenten persönlich bleibt nichts hängen.
Merz’ Autorität steht in Frage
Dem Sauerländer Merz konnten die Verhältnisse in seinem Heimat-Landesverband lange recht sein. Ohne eine starke NRW-CDU, die mit Abstand mitgliederstärkste Parteigliederung, kommt die Union im Bund nicht wieder auf die Beine. Und ohne die 20 Jahre jüngeren schwarz-grünen Brückenbauer wie Wüst oder Daniel Günther in Schleswig-Holstein fehlt auch in Berlin die Machtoption. Doch plötzlich steht seine Autorität als geborener Kanzlerkandidat in Frage. Schon länger ist in der Union nicht mehr die Rede davon, dass der Partei- und Fraktionsvorsitzende Merz im nächsten Sommer „den ersten Zugriff“ auf die Scholz-Herausforderung 2025 habe. Bahnt sich ein Duell mit Wüst an?
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Wüst setzt sich demonstrativ ab
Der smarte Ministerpräsident steht in Umfragen deutlich besser da als sein Parteichef. Vor allem setzt er sich seit Jahresbeginn inhaltlich ab. Nach Merz’ „Pascha“-Äußerung über Migrantensprösslinge umarmte Wüst auch jene als „unsere Kinder“. Im Mai verlieh er demonstrativ Angela Merkel den NRW-Staatspreis, nachdem Merz zuvor schon Schwierigkeiten hatte, der Altkanzlerin zum höchsten Verdienstorden der Bundesrepublik zu gratulieren.
Mit einem Gastbeitrag in der „FAZ“, der sich von Merz’ Gender-Debatten abgrenzte und der Union den „Herzschlag der Mitte“ empfahl, untergrub Wüst zuletzt endgültig die Kurshoheit des Vorsitzenden. Zumal er flankierend die Mitsprache der CDU-Landesverbände bei der Kanzlerkandidatur einforderte. Genau diese beackert der bestens vernetzte Wüst auffallend emsig. Auch in den Landtagswahlkämpfen in Bayern und in Ostdeutschland soll der Münsterländer als Redner bereits fest eingeplant sein.
Volkspartei als Projektionsfläche
Zunächst gingen viele davon aus, dass das Winken mit der Kanzlerkandidatur nur eine taktische Figur sei. Es gehört zur Jobbeschreibung des Regierungschefs im bevölkerungsreichsten Bundesland, für Höheres gehandelt zu werden. Inzwischen scheint es dem NRW-Regierungschef jedoch um mehr zu gehen. Als sich Merz und Wüst vor 25 Jahren kennenlernten, war der eine ein Wirtschaftsexperte auf dem Weg zur „Bierdeckel-Steuer“ und der andere ein konservativer Haudrauf aus der Jungen Union. Inzwischen hat der Jüngere verinnerlicht, dass die Union als Volkspartei nur Bestand haben kann, wenn sie in einer zerklüfteten Gesellschaft als möglichst große Projektionsfläche funktioniert.
Wüst gibt den mittig-modernen Jungvater, der Windeln wechselt, den Christopher Street Day eröffnet, den Dienstwagen gegen das Fahrrad tauscht und fehlerfrei auf jeder Social-Media-Welle reitet. Er ist ein bisschen klimaneutral und ein bisschen wirtschaftsliberal, aber nie konfrontativ oder fordernd. Mit Schwiegersohn-Charme vermittelt er zugleich der älteren Stammwählerschaft im ländlichen Raum das Gefühl, dass es so schlimm schon nicht kommen werde mit diesen neuen Zeiten. In Düsseldorf geht man fest davon aus, dass das brachiale Ampel-Bashing der Merz-CDU nur das Geschäft der AfD betreibt.
Taktik mit bislang offenem Ziel
Wie weit Wüst die Konfrontation treiben will, ist unklar. Aufreizend betont er, „aktuell“ in NRW gebunden zu sein. Nach der bayerischen Landtagswahl im Oktober muss sich zudem weisen, wie treu CSU-Chef Markus Söder seiner politischen „Lebensaufgabe“ in München sein will. Wüst und Söder kennen sich aus gemeinsamen Tagen als wortflinke Generalsekretäre im „Einstein-Pakt“, der vor 16 Jahren der Union eine konservative Rückbesinnung verordnen wollte. In der K-Frage gerufen oder zumindest für den Besseren als Merz gehalten zu werden – das könnte beiden gefallen.