Mit Martin Sander rückt erstmals seit langem in Deutschland ein Mann an die Spitze des Autobauers, der nicht aus dem Konzern selbst kommt.
Er soll ihn aus der Krise führen und die Pkw elektrifizieren
Köln – Sein gesamtes bisheriges Berufsleben hat Martin Sander bei Audi verbracht – Schwerpunkt Vertrieb und Marketing. Nach dem Studium an der TU Braunschweig stieg der am 12. März 1967 in Hildesheim geborene Maschinenbauer im Juli 1995 als Produkt Manager bei den Ingolstädtern ein, arbeitete sich hoch, leitete von 2009 bis Dezember 2011 als Präsident und CEO Audi Canada, ehe er ins Vereinigte Königreich wechselte. Seit Oktober 2013 ist Sander zurück in Ingolstadt und führte zunächst von Bayern aus den Vertrieb in den USA, im September 2016 übernahm er dann das Audi-Geschäft für den deutschen Markt. Seit Mitte 2019 war er für den Vertrieb Europa verantwortlich. Überraschend teilte er im November 2021 mit, dass er Audi verlässt.
Neue Ideen gegen die Krise gesucht
Nun kommt er also nach Köln. Solch einen Vertriebsprofi braucht Ford. Denn beim Absatz haperte es zuletzt in Europa. Da kommt, wenn Sander ab 1. Juni Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke in Köln wird, wohl gerade die Expertise auf den Automärkten Großbritannien und Deutschland gelegen, die wichtigsten von Ford in Europa. „Ford braucht neue Ideen, wie die Marke in Europa zu stärken ist“, sagt der Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Bei Audi habe der 54-jährige einen guten Job gemacht und das unter schwierigen Bedingungen.
Mit Sander steht erstmals wieder ein Manager an der Ford-Spitze, der nicht aus dem Unternehmen kommt. Vorgänger Gunnar Herrmann, der Ende November vom Vorsitz der Geschäftsführung in den Aufsichtsrat wechselte. war ein Eigengewächs, das schon seine Lehre bei Ford gemacht hatte, bevor er studierte. Dessen Vorgänger Bernhard Mattes, der rund 15 Jahre das Deutschland-Geschäft von Ford gesteuert hatte, kam zwar von BMW, war aber schon drei Jahre Vertriebsvorstand, bevor er auf den Chefsessel kam.
Sander, der sich unter anderem mit Marathonläufen fit hält, gilt als verbindlich und klar in seinen Aussagen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Neben Ford Deutschland soll er auch die Pkw-Sparte von Ford Europa verantworten. Hier folgt er dem Niederländer Roelant de Waard nach, der sich nach 30 Jahren in Ford-Diensten zum Jahresende in den Ruhestand verabschiedet hat. In Sanders Aufgabenbereich werden also zwei bisherige Führungspositionen kombiniert. Dies unterstreiche Fords Engagement, die Elektrifizierung seiner europäischen Produktpalette noch schneller voranzutreiben, betont das Unternehmen.
Der Präsident von Ford of Europe, Stuart Rowley, sagte am Montag: „Martin ist eine sehr erfahrene Führungspersönlichkeit mit einer Fülle an globalen Erfahrungen. Er bringt die Dynamik, Führungsqualität und Ideen mit, die wichtig sind, um die Transformation unseres Pkw-Geschäfts in Europa zu beschleunigen und unseren Kunden neue vernetzte Erlebnisse zu ermöglichen.“ Lob kommt auch von Ford-Betriebsratschef Benjamin Gruschka: „Martin Sander kennt das Thema E-Mobilität, er kennt die Märkte und Segmente, in denen Ford unterwegs ist, und er kennt die deutsche Mitbestimmung.“ Sander habe einen sehr kompetenten Eindruck gemacht und habe offenbar eine Vision.
Ford braucht einen Neustart
Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des CAR-Center Automotive Research in Duisburg, findet die Berufung konsequent. Es sei erwartbar gewesen, dass bei Ford ein neuer Wind einziehen müsse. Der Konzern habe nicht nur Probleme mit der Chip-Zulieferung. Das hätten andere Autofirmen auch. Ein Neustart sei für Ford wichtig. „Martin Sander ist jemand mit frischem Blick, der das Audi-Geschäft seit Jahrzehnten kennt. Das kann nicht von Nachteil sein.“
In Köln erwartet ihn nun eine große Aufgabe. Zuletzt waren die Neuzulassungen bei Ford stark eingebrochen. Gerade einmal 126 358 Pkw kamen 2021 erstmals auf die deutschen Straßen. In guten Jahren waren es über 100 000 mehr. Der Pkw-Marktanteil der Kölner rutschte auf 4,8 Prozent ab, in guten Jahren waren es zuletzt etwa sieben Prozent. Ford ist stark unter die Räder gekommen und belegt gerade einmal Platz 7 in der Rangliste der Autobauer. Nicht nur VW, Mercedes, BMW und Audi zeigten Ford die Rückleuchten, auch Opel und Skoda zogen vorbei. Wie kaum ein anderer Hersteller leidet Ford unter der schleppenden Versorgung mit Halbleitern durch die weltweit gestörten Lieferketten. Diese bremste bereits Mitte Januar vergangenen Jahres die Produktion des Focus im Werk in Saarlouis kräftig aus. Für zunächst vier Wochen ruhte die Fertigung. Weitere Produktionsunterbrechungen folgten.
Chip-Krise und Kurzarbeit
Im März 2021 erreicht die Chip-Krise auch Köln. 15 Tage Kurzarbeit gab es hier zunächst bei der Fiesta-Montage. Kurzarbeit für rund 4000 Mitarbeitende in Köln wurde aber der Normalzustand. Kaum liefen die Bänder nach den Werksferien im August wieder an, da standen sie schon wieder. Fehlende Chips für ein Türmodul eines Zulieferers bremsten. Somit konnten die in den Vorjahren stark nachgefragten Fiesta und Focus nicht für Absatz sorgen. Sander muss bei Ford laut Gruschka nun für die Auslastung der deutschen Werke sorgen und die Standorte zukunftsfähig machen. Keine leichte Aufgabe. In Saarlouis bangen die Mitarbeitenden um die Jobs, wenn dort in drei Jahren der aktuelle Focus ausläuft. Mit dem Werk im spanischen Valencia rangelt Saarlouis um ein neues E-Auto, denn die Verbrenner sind Auslaufmodelle. 2030 will Ford nur noch E-Pkw anbieten. Derzeit stehe es nicht gut für Saarlouis, sagt Bratzel. Ford müsste schon große Wachstumsperspektiven in Europa sehen, um das Werk zu erhalten.
Auch stellt sich die Frage, was mit den Werken für Verbrennungsmotoren des Konzerns passiert, von denen eins in Köln steht. Denn in die Elektromobilität müsse der Konzern massiv investieren. Die habe Ford verschlafen, gehe jetzt als Nachzügler in ein schwierige Rennen. Im kommenden Jahr läuft in Köln zwar ein E-Auto auf VW-Basis vom Band. Aber: „Ford braucht eine eigenen Plattform“, sagt Bratzel. So lasse sich der Wertschöpfungsanteil erhöhen. Außerdem könne sich Ford nur so differenzieren gegenüber Konkurrenten wie VW, Stellantis mit Marken wie Peugeot und Opel sowie Hyundai/Kia.
Ford dürfe jedenfalls in Europa nicht weiter schrumpfen, so Bratzel. General Motors, die Opel verkauft haben, ist mahnendes Beispiel. Dabei habe es Ford viele Jahre besser gemacht als Opel, so Bratzel. Die letzten Jahre allerdings nicht. Das muss freilich nicht so bleiben. Bratzel misst regelmäßig die Innovationsstärke der Autobauer. Und da habe Ford zuletzt zugelegt.