AboAbonnieren

Weltmeister-Interview zum FC-Derby„Da ist doch für Hass und Gewalt kein Platz“

Lesezeit 5 Minuten
Rainer Bonhof

Rainer Bonhof 

  1. Rainer Bonhof ist seit 2009 Vizepräsident der Mönchengladbacher Borussia. In 19 Derbys gegen den 1. FC Köln, für den Bonhof von 1980 bis 1983 spielte, stand er elf Mal – bei drei Unentschieden und fünf Niederlagen – auf der Siegerseite.
  2. Harald Pistorius sprach mit dem 70-Jährigen über den Reiz und die Schattenseiten des Derbys im Jahr 2022.

Herr Bonhof, etwas mehr als zwei Jahre nach dem ersten Geisterspiel der Bundesliga-Geschichte steigt nun endlich wieder ein Derby in einem vollen Haus. Wie erinnern Sie sich an das Spiel gegen den FC im leeren Borussia-Park?

Wir standen ja alle unter dem Schock des Pandemieausbruchs mit den vielen Toten und Schwerkranken. Alle fragten sich: Soll und darf der Fußball einfach weitermachen? Das Spiel selbst war ein geradezu unwirkliches Ereignis. Das war Fußball, wie man ihn noch nicht kannte. Man hörte alles, was irgendwo im Stadion gerufen wurde, man spürte die Verunsicherung der Spieler. Es fühlte sich fremd und irgendwie falsch an.

War es richtig, den Betrieb fortzusetzen?

Mit dem Wissen von heute: Ja! Wir brauchten pragmatische Lösungen, um für die nahe Zukunft handlungsfähig zu sein. Es war ein Weg, der dazu beigetragen hat, die Existenz des Profifußballs zu sichern. Es war eine bleierne Zeit, die alle belastet hat.

Man suchte nach Lichtblicken – haben Sie persönlich einen in Erinnerung?

Ja – als unsere Profimannschaft von sich aus angeboten hat, auf Teile des Gehalts zu verzichten, damit wir die Einbußen unserer vielen Clubangestellten abfedern konnten. Das war eine bemerkenswerte Aktion der Solidarität.

Jetzt also wieder ein Derby vor großer Kulisse. Spüren Sie die Vorfreude in der Stadt?

Natürlich! Seit Sonntag kribbelt es überall, von Tag zu Tag mehr. Wenn ich unterwegs bin, werde ich auf kein anderes Thema angesprochen – meist mit einer klaren Ansage: Wird ja mal wieder Zeit, dass ihr die schlag

Nach zuletzt zwei Niederlagen gegen den FC ein Auftrag. Und zwar an den richtigen Mann: Sie haben eine glänzende Bilanz mit der Borussia gegen Köln.

Ja? Ich habe keine Ahnung, und es interessiert mich auch nicht sonderlich. Ich weiß nur, dass wir damals öfter gewonnen als verloren haben. Es gibt ja Menschen, die alle möglichen Statistiken, Aufstellungen und Torfolgen im Kopf haben und auswendig hersagen können. Ich habe ein Spiel immer abgehakt, wenn es vorbei war, und nach vorn geschaut.

Nur wenige Profis haben für beide Clubs gespielt, Sie waren einer davon. Warum kamen Sie 1980 vom FC Valencia nach Köln?

Weil ich unbedingt meine dritte Weltmeisterschaft nach 1974 und 1978 spielen wollte. Trainer Hannes Löhr und Manager Karl-Heinz Thielen haben mich vom FC überzeugt, und es war eine gute Zeit. Aber mein Ziel habe ich nicht erreicht: Bei der sogenannten Mini-WM in Uruguay im Winter 1980/81 habe ich mich mit Bundestrainer Jupp Derwall überworfen und kam nicht mit zur WM 1982 in Spanien.

Zur Person

Rainer Bonhof wurde am 29. März 1952 in Emmerich geboren. Der schussgewaltige Mittelfeldspieler trug die Trikots von Borussia Mönchengladbach (231 Ligaspiele/42 Tore, dem FC Valencia (61/10), dem 1. FC Köln (74/14) und von Hertha BSC (6/1). Bonhof absolvierte zudem zwischen 1972 und 1981 53 A-Länderspiele für Deutschland, in denen er neun Tore erzielte, 1974 Weltmeister sowie 1972 und 1980 Europameister wurde.

Einer, dem das Derby immer sehr wichtig war, war Hennes Weisweiler. Der Vater des Mönchengladbacher Aufstiegs aus der Regionalliga in Europas Fußball-Elite, zuvor Spieler und später Trainer beim FC, mit dem er 1978 das legendäre Double gewann. Bis heute verehrt von beiden Clubs und ihren Fans.

Es freut gerade Spieler wie mich, die er entdeckt und gefördert hat, dass sein Name hier wie dort nicht vergessen ist. Ein großer, prägender und extrem ehrgeiziger Trainer. Wenn wir damals ein Derby verloren haben, dann wussten wir: Jetzt liegt eine ganz harte Woche vor uns, denn da verflog seine schlechte Laune nicht so schnell. Wir mussten es irgendwie ertragen.

Wie groß war damals die Rivalität – auf dem Rasen und auf den Rängen?

Sehr groß, aber ohne Exzesse. Es war immer einer der Saison-Höhepunkte, auf den die ganze Fußball-Nation schaute – weil dort zwei Mannschaften antraten, die spielerische Klasse hatten und das auch zeigten. Der Ehrgeiz war riesengroß, der Sieg war wertvoller als die meisten anderen, aber nach dem Spiel war alles okay. Viele Spieler waren miteinander bekannt oder befreundet, und das hat sich bis heute gehalten. Ich kann mich auch weder als Aktiver noch in meiner jetzigen Funktion an ein Derby erinnern, das auf dem Rasen hässlich wurde oder gar eskalierte.

In 104 Derbys seit 1963 gab es tatsächlich nur sieben Platzverweise. Warum hat sich die Rivalität auf den Rängen so verschärft, dass diese Spiele unter Hochsicherheitsbedingungen stattfinden und oft die Ausschreitungen die Schlagzeilen danach bestimmen?

In meiner aktiven Zeit gab es das definitiv noch nicht. Es gab keine Massenschlägereien – im Gegenteil: Wir sind selbst nach Siegen in Kölner in die FC-Fankurve gegangen und haben dort Autogramme gegeben. Warum sich das dann so ausgewachsen und derart hochgeschaukelt hat, kann ich gar nicht genau sagen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie können die Vereine hier gegensteuern?

Das ist schwer, aber es ist unsere Pflicht, das immer wieder zu versuchen – und zwar vor allem im Interesse der großen Mehrheit die Fans, die Gewalt und Hass ablehnen und sich lieber auf das Derby mit seiner gesunden sportlichen Rivalität und seiner großen Tradition unbeschwert freuen wollen. Das gilt ganz besonders in dieser Zeit: Gerade haben wir gemeinsam eine höchst bedrohliche Pandemie hoffentlich einigermaßen überstanden, die uns viel abverlangt hat; endlich kann das Derby wieder vor großer Kulisse stattfinden – das kann man doch regelrecht zelebrieren, da ist doch für Hass und Gewalt kein Platz. Das gilt erst recht, wenn wir den Blick in die Ukraine richten – da herrscht Krieg, Menschen sterben, Menschen fliehen, ein Land liegt in Trümmern. Und hier gehen Leute aufeinander los, weil ihre Fußballclubs Rivalen sind? Das darf doch nicht wahr sein.