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Bitterste Pleite der VereinsgeschichteDas Trauma von Oldenburg – Baskets 2009

Lesezeit 5 Minuten

Apathisch vergraben die Baskets nach der entscheidenden Pleite in Oldenburg ihre Köpfe in Handtüchern.

Bonn – Was hat Michael Jackson mit den Telekom Baskets Bonn zu tun? Mit einem Wort: nichts. Und doch gibt es für eingefleischte Anhänger eine Verbindung. Eine höchst schmerzhafte dazu. Denn der Todestag des Musik-Genies ist identisch mit dem Datum der bittersten Baskets-Pleite der Vereinsgeschichte: In der Nacht des 25. Juni 2009, in der Jackson starb, ließen sich die Bonner in Oldenburg im entscheidenden fünften Finale um die deutsche Meisterschaft den zum Greifen nahen Titel in letzter Sekunden noch entreißen.

Diese 70:71-Schlappe ist bis heute ein Trauma des Vereins, war es doch für Jahre oder gar Jahrzehnte die letzte Chance auf die Meisterschaft – danach haben sich die Topclubs wie Bamberg, Bayern München oder ALBA Berlin mit ihren Etats so weit abgesetzt, dass für die Bonner nach 2009 spätestens im Viertelfinale Endstation war.

Ein Tabuthema bei den Anhängern

Eine Entwicklung, die die Fans noch nicht ahnen können, die nach Spielschluss in Schockstarre apathisch auf den Tribünen sitzen oder hemmungslos weinen. Die schlimme letzte Spielminute, ja die gesamte Partie ist seitdem ein Tabu bei den Anhängern; ein Thema, das totgeschwiegen wird, tief ins Unterbewusstsein verdrängt ist und nur in Alpträumen schmerzvoll hochploppt.

Play-offs 2009

Viertelfinale (3:0):

Bonn – Ulm       71:62

Ulm – Bonn       69:71

Bonn – Ulm       82:68

Halbfinale (2:3):

Berlin – Bonn      71:73

Bonn – Berlin    n.V. 75:72

Berlin – Bonn      65:39

Bonn – Berlin      52:62

Berlin – Bonn      71:82

Finale (3:2):

Oldenburg – Bonn    72:74

Bonn – Oldenburg    70:79

Oldenburg – Bonn    78:81

Bonn – Oldenburg    66:82

Oldenburg – Bonn    71:70

Ein „echter“ Fan spricht nie vom 25. Juni 2009, sondern „von der Nacht, in der Michael Jackson starb“. Genau wie einem wahren Schalke-Fan nie der Name Borussia Dortmund über die Lippen käme, sondern er von Lüdenscheid-Nord spricht.

Der Alptraum des fünften Finales im Telegrammstil:

Die Baskets führen mit bis zu zehn Punkten (51:41, 27.), liegen auch 40 Sekunden vor dem Ende 70:67 vorne. Oldenburgs Jason Gardner, zwei Jahre zuvor noch im Baskets-Trikot, gleicht elf Sekunden vor Schluss mit Korbleger plus Bonuswurf aus (70:70). Bonns Johannes Strasser wirft den Ball beim Einwurf Jekell Foster direkt in die Hände, dessen Fastbreak wird per Foul gestoppt, er verwandelt einen der Freiwürfe zum 70:71.

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Den Baskets bleiben 5,6 Sekunden für Sieg oder Ausgleich. Was stattdessen passiert, ist unfassbar: Auch EJ Rowland kann den Ball nicht zum eigenen Mann ins Spiel bringen, Foster spritzt dazwischen und vollführt nach seinem Steal Freudenpirouetten – die Partie ist entschieden. Oldenburgs Trainer Predrag Krunic (insgesamt sechs Jahre auch Coach in Bonn) umarmt jeden seiner Spieler, während sich auf der Gegenseite niemand über die fünfte Vizemeisterschaft freuen kann: „Wir haben den Titel mit zwei völlig unnötigen Ballverlusten verschenkt“, sagt Trainer Mike Koch mit tonloser Stimme.

So bitter dieses Ende war, es ist doch schon der zweite Matchball, den die Bonner vergeben. Zwei Tage zuvor scheinen sie die Trümpfe noch klarer in der Hand zu halten: Bei einer 2:1-Führung können sie in eigener Halle den Sack zumachen.

Bei Spiel vier ist schon alles für eine Titelfeier vorbereitet

Auch organisatorisch ist alles für eine Titelfeier vorbereitet. Die Meister-Shirts liegen bedruckt parat, Ehrengäste wie BBL-Chef Jan Pommer und Bundestrainer Dirk Bauermann sind eingeladen, der Ablauf von Meisterehrung und Medaillenübergabe wird nachmittags in einer Generalprobe durchgespielt.

Sogar an einen Wechsel am Mikro haben die Baskets gedacht: Da Hallensprecher Andreas Böttcher in Personalunion Bonns Sportmanager ist und in dieser Funktion ebenfalls geehrt werden sollte, wird dessen Vorgänger Frank „The Voice“ Piontek reaktiviert – Böttcher kann sich ja schlecht selbst auf die Bühne rufen. Aber: Alle Planungen erweisen sich als Makulatur, die Baskets verlieren mit 16 Punkten (66:82). Das klarste Ergebnis der Finalserie verhindert, dass sich um Spiel vier ein Mythos rankt wie um Spiel fünf – zu chancenlos sind die Bonner.

Das Trauma vom 25. Juni überlagert auch den Halbfinal-Triumph, der historisch ist – und bis heute unerreicht: Endlich gelingt es, den Erzrivalen Berlin in einer Play-off-Serie zu schlagen. Fünfmal sind die Baskets daran schon gescheitert (Finals 1997 und 1999, Halbfinale 2000, Finale 2001 und zwölf Monate zuvor, im Finale 2008). Das Halbfinale 2009 wird zum nervenaufreibenden Wechselbad: Bonn überrascht den Titelverteidiger in Spiel eins in Berlin mit 73:71, gewinnt auch zu Hause nach Verlängerung (75:72) und führte 2:0. Den ersten Matchball wehrt ALBA mit brachialer Defense ab: Das 65:39 in Spiel drei in Berlin gerät zur Demütigung.

Glanz des Halbfinaltriumphes über Berlin wird überlagert

Bei Spiel vier in Bonn starten die Fans einen besonderen Support: Sie recken Plakate hoch und skandieren in Stakkato-Sprechchören „Schlagt Berlin!“ – vergebens: Trotz dieser Aktion, die dem legendären NBA-Schlachtruf „Beat LA!“ aus den Duellen zwischen den Boston Celtics und LA Lakers in den 1980er Jahren nachempfunden ist, gleichen die Albatrosse mit 62:52 aus (2:2).

Scheitern die Bonner wieder an den ungeliebten Hauptstädtern? Die den Baskets schon drei Monate zuvor im Pokalfinale mit 69:44 eine geradezu brutale Lektion erteilt hatten? Alle rechnen damit, dass ALBA am 11. Juni zu Hause den Deckel draufmacht.

Es kommt alles anders

Hatte die Bonner Offensive zuvor zweimal ihr Waterloo erlebt, schlägt sie jetzt plötzlich in der Höhle des Löwen zurück. Angeführt von Winsome Frazier, der bei seinen 23 Punkten aus allen Lagen trifft und mit einem verwegenen Zehn-Meter-Dreier eine zwischenzeitliche 20-Punkte-Führung (55:35, 24.) herausschießt, entzaubern die Baskets den Titelverteidiger mit 82:71.

Die Heimschlappe kostet Luca Pavicevic, Berlins Meistertrainer von 2008, den Job. Bei den Baskets-Fans kennt die Euphorie keine Grenzen. Der ewige Widersacher ist endlich mal ausgeschaltet, der Weg zum ersten Titel scheint frei – es macht die besondere Tragik der Mannschaft von 2009 aus, in dieser Situation die beiden Matchbälle nicht genutzt zu haben.

Dass sie mit zweimal Silber in Meisterschaft und Pokal sowie dem Erreichen des Viertelfinales in der Euro-Challenge gegen Bologna die erfolgreichste (und mit 67 Pflichtspielen die längste) Saison der Baskets überhaupt hinlegte, dass sie ohne die letzten elf Sekunden von Spiel fünf zur unsterblichen Legende geworden wäre, wollte nach dem 25. Juni keiner mehr wissen: Die Nacht, in der Michael Jackson starb, hat alles unwiederbringlich überlagert. Für immer.