Bergheim-Glessen – Für Kompromisse lässt Marcel Wüst keinen Spielraum. Das Ziel, sagt der langjährige Radsportprofi, seien 100 Prozent. Nicht weniger. Also vollständige Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit. Trotz der vielen Knochenbrüche, die er sich unlängst bei einem Sturz zugezogen habe. „Für den Weg zurück trainiere ich alles, was geht“, macht er deutlich.
Zwei Jahrzehnte nach dem Ende seiner Profilaufbahn hat ihn das Leben noch einmal vor einen beschwerlichen Weg, eine gewaltige Herausforderung gestellt: Just als er nach zwei von der Pandemie geprägten Jahren als Betreiber der „Casa Ciclista“, einer Finca für Radsportbegeisterte auf Mallorca, wieder durchstarten wollte, drückte das Schicksal mit aller Macht den Stoppknopf. Im Rennradsattel übersah der einstige Tour-de-France-Fahrer eine Bodenwelle und stürzte schwer – auf der ersten Trainingsfahrt des Jahres mit Kunden, nach gerade einmal 16 Kilometern.
Bergheim Radstar: „Ein ziemlicher Totalschaden“
Mit fünf gebrochenen Rippen, Schlüsselbeinbruch, komplizierten Schulterblattbruch und – wie sich erst später herausstellte – einer Fraktur des Mittelhandknochens wurde er in ein Krankenhaus auf der spanischen Ferieninsel eingeliefert. „Das war schon ein ziemlicher Totalschaden“, sagt Wüst.
Wenige Tage später wurde er nach Hannover verlegt, um sich dort von Experten operieren zu lassen. „Der Flug war der absolute Horror“, erinnert sich der 54-Jährige an die Schmerzen, die sein lädierter Körper ihm während des Transports bereitete.
Marcel Wüst: Fast täglich im Fitnessstudio
Inzwischen sind seit der Operation rund vier Wochen vergangen. Und längst schwitzt Wüst wieder beinahe täglich im Fitnessstudio. „Es gibt Leute, die mir sagen, ich solle es langsam angehen lassen. Aber ich muss mein Tempo gehen“, sagt er.
Zu seinem Reha-Programm zählen auch Runden auf dem türkisfarbenen Hollandrad, das Wüst in der Garage im heimischen Glessen fand. „Auf dem Rad sitze ich aufrecht, das ist deutlich angenehmer als auf dem Rennrad“, sagt er. Nur der ungewohnt breite Sattel habe ihm Probleme am Allerwertesten bereitet. „Irgendwann hatte ich die Nase voll und habe einen Rennradsattel draufgeschraubt“, erzählt er mit einem Lachen.
Radrunden in Bergheim-Glessen statt auf Mallorca
Sein Humor hat unter den Erlebnissen der vergangenen Wochen nicht gelitten. Dabei hätte Wüst durchaus Gründe für schlechte Laune. Denn gerade im Frühjahr müsste er sich um seine Kunden auf Mallorca kümmern, sein Fachwissen bei Radsportseminaren und Trainingslagern weitergeben, statt in Glessen auf dem Hollandrad Runden zu drehen. „Die ersten Monate des Jahres sind für das Geschäft die wichtigste Zeit“, sagt Wüst, der jede Menge Energie und Geld in seine Casa Ciclista gesteckt hat. Anfang April will der einstige Weltklasse-Sprinter zurück sein auf dem Mittelmeereiland. Wer seine Kämpfernatur kennt, dürfte diesen Plan trotz der Vorgeschichte für realistisch halten.
„Ich bin auf einem guten Weg. Auch, weil ich vorher fit war“, sagt Wüst. Daraus folge eine Lehre, die er als Botschafter zur Ehrung der Sportler des Jahres im Rhein-Erft-Kreis am 28. März mitbringen werde: „Ich kann nur jedem raten, sich um Gesundheit und Fitness zu kümmern, um eine gute Grundlage zu haben.“ Denn Rückschläge können immer kommen. Das habe er zuletzt auf schmerzhafte Weise erfahren.