- In den Ferienwochen stellen wir im Rahmen unseres Sommerwettbewerbs 20 Oberberger vor, die eine besondere Begegnung hatten.
Oberwiehl – Der alte Mann öffnete die Tür nur einen Spalt weit, beäugte den Besucher – und schlug sie ihm wieder vor der Nase zu. Die Kontaktaufnahme war nicht ganz einfach. Doch am Ende erlebte Klaus Lempio damals in Südfrankreich eine Begegnung, die er heute als „wahrhaft gelungenen europäischen Festtag“ beschreibt.
Lempio (83) verbringt seinen Ruhestand in Oberwiehl. Als Manager bei der Lufthansa in Köln und Frankfurt ist er viel in der Welt herumgekommen und hat ungezählte interessante Menschen getroffen. Freunde ermunterten ihn schließlich, die Geschichten doch zu Papier zu bringen. Inzwischen hat Lempio so viele Begegnungen beschrieben, dass es für ein Buch reicht, das er bald veröffentlichen möchte. Erzählen kann er sowohl von Audienzen bei afrikanischen Königen als auch von Treffen mit ganz einfachen Leuten – wie dem alten Herrn Anfang der 1970er Jahre an der Côte d’Azur.
Fliegen war wie Zufahren
Für Lempio als „Lufthanseat“ war das Fliegen damals sehr günstig oder sogar gratis. „Das war für uns wie Zugfahren.“ So war es kein Problem, mal eben nach Nizza zu fliegen, um einen Antiquitätenladen zu besuchen, den ihm ein Bekannter empfohlen hatte. Dieser bat Lempio, ein Paket mit Büchern und Süßigkeiten für einen Freund mitzunehmen. Pierre, wurde Lempio vorgewarnt, sei ein alter Bauer, der in den Weltkriegen Angehörige verloren hat und deshalb alle Deutschen hasse. Das Beste sei es darum, ihm das Päckchen einfach vor die Tür zu legen.
Als der Reisende dann das windschiefe, in einem idyllischen Obstgarten gelegene Fachwerkhäuschen erreichte, klopfte er dennoch an die Tür. Von der ersten schroffen Zurückweisung ließ sich Lempio nicht abschrecken und mobilisierte sein spärliches Schulfranzösisch. „Haine et guerres sont grandissimo merde“ (Hass und Krieg sind die größte Scheiße), lautete sein schlichtes, aber ernst gemeintes Angebot zur Völkerverständigung. Er beschwor die Namen der großen Staatsmänner („Vive Charles de Gaulle, vive Konrad Adenauer!“) und die christliche Feindesliebe („Christus dit: Devoir aimer aussi enemi.“) – schließlich mit Erfolg.
Dann ging es in den Weinkeller
Der alte Bauer bedeutete ihm, auf der Bank vor der Haustür Platz zu nehmen. So kam es zu einem Gespräch, in dem man sich bekannt machte. Pierre taute auf. „Nach einer Stunde des Radebrechens entschuldigte er sich, ging ins Haus und kehrte mit zwei Gläsern und einer Flasche Rotwein zurück.“ Nachdem der selbstgekelterte Tropfen geleert war, lud der Weinbauer den Besucher in den Keller ein, wo eine weitere Flasche verkostet wurde. Die Stimmung war bald grandios. „Die Trinksprüche wurden abwechselnd zum Wohle der großen Europäer Charles, Konrad, Pierre und Klaus ausgesprochen.“
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Stunden später stand der Abschied an. Es gab eine innige Umarmung, begleitet von lang anhaltendem, kräftigen Schulterklopfen, erinnert sich Klaus Lempio. Pierre habe gerufen „Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, Kamerad“ und sich mit dem Handrücken über die Augen gewischt.
Auch der Besucher aus Deutschland war sehr gerührt, zu einem erneuten Treffen kam es aber nicht. Stattdessen machte Lempio in vielen weiteren Begegnungen immer wieder die Erfahrung, dass man mit herzlicher Zuwendung alle Barrieren überwinden kann. Er hat in Oberwiehl syrischen Flüchtlingen ehrenamtlich Deutschunterricht gegeben und ist als tief gläubiger Mensch überzeugt: „Das allerhöchste Gut zwischen den Völkern und zwischen einzelnen Menschen ist der Friede.“