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GutachtenSo sähen die Räte im Kreis Euskirchen beim neuen Wahlsystem aus

Lesezeit 6 Minuten
Wahlhelfer zählen die Stimmen, der Tisch ist voller Stimmzettel.

Nach der Wahl geht die Arbeit erst los: Das Verfahren, wie aus Stimmen Mandate werden, ist hochkomplex – und mehr oder weniger gerecht.

Selbstbedienung der großen Parteien? Experten haben ausgerechnet, wie sich das neue Kommunalwahlgesetz im Kreis Euskirchen auswirken würde.

In gut einem Jahr ist Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen. Auch im Kreis Euskirchen werden der Kreistag sowie die elf Stadt- und Gemeinderäte neu gewählt und auf Basis der Ergebnisse neu zusammengesetzt. Aber wie?

CDU, Grüne und SPD haben in seltener Einigkeit im NRW-Landtag ein neues Verfahren beschlossen, wie aus den Stimmen letztlich Sitze werden sollen. Die anderen Parteien schäumen, die FDP will beim NRW-Verwaltungsgericht klagen. Große Parteien würden systematisch bevorzugt, die kleineren geschwächt, so die Liberalen – auch im Kreis Euskirchen.

Gutachter errechneten die Sitzverteilung auch für den Kreis

Das geht aus einem Gutachten hervor, das die FDP-Landtagsfraktion in Auftrag gegeben hat. Auf 214 Seiten nehmen der Politologe Prof. Dr Joachim Behnke (Universität Friedrichshafen) und die Mathematikerin Dr. Kai-Friederike Oelbermann aus Magdeburg nicht nur das „Rock-System“, benannt nach seinem Erfinder, dem Grünen-NRW-Landtagsabgeordneten Simon Rock (Volkswirt, Projektmanager), unter die Lupe.

Sie haben auch errechnet, wie 54 Stadträte (kreisfrei) beziehungsweise Kreistage und 373 Stadt- und Gemeinderäte aussähen, wenn Rock schon nach der Kommunalwahl 2020 angewandt worden wäre – darunter auch alle Räte und der Kreistag im Kreis Euskirchen.

Kreistag Euskirchen: Die Grünen wären Gewinner, die AfD Verlierer

Und siehe da: In der Tat zeigen diese Berechnungen, dass vor allem CDU und Grüne die Nutznießer dieser neuen Regelung wären. Das beginnt dem Gutachten zufolge schon im Kreistag.

Wäre er 2020 nach Rock besetzt worden, hätten die Grünen dort einen Sitz mehr und die AfD einen weniger. Die Kreisverwaltung hatte im Juli auf Anfrage dieser Zeitung berechnet, dass SPD und Grüne jeweils einen Sitz mehr erhalten, AfD und UWV je einen verloren hätten. Beide Rechenspiele bestätigen aber die Tendenz: Die Großen gewinnen, die Kleinen verlieren.

Ein Blick in die Beratungen im Kreishaus.

Auch der Kreistag Euskirchen sähe anders aus, hätte das neue Verfahren schon 2020 gegriffen.

Die Autoren des Gutachtens haben das neue Verfahren auch auf die Wahlergebnisse von 2009 und 2014 übertragen. 2009 hätte der Kreistag auch bei Rock so ausgesehen, wie er tatsächlich war. Doch beim Blick auf die 2014er-Zahlen fällt FDP-Kreispartei- und Fraktionschef Frederick Schorn auf, dass seine Fraktion einen Sitz weniger erhalten hätte, die SPD dafür einen mehr.

Angestrebt wird die Stärkung größerer Fraktionen auf Kosten kleinerer Fraktionen und Einzelmandatsträger.
Frederick Schorn, FDP-Kreisvorsitzender

Er sieht sich in seiner Ansicht bestätigt, dass „CDU, SPD und Grüne sich die Räte unter sich aufteilen wollen“. Anders seien die Effekte des neuen Kommunalwahlgesetzes nicht zu erklären, so Schorn: „Angestrebt wird die Stärkung größerer Fraktionen auf Kosten kleinerer Fraktionen und Einzelmandatsträger.“ Dabei mache die Vielfalt des Engagements doch erst die Stärke der Kommunalpolitik aus. Zudem hätten die Änderungen einen verzerrenden Effekt auf Mehrheitsverhältnisse, sagt Schorn: „Ich bin zuversichtlich, dass die Klage der FDP NRW Erfolg hat.“

In den Räten im Kreis Euskirchen würden 20 Sitze anders verteilt

Der CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Voussem (Euskirchen) sieht der Gerichtsentscheidung nach eigenen Bekunden gelassen entgegen. Die Umrechnung der Stimmen auf die Sitze sei mathematisch hochkomplex, 100-prozentige Gerechtigkeit gebe es dabei nicht. „Doch mit dem Rock-Verfahren kommen wir einer gerechten Abbildung des Wahlergebnisses etwas näher“, so der Euskirchener. Frühere Verfahren hätten entweder die Großen oder die Kleinen bevorzugt, „Rock“ sei nun ein Mittelweg.

Mit dem Rock-Verfahren kommen wir einer gerechten Abbildung des Wahlergebnisses etwas näher.
Klaus Voussem, CDU-Landtagsabgeordneter

Das sehen die Kleinen anders. Die Projektion der Gutachter auf den Kreistag Düren spiegelt etwa vollständig wider, was sie meinen: Die Befürworter des neuen Verfahrens, CDU, SPD und Grüne, hätten 2020 jeweils einen Sitz mehr erhalten – zulasten der Kleinen, nämlich Linke, Piraten und UWG.

Der Blick der Gutachter in die Räte bestätigt, dass die Befürworter-Parteien auch im Kreis Euskirchen profitieren würden: 20 Mal wären Fraktionen oder Einzelkämpfer in den elf Gremien der Städte und Gemeinden betroffen, wäre Rock schon 2020 zur Anwendung gelangt.

Parteien streiten über Verfahren, das der NRW-Landtag beschlossen hat

Einige Ratsmitglieder wären also gar nicht erst in das Gremium gekommen, Bewerber anderer Parteien hätten stattdessen diese freien Plätze einnehmen können. Die CDU hätte nach dem neuen Verfahren kreisweit insgesamt fünf Sitze mehr in den Räten, die Grünen zwei und die SPD einen. Aber auch die FDP könnte einen Sitz mehr verbuchen, in Kall.

„Das ist aber eine Ausnahme und bestätigt nur, dass die keinen Parteien benachteiligt werden“, erläutert FDP-Chef Schorn. Denn in ihrer Hochburg Kall ist die ansonsten kleine FDP alles andere als klein: Sie kam bei der Ratswahl 2020 mit 22,5 Prozent auf Platz zwei, hinter der SPD und vor der CDU.

Die Linke wäre kreisweit der große Verlierer: Fünf Sitze hätte sie 2020 in den Räten beim Rock-Verfahren gar nicht erst bekommen: in Bad Münstereifel, Kall, Mechernich und Weilerswist wäre sie nicht vertreten gewesen. In Euskirchen hätte sie nur ein Mandat statt zwei erhalten.

Einige Parteien wären nicht im Rat: Sperrklausel durch die Hintertür?

Das hieße auch, dass die Kreisstadt-Linke keinen Fraktionsstatus erhalten hätte, für den es zwei Mitglieder bedarf. Der ist aber für die Parteien wichtig: Fraktionen bekommen mehr Geld für ihre Arbeit (etwa für Sekretariate) und Fraktionsvorsitzende einen Zuschlag bei den Aufwandsentschädigungen.

Die AfD hätte bei Rock in Euskirchen ein Mandat mehr erhalten, in Mechernich eins weniger. Die Satirepartei „Die Partei“ wäre nach dem neuen Verfahren in Euskirchen und Zülpich, wo sie jeweils ein Mandat erhalten hatte, leer ausgegangen. Die UWV hätte auf einen Sitz im Stadtrat Euskirchen und damit auf den Fraktionsstatus verzichten müssen.

Dass einige kleine Parteien und Wählergruppen bei Rock erst gar nicht in die Räte kommen würden, wirft bei den Kritikern eine weitere Frage auf: Wird hier eine Sperrklausel, die für die Kommunalparlamente richterlich untersagt wurde, durch die Hintertür eingeführt? Damit und mit den anderen Aspekten des neuen Kommunalwahlgesetzes werden sich nun erneut Verfassungsrichter beschäftigten müssen, damit in einem Jahr alle wissen, wie aus Stimmen Sitze werden.


Vergleich: Die Räte nach dem altem und neuem Zählverfahren

Hier der Vergleich, wie die Räte nach der Wahl 2020 besetzt wurden (Sainte-Laguë-Verfahren) und wie sie laut den Gutachtern aussähen, wäre das Rock-Verfahren schon damals angewendet worden (zwischenzeitliche Rücktritte oder Fraktionswechsel einzelner Mitglieder werden der Vergleichbarkeit wegen nicht berücksichtigt):

Bad Münstereifel (32 Sitze nach der Wahl 2020): CDU: 12; SPD: 7, Grüne: 4; FDP: 3; Linke: 1; UWV: 4; Einzelbewerber: 1

Nach dem neuen Rock-System hätte die CDU einen Sitz mehr erhalten, die Linke hätten ihren einen Sitz nicht bekommen.

Blankenheim (26) CDU: 12; SPD: 5; Grüne: 2; FDP: 3, UWV: 4

Keine Veränderung beim neuen System.

Dahlem (20) CDU: 11; SPD: 4; Grüne: 2; FDP: 2; Einzelbewerber: 1

Keine Veränderung.

Euskirchen (58) CDU: 21; SPD: 13; Grüne: 10; FDP: 5; Linke: 2; AfD: 4; UWV: 2; Die Partei: 1

CDU, Grüne, AFD bekämen jeweils einen Sitz mehr, Linke, Piraten und UWV jeweils einen weniger.

Hellenthal (26) CDU: 11; SPD: 9; Grüne: 2; FDP: 2; UWV: 2

Keine Veränderung.

Kall (28) CDU: 7; SPD: 9; Grüne: 3; FDP: 6; Linke: 1; AfD: 2

Die FDP hätte einen Sitz mehr, die Linke hätten ihren Sitz nicht erhalten.

Mechernich (38) CDU: 16; SPD: 7; Grüne: 5; FDP: 2; Linke: 1; AfD: 2; UWV: 5

CDU und Grüne hätten jeweils einen Sitz mehr, zulasten von Die Linke und AfD.

Nettersheim (20) CDU: 11; SPD: 3; FDP: 1; UNA: 5

CDU hätte einen Sitz mehr, die SPD einen weniger.

Schleiden (22) CDU: 10; SPD: 4; Grüne: 3; FDP: 4, UWV: 1

Keine Veränderung.

Weilerswist (30) CDU: 10; SPD: 6; Grüne: 5; FDP: 3; Linke 1; AfD: 2; UWV: 3

Die SPD hätte einen Sitz mehr, die Linke ihren nicht erhalten.

Zülpich (32) CDU: 14; SPD: 8; Grüne: 4; FDP: 3; Die Partei: 1; UWV: 2

Die CDU hätte einen Sitz mehr, „Die Partei“ ihren nicht bekommen.

Heimbach (20) CDU: 9; SPD: 5; Grüne: 1; FDP: 2; AFD: 1; UWV: 2

Die CDU bekäme einen Sitz mehr, die FDP einen weniger.