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Vorsitzende zerstrittenSchmutziger Machtkampf bei den Freien Wählern im Kreis Euskirchen

Lesezeit 9 Minuten
Ein orangefarbenes Fähnchen mit dem Aufdruck „Freie Wähler“ steht neben einem orangefarbenen Windrädchen.

Halten die Freien Wähler dem innerparteilichen Sturm stand? Das Verhältnis in der Spitze ist zerrüttet.

Ein Jahr nach seiner Gründung präsentiert sich die Spitze des Kreisverbands zutiefst zerstritten. Wirbel verursacht ein angeblicher Hitlergruß.

Vor einem Jahr gründeten sich die Freien Wähler (FW) im Kreis Euskirchen, mit dem Ziel, bei der Kommunalwahl 2025 anzutreten. Doch gut ein Jahr vor dieser Wahl präsentiert sich die Vereinigung als tief zerstritten.

Für Mittwoch dieser Woche (9. Oktober) hatte die Bezirksvereinigung Aachen der Freien Wähler die 26 Mitglieder der Kreisvereinigung Euskirchen zu einer außerordentlichen Versammlung eingeladen. Wichtigster Tagesordnungspunkt: ein Antrag auf Abberufung des Kreisvorsitzenden Detlef Krings. Doch dazu kam es nicht.

Mitglieder sehen Vertrauen in Kreisvorsitzenden geschädigt

Der Antrag ist der Einladung zufolge von zehn Mitgliedern gestellt worden. Ihre Begründung: „Das Vertrauen in den Kreisvorsitzenden ist schwer und anhaltend geschädigt.“ Unterzeichnet wurde die Einladung von Jörg Esser. Der war bis vor kurzem Ratsherr in Zülpich, hat sein Mandat aber zurückgegeben – auch das ist eine Folge des Streits bei den Freien Wählern. Esser ist im Übrigen Vorsitzender der einladenden FW-Bezirksvereinigung Aachen und stellvertretender Vorsitzender der Kreisvereinigung Euskirchen. Er unterstützt den Antrag auf Krings' Abberufung.

Dieser habe den Antrag zur Beratung im Vorstand erhalten, sagt Esser. Doch Krings habe das ignoriert. Er habe den Antrag weder mit dem Kreisvorstand besprochen noch eine Mitgliederversammlung einberufen, wie es laut Esser dem Prozedere entsprochen hätte. Esser vermutet, dass Krings keine Lust gehabt habe, seine eigene, mögliche Abberufung zu organisieren. Deshalb habe er das als Bezirksvorsitzender übernommen, so Esser weiter.

Landesvorstand intervenierte: Versammlung abgesagt

Das wiederum behagte dem Landesvorstand nicht, weswegen die Versammlung einen Abend vor deren angesetzten Termin abgesagt wurde. Das habe rechtliche Gründe, erläutert der Landesvorsitzende Arbi Davood Megerdich auf Nachfrage dieser Zeitung. Jörg Esser habe als Bezirksvorsitzender nicht eingreifen dürfen.

„Das kommt schon mal vor, wenn beispielsweise die Instanz darunter handlungsunfähig ist“, erklärt der NRW-Chef der Freien Wähler. In Euskirchen sei das aber aus Sicht der Justiziare der Freien Wähler nicht der Fall gewesen. Die Kreisvereinigung sei alles andere als handlungsunfähig, so Megerdich: „Es gibt ja faktisch einen Vorstand. Also ist es auch möglich, eine solche Einladung zu verschicken.“ Eine Notwendigkeit für das Einschreiten der Bezirksvereinigung sei dementsprechend nicht gegeben gewesen.

Mitgliederversammlung der Freien Wähler ist nur verschoben

Bezirksvorsitzender Esser sieht das anders. Krings sei ja untätig geblieben, argumentiert er. Dennoch hat er seine Einladung zurückgezogen und die außerordentliche Mitgliederversammlung einen Tag vorher abgesagt. In der E-Mail, die er an die Mitglieder der Freien Wähler verschickt hat, betont er allerdings, dass nun der Kreisvorstand einladen müsse. Über den Antrag der Mitglieder auf Abberufung von Krings müsse „auf jeden Fall“ abgestimmt werden, betont er. Das sieht auch der Landesvorstand so.

„Wir haben auch nochmal klargemacht, dass die Quote erreicht ist und die Kreisvereinigung nun zeitnah zu einer Mitgliederversammlung einladen muss“, berichtet Megerdich: „Das ist nun eindeutig die Aufgabe von Herrn Krings.“

Der will der Aufforderung nachkommen. Es müsse in diesem Jahr sowieso noch eine Mitgliederversammlung stattfinden, sagt Krings. Einen Termin nennt er aber noch nicht. Er werde sich dann auch seiner möglichen Abwahl stellen. Sollte die Mehrheit der Meinung sein, er sei der Falsche für den Job, werde er Platz machen: „Es gibt noch anderes auf der Welt als Freie Wähler.“

Das Ende einer Polit-Freundschaft

Es ist das Ende einer politischen Freundschaft. Keine zwölf Monate nach Gründung der Kreisvereinigung ist das Verhältnis des Vorsitzenden und seines Vizes zerrüttet. „Das wird auch mit Sicherheit nichts mehr werden“, sagt Esser. Drei Jahre lang saßen er und Krings gemeinsam für die UWV im Zülpicher Stadtrat, bis Esser im Mai sein Mandat niedergelegte. „Mit so einem Menschen will ich keine Übereinkünfte mehr treffen und auch nicht mehr daneben sitzen“, sagt Esser.

Wie konnte es so weit kommen? Januar 2024: Krings traf sich mit einem Euskirchener Landwirt und zwei Mitgliedern der Freien Wähler in seinem Haus. Es ging um die Bauernproteste und den Umgang mit dem Wolf. Das bestreitet keiner. Doch dann steht im Raum, dass Krings während des Treffens den Hitlergruß gezeigt haben soll. Das bestreitet Krings vehement.

Esser sagt aber, dass ihm die drei Besucher in Krings' Haus davon berichtet hätten. Als er versucht habe, den mutmaßlichen Vorfall parteiintern zu klären, sei er bei Krings gegen eine Wand gelaufen. Krings habe den Vorfall abgestritten und darauf verwiesen, dass das Treffen privat gewesen sei und es deshalb niemanden etwas angehe, so Esser.

Staatsanwaltschaft ermittelte nicht gegen Detlef Krings

Als sich dann der NRW-Landesvorstand der Freien Wähler hinter Krings gestellt habe, habe er den Vorfall schließlich angezeigt, berichtet Esser. Die Staatsanwaltschaft Bonn bestätigt den Eingang der Anzeige. Zu Ermittlungen kam es allerdings nicht. Ein solcher Vorwurf sei schwer zu klären, so Dr. Sebastian Buß, Sprecher der Staatsanwaltschaft Bonn, auch weil man in seinen privaten Räumlichkeiten während eines privaten Treffens grundsätzlich straffrei einen Hitlergruß zeigen dürfe.

Juristisch ist der Fall damit abgeschlossen, politisch aber längst nicht. Krings bestätigt im Gespräch mit dieser Zeitung das Treffen. Den Hitlergruß jedoch habe es nicht gegeben. Rechtes Gedankengut liege ihm fern, betont Krings. Die Freien Wähler im Kreis Euskirchen würden unter seiner Führung nicht zu einer „AfD 2.0“ werden, hatte Krings in früheren Gesprächen versichert.

Streit um Verhältnis zwischen UWV und Freien Wählern

Er vermutet hinter Essers Anschuldigung etwas anderes. Schon vor Essers Austritt aus dem Stadtrat und dem mutmaßlichen Vorfall im Januar sei es zum Bruch gekommen, so Krings. Streitpunkt: die Ausrichtung der Freien Wähler im Kreis.

Die Bundesvereinigung der Freien Wähler um den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger wurde laut dem Landesverband NRW gegründet, um die Wählervereinigungen bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen zu vertreten. Allerdings gebe es Vereinigungen, die die Partei Freie Wähler nicht unterstützen wollten. In diesen Fällen seien die Freien Wähler bestrebt, eigene Kreis- und Ortsvereinigungen zu gründen. Man verstehe sich aber nicht als Konkurrenz zu den Wählervereinigungen und wolle diese auch nicht verdrängen.

Das aber habe Esser anders gesehen, berichtet Krings. Bei einer Video-Konferenz der Freien Wähler habe Esser gesagt: „Die Wählergemeinschaften müssen vernichtet werden!“ Das bestätigt ein weiteres FW-Mitglied. Für Krings ist das ein „Skandal“. Esser bestreitet diese Wortwahl. Er habe gesagt, dass man auf die wenigen Wählervereinigungen, die gegen die Freien Wähler arbeiteten, keine Rücksicht nehmen solle. „Die werden dann plattgemacht“, habe er gesagt. Von „vernichten“ sei keine Rede gewesen.

Kreis-UWV schloss Zülpicher UWV aus

Esser habe aber auch die UWV in Zülpich auflösen und stattdessen eine Ortsvereinigung der Freien Wähler gründen wollen, berichtet Krings. Das habe die UWV in Zülpich mehrheitlich abgelehnt.

Krings will auf kommunaler Ebene nicht in Konkurrenz zur UWV treten, auch auf Kreisebene hätte er sich ein anderes Szenario gewünscht. Die Idee sei gewesen, dass der Kreisverband der UWV sich auflöst und in die Kreisvereinigung der Freien Wähler übergeht. In den Kommunen sollte es weiter die UWV geben. Das lehnte aber die Kreis-UWV ab und schloss die Zülpicher UWV aus dem Kreisverband aus.

Wegen dieser unterschiedlichen Auffassung über die Ausrichtung der Freien Wähler versuche Esser ihn zu diskreditieren, vermutet Krings. Außerdem habe er Esser nicht bei seiner Kandidatur für den Landesvorsitz unterstützt, vielleicht nehme Esser ihm das übel.

Streit um Euskirchener Ortsvereinigung der Freien Wähler

Und dann gab es noch einen Streitpunkt. In der Stadt Euskirchen wollten drei bisher politisch nicht aktive Bürger eine Ortsgruppe der Freien Wähler gründen. Obwohl es dort eine UWV gibt, seien er und die anderen Vorstandsmitglieder nicht grundsätzlich dagegen, berichtet Krings. „Die Größe und Bedeutung der Kreisstadt sind strategisch wichtig für die Partei“, so Krings.

Allerdings sei ihm der eine oder andere Beitrag in den Sozialen Netzwerken der betreffenden Personen sauer aufgestoßen, so Krings. Zu rechts, zu AfD-nah. Persönlich habe er aber nie ein Problem mit den dreien gehabt, berichtet Krings.

Doch auch hier steht Aussage gegen Aussage. Die drei Euskirchener, die ihre Namen nicht öffentlich genannt wissen wollen, vermuten, dass die Gründung einer Euskirchener Ortsvereinigung an Krings Machtspielen scheiterte. Krings habe versucht, sie gegeneinander auszuspielen. Der Kreisvorsitzende habe nicht davor zurückgeschreckt, vermeintliche finanzielle Schwierigkeiten eines der Gründungswilligen zu nutzen, um die Person von Parteiposten fernzuhalten.

Vorstand der Freien Wähler entzieht Beteiligten Stimmrecht

Das alles sollte bei einem Treffen im Mai geklärt werden. Doch das endete mit dem Bruch. Seitdem ist das Tischtuch zwischen Krings und den drei Euskirchenern zerschnitten. Letztere werden die Partei verlassen, aber erst zum 31. Dezember. Vorher wollen sie Krings noch stürzen. Sie gehören zu der Zehner-Gruppe, die den Antrag auf seine Abberufung gestellt hat. Doch das wird wohl nichts. Der von Krings geführte Kreisvorstand hat mehrheitlich dem Trio das Stimmrecht entzogen – wegen parteischädigenden Verhaltens. Die Drei haben daraufhin gefrustet das Handtuch geworden, die Lust auf Ehrenamt und Engagement sei ihnen durch Krings' Verhalten vergangen, sagen sie.

Und auch die Tage von Jörg Esser bei den Freien Wählern scheinen gezählt. Ohne die Stimmen der drei Euskirchener werde es kaum zu einer Abwahl von Krings reichen, sagt er. Dann aber habe auch er nichts mehr in der Partei zu suchen.

Der Landesvorsitzende Arbi Davood Megerdich hat zu den Vorwürfen gegen Krings Stellung bezogen: „Würde ich als Landesvorsitzender merken, dass es bei uns einen Rechtsruck gibt, dann wäre ich der Letzte, der noch bei den Freien Wählern wäre.“ Er wolle sowohl mit Jörg Esser als auch mit Detlef Krings noch einmal das Gespräch suchen. Es bestehe die Gefahr, dass es am Ende nur noch Verlierer gebe, schätzt Megerdich die Lage ein. Auf persönlicher Ebene, wie auch aus Sicht der Partei.

Ein Jahr nach der Gründung und ein Jahr vor ihrer ersten großen Wahl auf Bundes- und Kommunalebene stehen die Freien Wähler im Kreis Euskirchen vor einer Zerreißprobe.


Zülpicher Stadtrat ist geschrumpft

Die Mandatsniederlegung von Jörg Esser hat Folgen für den Zülpicher Stadtrat. Der besteht jetzt nur noch aus 31 Ratsfrauen und -herren. Denn: Es gibt keinen Nachfolger für Esser.

Das liegt nicht etwa daran, dass die UWV keine Mitglieder hätte. In den vergangenen Jahren seien viele Neue in die Wählergemeinschaft eingetreten, betont Detlef Krings, der sein Amt als UWV-Fraktionschef verloren hat, weil es nach dem Ratsaustritt Essers keine UWV-Fraktion mehr gibt. Doch in den Stadtrat nachrücken darf nicht einfach irgendein Mitglied. Nachgerückt wird nach der Liste, die die UWV zur Kommunalwahl 2020 eingereicht hat. Die Menschen, die dort draufstehen, seien allerdings alle verzogen oder verstorben, so Krings: „Mitglieder haben wir reichlich, aber eben keinen, der auf der Liste steht.“

Krings selbst steht nicht auf dieser Liste. Er trat 2020 noch für die FDP an, sogar als Bürgermeisterkandidat. 2021 wechselte er zur UWV. Weil nun kein Nachrücker ausfindig gemacht werden konnte, hat die UWV ihren Fraktionsstatus verloren. Das bedeutet vor allem finanzielle Einbußen. Krings spricht von einem Verlust von Zuwendungen um die 3000 Euro jährlich. „Das ist mehr als ärgerlich“, sagt er. Dennoch sei die UWV gut aufgestellt für den Wahlkampf.