AboAbonnieren

AfD und UWV wären VerliererIm Kreis Euskirchen gibt's Ärger um neues Kommunalwahlgesetz

Lesezeit 6 Minuten
Klaus Voussem steht links und spricht mit Thilo Waasem (SPD).

Seltene Einigkeit: Klaus Voussem (CDU) und Thilo Waasem (SPD) begrüßen die Änderung des Wahl-Sitzverteilungsverfahrens.

Der NRW-Landtag hat ein neues Sitzverteilungsverfahren beschlossen. Eine Online-Petition fordert die Rücknahme der Entscheidung.

Man könnte sagen, Dr. Lothar Bleeker und Susanne Daniel haben Glück gehabt. Er zog 2020 für die AfD in den Euskirchener Kreistag ein, sie für die UWV. Hätte der Landtag in Düsseldorf das Wahlverfahren drei Jahre früher so geändert, wie er es kürzlich getan hat, wären beide am Wahlabend des 13. September 2020 leer ausgegangen.

Kleine Parteien sehen sich bei dem neuen Verfahren benachteiligt

Sowohl AfD als auch UWV hätten nämlich einen Sitz weniger erhalten und die Reservelistenplätze von Bleeker und Daniel hätten nicht gezogen. Warum die kleinen Parteien ob des neuen Verfahrens auf der Zinne sind, weil sie sich benachteiligt sehen, lässt sich also anhand des Kreistages zeigen. Dabei blicken sie bereits auf die Kommunalwahl in gut einem Jahr. Da könnten die jetzt noch theoretischen Verschiebungen Realität werden.

Blick in eine Sitzung des Kreistags.

Eine andere Zusammensetzung hätte der Kreistag, wenn das neue Verfahren der Sitzverteilung schon bei der Wahl 2020 gegriffen hätte.

Foto von Uwe Wegner von der UWV.

Sauer auf die großen Parteien: Uwe Wegner (UWV) .

Während AfD-Kreisparteichef Frank Poll die Frage dieser Zeitung, was er davon halte, unbeantwortet ließ, bezog UWV-Fraktionschef Franz Troschke deutlich Stellung: „Die großen Parteien machen sich den Staat mal wieder zur Beute.“ Aber das sei ja nichts Neues: „Nach all den Jahren rege ich mich darüber nicht mehr auf.“

SPD und Grüne würden vom neuem Verfahren profitieren

Sein Vorwurf erhält dadurch Nahrung, dass es CDU, SPD und Grüne waren, die das neue Sitzverteilungsverfahren gegen den erbitterten Widerstand der kleineren Parteien im Land durchgesetzt haben. Und eine Berechnung der Kreisverwaltung auf Anfrage dieser Zeitung ergibt: Sowohl SPD als auch die Grünen würden von dem neuen Verfahren profitieren. Die SPD käme auf 14 statt der jetzigen 13 Sitze, die Grünen auf 9 statt auf 8.

Insofern hatten Guido Massen (SPD) und Marcelle Kirsten-Dechamps (Grüne) im Gegensatz zu Bleeker und Daniel Pech, dass ihre Parteikollegen im Landtag nicht ein paar Jahre früher auf die Idee gekommen sind, das Verfahren, wie aus Stimmen Sitze werden, zu verändern. Sie säßen sonst im Kreistag.

Diese Gesetzesänderung muss zurückgenommen werden.
Uwe Wegner

Es gibt also Gewinner und Verlierer – und die Beurteilungen des Beschlusses fallen naturgemäß unterschiedlich aus bei den Politikern im Kreis Euskirchen. „Diese Gesetzesänderung muss zurückgenommen werden“, fordert etwa UWV-Kreischef Uwe Wegner. Wenn kleine Parteien und Wählergemeinschaften so klar benachteiligt würden, schade das der Demokratie: „Gerade Wählergemeinschaften stellen sicher, dass auch weniger prominente politische Anliegen und lokale Besonderheiten Gehör finden.“

Viele Wählergemeinschaften seien seit Jahrzehnten fester und verlässlicher Bestandteil in den Kommunalparlamenten und stellten vielerorts die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister, so der Weilerswister. UWV-Kreistagsfraktionschef Troschke würde es daher begrüßen, wenn sich die Landes-UWV einer geplanten Klage gegen den Landtagsbeschluss beim Landesverfassungsgericht anschließen würde.

Nicht nur der Kreistag hätte eine andere Zusammensetzung

Denn der Kreistag Euskirchen ist natürlich nicht das einzige Parlament, das anders aussähe, würde das neue Verfahren auf die jüngsten Wahlergebnisse angewendet. Die CDU hätte nach Berechnungen der FDP-Landtagsfraktion landesweit 184 Sitze in Räten und Kreistagen mehr, die SPD 84 und die Grünen 51. Das Nachsehen hätten demnach die FDP mit 95, die Linke mit 64, die AfD mit 29 Sitzen und die Wählergemeinschaften mit landesweit 131 Mandaten weniger.

„Das aber“, hält der Euskirchener CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Voussem den Kritikern entgegen, „sind gerade mal 1,68 Prozent aller Sitze.“ Leider gebe es keine mathematische Formel, die eine 100-prozentig genaue Spiegelung der Wahlergebnisse in den Parlamenten ermögliche.

Thilo Waasem: Klage könnte vor der Wahl für Klarheit sorgen

Mit dem nun beschlossenen Verfahren komme man aber einer gerechten Verteilung der Mandate näher als bisher. Wie kompliziert das alles ist, zeigt folgende Formulierung Voussems: Durch das neue Sitzzuteilungsverfahren werde „jede Stimme mehr gleich wert wie jede andere Stimme“, so Voussem. Darauf weist auch SPD-Kreispartei- und Fraktionschef Thilo Waasem in seltener Einigkeit mit Voussem hin: „Das bisherige Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers, das sagen auch Mathematiker und Staatsrechtler, bevorzugt kleinere Parteien.“

Von dem davor gültigen d'Hond-Verfahren hätten wiederum die „Großen“ profitiert, so Waasem: „Das neue Verfahren versucht nun einen Kompromiss zwischen beiden.“ Deshalb finde er den Ansatz richtig. Dass die kleinen Parteien und Wählergruppen sauer sind, könne er nachvollziehen, so Waasem. Dass sie vor Gericht ziehen wollen, auch: „Ich finde es gut, dass geklagt wird, damit dann Klarheit herrscht vor der nächsten Kommunalwahl.“

Klaus Voussem sieht einer Klage sehr gelassen entgegen

Die meisten Gutachter hätten die Verfassungsmäßigkeit bestätigt, führt der SPD-Kreischef aus: „Man hätte auch wieder d'Hond nehmen können.“ Dieses Verfahren sei schließlich vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform anerkannt worden, werde ja auch in einigen Bundesländern angewendet, bevorzuge aber die großen Parteien.

Aus diesem Grund sieht auch Voussem einer Klage nach eigenem Bekunden sehr gelassen entgegen. Er finde es aber schon bemerkenswert, wer da klagen möchte, nämlich „ausgerechnet die FDP, die auf Bundestagsebene zulässt, dass sogar Direktwahlbezirke demnächst im Bundestag keinen Platz mehr haben sollen“. Damit spielt er auf den Beschluss der Ampelfraktionen zur Verkleinerung des Bundestages an. Hier steht noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus.

UWV-Kreischef Wegener ruft unterdessen zur Unterzeichnung einer Online-Petition für die Rücknahme der Wahlgesetzveränderung auf. Die Fronten sind also klar, aber eine Aussage von Klaus Voussem dürfte unstrittig sein: „Am Ende ist alles höhere Mathematik.“


So werden aus Wahlstimmen Sitze in Kreistag und Räten

Der NRW-Landtag hat kürzlich mit den Stimmen von CDU, SPD und Grünen ein neues Sitzverteilungsverfahren nach den Wahlen für Räte und Kreistage beschlossen. Auf Basis der Wahlergebnisse für den Kreistag Euskirchen 2020 würde es wie folgt funktionieren.

Die CDU hatte damals 21 Direktmandate gewonnen. Da sie aber Gesamtstimmen für nur 17 Sitze erhielt, musste der Kreistag von den vorgesehenen 46 Sitzen auf 54 vergrößert werden (plus direkt gewähltem Landrat). Denn den anderen Parteien stehen zum Ausgleich ja auch Mandate zu, sogenannte Überhangmandate. Die CDU hatte mit 34 171 Stimmen einen Idealanspruch von 17,6900 Sitzen. Wegen der 21 Direktmandate muss nun folgende Rechnung angestellt werden, um die neue Größe des Kreistages festzustellen: 21 (Direktmandate): 17,6900 (Idealanspruch)=1,871. Daraus ergibt sich: 1,871 mal 46 (vorgesehene Sitzzahl)=54. So wächst der Kreistag auf 54 Sitze (ohne Landrat).

Eine Person kreuzt ein Kästchen auf einem Wahlzettel an.

Bis aus den Kreuzen Sitze in Räten werden, ist es ein komplizierter Weg.

Wie werden nun aus Stimmen Sitze? Bespiel SPD: Mit ihren 21 266 Stimmen hätte sie nach dem neuen Verfahren einen Idealanspruch von rechnerisch 13,234 Mandaten, abgerundet also 13, aufgerundet 14. Einen 14. Sitz erhielte sie aufgrund des sogenannten prozentualen Restes, der aus folgender Rechnung hervorgeht: 13,024 (Idealanspruch):14 (aufgerundete Sitzzahl)=0,9303.

Damit hätte die SPD den höchsten prozentualen Rest aller Parteien nach der CDU, die aber durch die Direktmandate gemessen an der Gesamtstimmenzahl ausreichend bedient ist. So steht der SPD ein Restsitz, also der 14., zu, ebenso den Grünen mit dem zweithöchsten prozentualen Rest (0,9101), also 9 statt 8.

Die FDP käme auf vier Sitze, weil sie einen Idealanspruch von 4,295 hätte. Der wurde schon beim bisherigen auf vier Sitze abgerundet, da die erste Stelle hinter dem Komma unter 5 lag und daher nicht aufgerundet wurde.

Bei AfD (3,56) und UWV (2,67) wurde der Idealanspruch bisher aufgerundet, das fällt mit dem neuen Verfahren weg, weshalb sie jeweils einen Sitz verlören. Denn der prozentuale Rest ist zu niedrig. Der Idealanspruch der Linken von 1,32 Sitzen wurde bereits auf einen Sitz abgerundet – und dabei würde es nach dem neuen Verfahren auch bleiben.