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„Ewig kann das so nicht weitergehen!“Frust und Sorge bei Euskirchener Karnevalisten

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Die letzte Vor-Corona-Hölle in Vettweiß: Bilder wie diese mit ausgelassen in Sitzungen feiernden Karnevalisten wird es auch diese Session nicht geben.

Kreis Euskirchen – Die Karnevalsvereine haben seit Dienstag ein Déjà-vu: Erneut wird es wohl keine Sitzungen und Karnevalspartys geben. Derlei sei, so Ministerpräsident Hendrik Wüst, derzeit angesichts des Infektionsgeschehens und der Unwägbarkeiten durch die Omikron-Mutante verantwortungslos. So kann es durchaus sein, dass „Jeck sin, lache, Musik mache“ in Mechernich und einige kleinere Events im November als einzige Innenveranstaltungen der Session 2021/22 in Erinnerung bleiben. Einig sind sich die frustrierten Karnevalisten: „Ewig kann das so nicht weitergehen!“

Euskirchen

In Euskirchen werden die vier Vaterstädtischen Vereine, der Festausschuss Euskirchener Karneval (Feuka) und das designierte Dreigestirn am Donnerstag beraten. „Wir werden das gemeinsam entscheiden“, sagt Feuka-Präsident Stefan Guhlke. Um eine Absage der Veranstaltungen komme man wohl nicht herum. Denkbar seien zwar kleinere Formate oder Online-Karneval, aber ob das sinnvoll sei, sei eine andere Frage. Über den Rosenmontags- und Kinderzug werde man vermutlich Mitte Januar entscheiden.

Kurz vor der Sessionseröffnung erklärten sich Jojo I. und Renate I. (Jürgens) bereit, die Jecken in Dom-Esch durch die Session zu führen. Und nun das. „Wir sagen bis Weiberdonnerstag alles pauschal ab. Wir hoffen, dass wir die Züge durchführen können. Das sind wir unserem Prinzenpaar schuldig“, so Daniel Pöthmann, Geschäftsführer der KG Gemütlichkeit.

Prinzengarde Mechernich

Karl Theißen, Vorsitzender der Prinzengarde (PG) Mechernich, zeigt sich „erschüttert“. Am 5. Februar sollte die Damensitzung in der Dreifach-Turnhalle stattfinden. 900 Karten statt der sonst üblichen 1200 hat die PG in den Vorverkauf gegeben. Wie immer standen mit Beginn des Vorverkaufs am 1. November in der Vereinskneipe Gardestüffje die ersten Interessentinnen früh am Morgen an, um sich die besten Plätze zu sichern. Jetzt weiß man: alles umsonst. Und nun? 2020 hatte die Prinzengarde immerhin keine Regressansprüche seitens der Agentur „Alaaf“ in Köln, die Redner und Musikgruppen vermittelt. Die Absage war offiziell durch eine Verordnung der Landesregierung veranlasst – damit waren die Vereine aus dem Schneider. Doch gilt das auch jetzt? Noch ist das für die Veranstalter streng genommen eine Auslegungsfrage. Theißen will erstmal abwarten, ob es wieder so offiziell wird wie 2020. Man werde zudem mit „Alaaf“ in Kontakt treten, der PG-Vorstand berät am Freitag.

Bisher hat Theißen vorsorglich Ansprüche beim Förderprogramm des Landes „Neustart miteinander“ geltend gemacht. Geld aus dem Entschädigungstopf können auch Karnevalsvereine, die wegen der Pandemie Veranstaltungen absagen müssen, beantragen. Im Falle der PG geht es laut Theißen um einen fünfstelligen Betrag, der gegebenenfalls als Ausfallgagen weitergegeben würde. Schließlich waren Bands wie Paveier, Milljöh und Filue verpflichtet.

Nettersheimer Höndche

„Das ist superschade, aber es wird wohl auch bei uns auf eine Absage unserer beiden Sitzungen hinauslaufen.“ Miriam Krüger, Vorsitzende der Löstige Höndche Nettersheim, geht davon aus, dass Innenveranstaltungen aller fünf Karnevalsvereine der Gemeinde (neben den Höndche die Löstig Jonge aus Marmagen, der KV Engelgau, die Jecke Garde Tondorf und die Zengsemer Klevbotze) ausfallen. Entscheiden wollen die Vereine in einer gemeinsamen Vorstandssitzung Anfang Januar.

KV Ripsdorf

„Wir hätten von unserer Seite aus nicht abgesagt, sondern es mit 2G-Plus-Konzept versucht.“ Martin Peetz, Präsident des KV Ripsdorf, wirkt traurig, aber auch ein bisschen erleichtert. Der Kontrollaufwand am Einlass nach den 2G-Plus-Vorgaben sei erheblich. Und vermutlich wären deutlich weniger Jecke zur Kappensitzung, den beiden Herrensitzungen und zur Mädchensitzung gekommen. Auch die Kindersitzung und die Kostümparty werden gestrichen.

Für Peetz ist jetzt schon klar, welcher Schaden entsteht: „Die Ehrenamtler auf unseren Dörfern, die Vereine, Musikvereine, Bands, Tanzgruppen, Redner leiden massiv unter der erneuten Absage.“ Und: „Das Brauchtum muss erhalten bleiben, sonst löst es sich langsam auf.“ Der Verein ist schon beim Sonderfonds des Bundes für Erstattungszahlungen registriert.

Die Hölle von Vettweiß

12000 Besucher an sechs Tagen, ein Umsatz deutlich im sechsstelligen Eurobereich: Das sind Rahmendaten der Hölle von Vettweiß, einer der größten Karnevalsveranstaltungen im Umkreis. Erneut wird die Sause, die vom 14. bis 21. Januar geplant war, ausfallen. Sebastian Schyma, Geschäftsführer der KG Vettweiß, und deren Präsident Peter Eversheim stehen zum zweiten Mal vor vollendeten Tatsachen. „Das ist für uns eine echt schwierige Situation“, so Schyma, der seinen Posten derzeit eher als Krisenmanager denn als Geschäftsführer sieht. Wäre eine Outdoorveranstaltung eine Alternative? Schyma schüttelt mit dem Kopf: Dafür fehle die nötige Infrastruktur.

Frustrierend

„Es ist mit Sicherheit die richtige Entscheidung, aber es frustriert einfach nur noch“, sagt Angelina Fischer, Trainerin der Showtanzgruppe „Sugar Girls“ aus Mutscheid. Der Terminkalender sei voll gewesen, die Vorfreude auf die Session groß. „Wir hätten so tolle Auftritte gehabt. Das ist einfach scheiße. Man fragt sich jetzt schon, wie es weitergeht“, sagt Fischer. Die Enttäuschung sei deshalb so groß, weil man eigentlich nicht in der jetzigen Situation stecken müsse. (tom)

Im Vorverkauf hatte die KG die Kartenkontingente auf 70 Prozent begrenzt, nach den verschärften 2G-Plus-Regeln wäre man bereit gewesen, nur 50 Prozent der Besucherinnen zu den Damensitzungen einzulassen.

„Wir zahlen jedenfalls jetzt schon drauf“, so Schyma. Doch man wollte an der Tradition der „Hölle“ festhalten. Ob die KG an Entschädigungen herankommt, prüft derzeit ein Steuerberater. Die Frage der Band-Gagen – immerhin treten in Vettweiß die Größen wie Brings, Bläck Fööss oder Höhner auf – sieht Schyma noch entspannt. Er vertraue auf das partnerschaftliche Verhältnis, das seit Jahren zwischen Bands und KG bestehe.

Weilerswist

„In Weilerswist wird es keinen Sitzungskarneval geben“, sagt Walter Dederichs, Schriftführer der KG Blau-Gold. Die große Mädchensitzung und die Herrensitzung werden abgesagt: „Die Vernunft ist größer als die Wehmut, keinen Karneval feiern zu können. Das sind wir unseren Gästen, aber auch den Vereinsmitgliedern schuldig.“ Da die Gemeinde den Karnevalszug bereits abgesagt hatte, ist in Weilerswist das zweite Jahr in Folge bereits jetzt Aschermittwoch, zumal auch die KG Alt Lommezem bekanntgegeben hat, auch auf die After-Zoch-Party in Lommersum zu verzichten. Damit dürfte auch der Zug auf wackeligen Beinen stehen.

Weyerer Blömche

Die Weyerer Blömche treffen die Absagen ausgerechnet zum 50-jährigen Bestehen. Vorsitzender Björn Wassong ist als Soloredner „Ne Jeck im Rähn“ auch selbst betroffen. Schon deshalb hat er für Gagenforderungen der Künstler Verständnis. „Das ist schließlich ihre Existenzsicherung“, so Wassong.

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Allerdings gibt es für den kleinen Verein, der alle Sitzungen absagen wird, ein Problem: „Wir haben schon Geld aus dem Landesprogramm für unsere Anno-Pief-Sitzung am 27. November bekommen. Die hätten wir sonst gar nicht veranstalten können.“ Ein zweiter Zugriff auf den Fonds sei offenbar nicht möglich. Und jetzt stehen durch die Absagen wieder geschätzte 3000 bis 5000 Euro an Kosten unter anderem für gebuchte Aktive für Kostüm- und Kindersitzung an. Also versuchte Wassong sein Glück bei der Registrierung für den Sonderfonds des Bundes. Vergeblich: Das gehe nur, wenn man nicht nur eingetragener Verein, sondern auch gemeinnützig sei. Die Weyerer und einige andere Karnevalsvereine sind das aber nicht. Wassong will sich nun an Land- und Bundestagsabgeordneten für die Region wenden und um Hilfe bitten. Denn: „Derzeit befürchte ich, dass wir als Verein auf den Kosten für die Sitzungen sitzen bleiben.“

Zülpich

Die Jecken in Zülpich befinden sich zwischen Schockstarre und Trotzhaltung. „Wir bedauern die aktuelle Entwicklung zutiefst“, sagt Robert Frings, Präsident der Zölleche Öllege. Die Jecken hätten bei der Mädchensitzung im November, der Sessionseröffnung und der Proklamationssitzung bewiesen, dass mit den Schutzkonzepten ein höchstes Maß an Sicherheit erreicht worden sei. Am Donnerstag entschieden die Präsidenten der vier großen Vereine mit Prinz Rolf II. (Kogel), wie es weitergeht. Zur Debatte steht auch die Absage des Rosenmontagszugs.