Düsseldorf – Die SPD und die bisherige Regierungsfraktion FDP im nordrhein-westfälischen Landtag wollen den Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Flutkatastrophe vom Juli 2021 fortsetzen. Beide Fraktionen beschlossen am Dienstag einen gemeinsamen Antrag zur erneuten Einsetzung des Ausschusses in der neuen Legislaturperiode. Das Plenum soll kommende Woche darüber abstimmen. SPD und FDP verfügen im Landtag über die notwendige Mehrheit zur Durchsetzung des Ausschusses.
„Sie sehen uns hier in ungewohnter Konstellation”, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty bei dem gemeinsamen Presseauftritt mit dem neue FDP-Fraktionschef Henning Höne. Denn auch die bisher in NRW mitregierende FDP sitzt nach ihrem Absturz bei der Landtagswahl künftig auf der Oppositionsbank im Landtag. CDU und Grüne verhandeln nach ihren Erfolgen bei der NRW-Landtagswahl über eine schwarz-grüne Koalition. Am kommenden Dienstag (28. Juni) soll Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Landtag wiedergewählt werden.
Mit der Landtagswahl Mitte Mai und dem Ende der Legislaturperiode war auch die Arbeit des Flut-Untersuchungsausschusses beendet. Die Verlängerung sei aber erforderlich, „um die noch wenigen offenen Fragen abschließend zufriedenstellend und mit Rücksicht auf das Leid der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den Hochwassergebieten beantworten zu können”, heißt es nun im Antrag von SPD und FDP.
Für die SPD bedeutet die Wiedereinsetzung des Flut-Ausschusses einen Kurswechsel. Kutschaty ließ erkennen, dass die FDP auf die SPD zugegangen sei, um die Chancen für die Fortführung auszuloten. Allein könnten die Liberalen das Gremium nicht durchsetzen.
Noch Anfang Juni hatte es allerdings in der SPD geheißen, eine Fortsetzung sei nicht geplant. „Wir waren da zunächst als SPD-Fraktion etwas zurückhaltender”, räumte Kutschaty nun ein. Denn nach einer ersten Bewertung hätten sich bereits „zahlreiche eklatante Versäumnisse der Landesregierung” aufklären lassen.
So sei etwa kein Gebrauch von den vielfältigen Möglichkeiten gemacht worden, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen und zu evakuieren. Nicht zuletzt habe ein Teil des Kabinetts auf Mallorca gefeiert, während die Flut-Opfer um ihre Existenz gekämpft hätten, sagte Kutschaty. Wenige Wochen vor der Landtagswahl war die damalige Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) wegen ihres Mallorca-Aufenthalts während der Flutkatastrophe zurückgetreten.
Es fehle aber noch ein Abschlussbericht des Ausschusses, sagte Kutschaty. „Das sind wird den Betroffenen dieser Katastrophe schuldig.” Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, sondern um einen würdigen Abschluss der Untersuchungen. Der SPD-Oppositionsführer schätzte, dass die Arbeit des Gremiums ungefähr ein Jahr dauern könne. Danach solle eine fraktionsübergreifende Enquete-Kommission eingesetzt werden, die Maßnahmen für den Fall künftiger Naturkatastrophen erarbeiten soll.
Der bisherige Ausschuss hatte nur einen Zwischenbericht nach siebenmonatiger Arbeit beschlossen. Die Fraktionen stellen in ihrem Antrag für den neuen Ausschuss, bei dem die SPD den Vorsitz haben wird, noch 30 Fragen zum Verhalten und zur Kommunikation der Landesregierung während der Flut und zu den Konsequenzen, die aus der Katastrophe gezogen werden müssten. Ob auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) als Zeuge aussagen muss, ließ Kutschaty offen. „Ich würde da keine Person ausnehmen, die in Betracht kommt.”
FDP-Fraktionschef Höne sagte, die Flut vor einem Jahr sei die größte Naturkatastrophe des Landes NRW gewesen. Rund 180 Kommunen waren betroffen. 49 Menschen starben bei dem Hochwasser. Die Schäden werden auf etwa 13 Milliarden Euro beziffert. Der Wiederaufbau sei in vielen Orten noch voll im Gange, sagte Höne. Die Aufklärungsarbeit sei noch nicht abgeschlossen.
Einige Gutachten und Zeugenaussagen konnten laut Höne noch nicht ausgewertet werden, manche Zeugen seien noch nicht geladen und Tausende Seiten an vorliegenden Akten noch nicht ausgewertet worden. In einigen Fällen drohe aus Datenschutzgründen auch eine Vernichtung von Unterlagen, hatten die Liberalen zuvor gewarnt. „Wir sind es allen Opfern und Betroffenen schuldig, die Arbeit zu einem vernünftigen Ende zu bringen”, sagte Höne. Auch die bisher oppositionellen Grünen hatten sich als künftiger Koalitionspartner der CDU gesprächsbereit zu der Fortführung des Ausschusses gezeigt.
Ein Untersuchungsausschuss muss von mindestens einem Fünftel der Abgeordneten beantragt werden. Das sind im neuen Landtag 39 der 195 Parlamentarier. Die SPD könnte mit ihren 56 Abgeordneten den Ausschuss sogar im Alleingang beantragen. Die FDP hat 12 Abgeordnete.
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