Friedrich Merz hat die Grünen schon länger als „Hauptgegner“ in der Bundesregierung ausgemacht.
Es wird einsam auf der schwarz-grünen Insel„Zukunftskoalition“ kämpft gegen den Eindruck, in einem Auslaufmodell zu regieren
Es war Gastfreundschaft hart am Rande des Rauswurfs. Tim Achtermeyer und Raoul Roßbach, der Co-Vorsitzende der NRW-Grünen und sein Geschäftsführer, statteten Ende Oktober dem CDU-Landesparteitag in Hürth einen unter Koalitionspartnern üblichen Höflichkeitsbesuch ab. Irgendwann begrüßte sie Friedrich Merz vom Rednerpult aus. Er freue sich, dass „beide Vertreter der grünen Landespartei“ da seien. Das sage er „ohne Ironie“, betonte der CDU-Bundesvorsitzende. Um den Ehrengästen dann „ein offenes Wort“ entgegenzubellen: „Sie müssen in der Einwanderungspolitik in die Bundesrepublik Deutschland Ihren Kurs korrigieren!“
Ein ranghoher Parteitagsdelegierter fragte hinterher in der Eingangshalle des Hürther Euronova-Campus peinlich berührt, „ob das wirklich sein musste, dass der Friedrich die grünen Jungs so angeht?“ Doch Merz hat wohl nur eine Stimmung in der Union pointiert zum Ausdruck gebracht, die spätestens mit dem jüngsten Schwenk der Hessen-CDU zum neuen Koalitionspartner SPD mit Händen zu greifen ist: Schwarz-Grün gilt vielen plötzlich als Auslaufmodell, das nicht mehr in eine Zeit von Rezession, Migrationskrise und Abstiegsangst zu passen scheint.
Was macht das mit der noch recht jungen „Zukunftskoalition“ in NRW, die sich doch als schwarz-grünes Referenzmodell für den Bund empfehlen wollte? Und wie positioniert sich Ministerpräsident Hendrik Wüst, der eben noch als smarte schwarz-grüne Avantgarde mit öko-sozialer Agenda den Ton in der Union zu bestimmen schien? Kanzlerkandidaten-Träume inklusive.
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Stimmungsumschwung in der Union an Rhein und Ruhr kein Thema
Merz hat die Grünen schon länger als „Hauptgegner“ in der Bundesregierung ausgemacht. CSU-Chef Markus Söder richtete seinen gesamten bayerischen Landtagswahlkampf auf schroffe Ablehnung der angeblichen Verbotspartei aus. Und in Hessen, der Heimat von frühesten Regierungsrealos wie Joschka Fischer, konnten selbst zehn pragmatische Koalitionsjahre an der Seite der CDU den Rauswurf nicht verhindern. Das letzte echte schwarz-grüne Bekenntnis legte im vergangenen Sommer Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther ab, als er sich gegen eine ebenfalls mögliche Regierung mit der FDP entschied.
Offiziell ist der Stimmungsumschwung in der Union an Rhein und Ruhr kein Thema. Man wähnt sich vielmehr auf einer Insel schwarz-grüner Harmonie. „Wir arbeiten in NRW vertrauensvoll und konstruktiv zusammen. Das kommt an, wie auch die starken Umfragewerte zeigen“, sagt die grüne Co-Landeschefin Yazgülü Zeybek. Tatsächlich hat Infratest Dimap vergangene Woche in einer WDR-Umfrage sehr gute 35 Prozent für die CDU und überaus ordentliche 18 Prozent für die Grünen gemessen. Die Zufriedenheit mit der schwarz-grünen Regierungsarbeit in Düsseldorf ist zwar weiterhin eher schwach ausgeprägt, aber die demokratische Mitte findet offenbar angesichts der desolaten NRW-SPD bislang keine neue politische Adresse.
„Natürlich haben wir als unterschiedliche Parteien erwartungsgemäß verschiedene Perspektiven. Was uns eint, ist der Wille, gemeinsam konstruktiv für NRW zu arbeiten“, findet Zeybek. Tatsächlich zahlte sich Wüsts Kurs der freundlichen Geräuschlosigkeit im ersten gemeinsamen Regierungsjahr für beide Koalitionspartner einigermaßen aus. In konfliktreichen Zeiten sollten die Bürger nicht zusätzlich mit Parteiengezänk, inhaltlicher Schärfe oder auch nur kühnen Gesellschaftsentwürfen behelligt werden. Im Zweifel wurden Problemthemen zur Ampel-Koalition nach Berlin delegiert.
Migrations- und Wirtschaftskrise haben jedoch den Druck auf Schwarz-Grün in NRW schlagartig erhöht. Selbst CDU-Bürgermeister und -Landräte halten nun mit Kritik am Flüchtlings-, Energiewende- und Finanzmanagement „ihrer“ Regierung in Düsseldorf nicht mehr hinter dem Berg. Manche haben das Gefühl, dass gerade die Grünen nicht verstanden hätten, was an der kommunalen Basis und bei „normalen“ Leuten gerade so los ist. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann kleidete solch diffuses Unwohlsein soeben in einem „taz“-Interview in den legendären Satz: „Ich glaube, dass wir den Leuten zurzeit offensichtlich auf die Nerven gehen.“
Ist man inzwischen zu selbstgewiss?
Wüst, der mit einem untrüglichen Sinn für Machtgelegenheiten ausgestattet ist, verändert seinen konzilianten Ton gegenüber den Grünen in kaum vernehmbarer Frequenz. Bei der jüngsten Ministerpräsidenten-Konferenz aber verhandelte der NRW-Regierungschef erfolgreich die Prüfung von Asylverfahren außerhalb der EU ins Abschlusspapier. „Weder rechtlich noch praktisch absehbar“, kommentierte Grünen-Landtagsfraktionschefin Verena Schäffer säuerlich und verbat sich einen „Überbietungswettbewerb von Scheinlösungen“.
Als offene Kritik am Ministerpräsidenten wollte Schäffer das hinterher natürlich nicht gedeutet wissen. Genau diese verdruckste Unlust, offen um Lösungen mit sich und dem Koalitionspartner zu ringen, stößt parteiintern offenbar zunehmend auf. Der frühere Chef von Landesverband und Landtagsfraktion, Arnd Klocke, ließ jetzt mit einem meinungsstarken „Blog“ aufhorchen. „Was wir Grüne in den letzten Jahren nach meiner Einschätzung verloren haben, ist eine nüchterne Analysefähigkeit und auch ein gewisses, gesundes Maß an Selbstkritik“, schreibt der Kölner Wahlkreis-Gewinner da. Früher seien Positionen zu Militäreinsätzen, Braunkohleausstieg, Doppelter Staatsbürgerschaft oder einer Reform der Sozialsysteme stellvertretend für die Gesellschaft schmerzhaft erstritten worden. Ist man inzwischen zu selbstgewiss und scheut jede innerparteiliche Kontroverse? „Ganz wichtig heutzutage“, bilanziert Klocke sarkastisch, „ist in der Tagungshalle die große Fotowand mit dem grünen Logo für die Erinnerungsfotos für Social Media.“