Die erste NRW-Landesregierung aus CDU und Grünen erreicht die Mitte der Legislaturperiode. Gelegenheit für unsere Landeskorrespondenten Tobias Blasius und Matthias Korfmann, einen kritischen Blick auf Personen und Performance zu werfen.
Halbzeitbilanz in DüsseldorfDie Minister der NRW-Landesregierung in der Einzelkritik
Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident
Die Opposition in Düsseldorf verhöhnt ihn als inhaltsleeren „Insta-Präsidenten“, dessen Regierungsehrgeiz sich in Hochglanz-Terminen erschöpfe. Der bayerische CSU-Amtskollege Markus Söder drängt ihn in die Rolle des Grünen-Verstehers, der in einer nach rechts gerückten Merz-CDU einen „toten Gaul“ reite. Doch Wüst kann das alles nichts anhaben. Seine durchchoreografierten Auftritte, sein Kokettieren mit der Kanzlerkandidatur und sein pfleglicher Umgang mit dem Koalitionspartner haben ihn zu einem der bekanntesten und beliebtesten Politiker Deutschlands gemacht. Daumen: HOCH
Mona Neubaur (Grüne), Wirtschaft und Energie
Ohne Regierungserfahrung wurde die heute 47-Jährige gleich Vize-Ministerpräsidentin. Sie ist neben Wüst das Gesicht des ersten schwarz-grünen Bündnisses in NRW. Im Kreise der Firmenlenker bewegt sie sich gern und sicher, dafür hat sie es sich -- nicht nur wegen der Lützerath-Räumung -- mit der Grünen Jugend verscherzt. Der umstrittene Braunkohle-Deal mit RWE hängt ihr nach, ein Gericht kippte wichtige Windkraft-Pläne. Ihr Versprechen, NRW steige bis 2030 aus der Kohle aus, ist kaum zu halten. Wirtschaftlich geht„s dem Land schlecht – eine schwere Hypothek. Daumen: MITTEL
Nathanael Liminski (CDU), Staatskanzleichef
Der immer noch erst 39-jährige Liminski ist die zentrale Figur der Regierung Wüst. Ressortkoordination, Bundesrat, Europa, Medien - alles geht über seinen Tisch. Der Staatskanzleichef ist eine in der Politik sehr seltene Mischung aus Leutseligkeit, Machthärte und Intellektualität. Wie lange hält es so einer noch aus in der zweiten Reihe der Landespolitik? Dass Liminski bisweilen in zu vielen Töpfen rührt, zeigen seine geheimen und mutmaßlich rechtswidrigen „Bewerbungsgespräche“ mit Aspiranten auf das Präsidentenamt beim Oberverwaltungsgericht. Daumen MITTEL
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Marcus Optendrenk (CDU), Finanzen
Einer der wenigen Finanzminister vom Fach: Der Volljurist und promovierte Historiker Optendrenk hat vor seiner Politiker-Karriere als Spitzenbeamter im Finanzministerium gearbeitet. Als niederrheinischer Gemütsmensch vermag es der 55-Jährige, der grauen Welt der Zahlen ein wenig Fröhlichkeit einzuhauchen. Umso erstaunlicher seine Probleme bei der Aufstellung eines verfassungsgemäßen Landeshaushalts. Als erster Kassenwart muss er wieder Milliardenschulden machen. Und der Ärger um die Grundsteuer ist ein Thema für sich. Daumen MITTEL
Karl-Josef Laumann (CDU), Arbeit, Gesundheit, Soziales
Schwergewicht und soziales Gewissen des Kabinetts. Der Münsterländer hat das Kunststück fertiggebracht, eine schmerzhafte Operation wie die Krankenhausreform nicht nur anzugehen, sondern die NRW-Variante gleich zum Vorbild für die Krankenhausplanung in ganz Deutschland zu machen. Er begegnet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mindestens auf Augenhöhe. Mit seinem Einsatz für eine Widerspruchslösung bei der Organspende ist er im besten Sinne Überzeugungstäter. Ein Schatten fällt auf ihn: Ausgerechnet im Sozialen kürzt Schwarz-Grün radikal. Daumen HOCH
Herbert Reul (CDU), Inneres
Der 72-jährige Kabinettssenior ist das populärste Mitglied der Regierung. Reul hat es geschafft, dass man ihm selbst die schlechte Kriminalitätsentwicklung in NRW nicht übelnimmt. Sein Talent zum Klartext und sein Bemühen, der Polizei immer mehr Personal, Ausstattung und Eingriffsbefugnisse zu verschaffen, haben „Onkel Herbert“ zur Marke gemacht. Nach dem Anschlag von Solingen war er da, als andere abtauchten. Seine Kontakte zu einem Luxus-Schleuser, von dem er Wahlkampf-Spenden annahm, kratzen jedoch an Reuls Image. Daumen HOCH
Ina Scharrenbach (CDU), Heimat, Kommunales, Bau, Digitalisierung
Angesichts der Bauflaute, städtischer Geldsorgen und technisch rückständiger Ämter ist es eher Strafe als Genuss, für Kommunales, Bauen und Digitalisierung zuständig zu sein. Die 48-Jährige aus Kamen, die als fleißig und streng gilt, muss kämpfen. Vorm Verfassungsgericht steckte sie eine Schlappe ein, weil sie dem Ausschuss zur Flutkatastrophe Akten verweigerte. Ihr erster Anlauf für eine Altschuldenhilfe war ein Desaster, später wurde noch ein ordentlicher Wurf daraus. Als „Kronprinzessin“ für das Ministerpräsidentenamt ist sie nicht mehr im Gespräch. Daumen: MITTEL.
Dorothee Feller (CDU), Schule und Bildung
Ihr Amt gilt als vergiftet, aber die Ex-Chefin der Bezirksregierung Münster hält, was sich der Ministerpräsident von ihr verspricht: Die 58-Jahrige hat Ruhe in die Schulpolitik gebracht. Sie ist angenehm im Umgang und als Pragmatikerin frei von visionärem Ehrgeiz. Ihr Konzept gegen den Lehrermangel trägt erste Früchte. Zur Wahrheit gehört aber, dass die Schulen immer noch zu wenig Personal haben. Viele Pädagogen sind sauer auf Feller, weil sie die Teilzeit einschränkt und Lehrer an Schulen abordnet, in denen sie nicht arbeiten möchten. Ein Ausführungsgesetz für den Offenen Ganztag kam auch nicht zustande. Daumen: MITTEL
Ina Brandes (CDU), Wissenschaft und Kultur
Die Infrastrukturmanagerin war im Herbst 2021 eigentlich aus Niedersachsen in die NRW-Landespolitik gewechselt, um sich als Verkehrsministerin auf vertrautem Terrain zu bewegen. Nach der Landtagswahl musste sich die 47-jährige Wüst-Vertraute als Wissenschafts- und Kulturministerin neu erfinden. Tritt öffentlich kaum in Erscheinung, gilt aber als Verteidigerin der Hochschulautonomie und erweist der Spitzenkultur in NRW immer wieder ihre Reverenz. Mit einer umfassenden Gesetzesnovelle will sie Machtmissbrauch im Wissenschaftsbetrieb eindämmen. Daumen: MITTEL
Benjamin Limbach (Grüne), Justiz
Sympathischer Seiteneinsteiger in die Politik. Seine Mutter, die frühere Bundesverfassungsgerichts-Präsidentin Jutta Limbach, und der späte Wechsel von der SPD und den Grünen machten den 55-Jährigen für die Öffentlichkeit vom ersten Tag an interessant. Der Absturz im Amt ist umso bitterer. Die Kungel-Affäre um die Besetzung des OVG-Präsidentenamtes mit einer Duz-Bekanntschaft, die in einer Gerichtsklatsche aus Karlsruhe und einem Untersuchungsausschuss im Landtag endete, haben Limbach unmöglich gemacht. Bleibt trotzdem und darf nun Innenminister Reul beim Law & Order-„Sicherheitspaket“ assistieren. Daumen: RUNTER
Oliver Krischer (Grüne), Umwelt, Naturschutz, Verkehr
Hat mehr politische Erfahrung als die anderen grünen Landesminister zusammen und verzichtet auf Ideologie. Der 55-Jährige knöpft sich mitunter Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor und ermahnt ihn, nicht nur an Autobahnen, sondern auch an die maroden Brücken zu denken. Krischer ist Fan des Deutschlandtickets und warnt vor den Folgen des Klimawandels. Allerdings: Die Staus in NRW sind noch lang, der Nahverkehr eine Katastrophe, der Radwege-Ausbau stockt, und ein Herzensprojekt Krischers – der zweite Nationalpark – steht vor dem Scheitern. Daumen: MITTEL
Josefine Paul (Grüne), Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht, Integration
Integration ist ein großes Thema, und viele Kitas stecken weiter tief in der Krise – personell und finanziell. Guten Willens, aber viel zu zögerlich geht Paul diese Probleme an, versteckt sich hinter formelhafter Verwaltungssprache und gerät in die Defensive. Ihr Versuch, von der NRW-Verantwortung für die gescheiterte Abschiebung des Solingen-Attentäters abzulenken, ging schief. Stattdessen werden Kommunikationspannen bekannt, in die sie involviert ist. Städte werfen der 42-Jährigen vor, zu wenige Plätze für Geflüchtete vorzuhalten. Trittsicher ist sie bei ihrem Einsatz für queere Menschen. Daumen: RUNTER
Silke Gorißen (CDU), Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ihre beiden Vorgängerinnen scheiterten in diesem Amt, daher dürfte die frühere Klever Landrätin nervös gestartet sein. Doch es zahlt sich für Wüst aus, auf die erfahrene Verwaltungsfrau zu setzen. Ihr Ressort ist klein und liegt etwas unterhalb des Radars, aber das schmälert die Leistung nicht: Von Ärger blieb die 52-jährige Bauern-Versteherin weitgehend verschont. Clever ist ihre Rolle im Streit um einen zweiten Nationalpark: Sie torpediert ihn nicht offensiv, singt aber bei Gelegenheit das Lied der Park-Kritiker mit. Landespolitik wird oft aus der Düsseldorfer Großstadt-Perspektive gemacht. Gorißen weiß: NRW ist auch ein Dorf. Daumen: HOCH