In Bayern soll laut Markus Söder bald eine verpflichtende tägliche Bewegungszeit für Grundschüler einführt werden. In Nordrhein-Westfalen fehlen bislang gesetzliche Standards für eine systematische Förderung.
Rundschau-Debatte des TagesWelche Rolle spielt der Sport künftig an Schulen?
Als NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) vor einem Jahr in Düren den ersten mobilen Schwimmcontainer „Narwali“ höchstselbst einweihte, provozierte dieser Repräsentationstermin bei Politikbeobachtern zunächst spöttisches Staunen: Hat der Regierungschef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes der drittgrößten Industrienation der Welt nichts Besseres zu tun?
In der NRW-Sportszene jedoch kam Wüsts Besuch am Beckenrand gut an. Als wichtigste soziale Klammer einer immer stärker zerklüfteten Gesellschaft fühlen sich die landesweit knapp 18000 Sportvereine mit ihren unzähligen Ehrenamtlichen von der Politik viel zu selten gesehen.
Außerdem sind die mit Landesförderung zu kleinen Lehrschwimmhallen umgebauten Seefrachtcontainer ein rares Beispiel für regierungsamtlichen Pragmatismus. Die unkonventionelle Sport-Staatssekretärin Andrea Milz (CDU) hatte das Pilotprojekt gemeinsam mit Kreissportbünden und Grundschulen als Notbehelf gegen Schwimmkurs- und Bädermangel vorangerieben.
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Doch nun wartet auf Wüst, der als Jugendhandballer des TV Rhede selbst jahrelang Turnhallen-Luft geschnuppert hat, die nächste Riesenherausforderung: Spielt die sportliche Betätigung von Grundschülern künftig im Offenen Ganztag (OGS) des Landes die zentrale Rolle, die ihr zufallen müsste?
Die Ausgangslage
„Der zum Beginn des aufwachsenden Rechtsanspruches am 1. August 2026 in Kraft tretende Ganztags-Erlass sieht vor, dass bei Bewegungs- und Sportangeboten insbesondere auf eine regelmäßige Angebotsstruktur geachtet werden soll“, erklärt eine Sprecherin der NRW-Landesregierung gegenüber unserer Redaktion. Bei den Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten sei der gemeinnützige Sport vorrangig zu berücksichtigen.
Die Diskussion über die Ausgestaltung von Ganztagsangeboten in Deutschland ist in Fahrt gekommen, seit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine täglich verpflichtende halbe Stunde Bewegungszeit für alle Grundschüler im Freistaat angekündigt hat. Parallel zum Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung müsse für den Nachmittag sportliche Betätigung verbindlich eingeplant werden, hatte Söder Ende September erklärt. In Zusammenarbeit mit Sportvereinen könne dabei die Bewegungszeit unterschiedlich gestaltet werden.
Der Hintergrund
Vom 1. August 2026 an haben alle neuen Grundschüler in Deutschland einen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz. Ab 2029 ist die Nachmittagsbetreuung dann für alle Grundschul-Jahrgänge obligatorisch, sofern Eltern für ihre Kinder einen Platz wünschen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen inzwischen, dass eklatanter Bewegungsmangel in der Freizeit bei Kindern motorische, gesundheitliche und mentale Probleme verstärkt hat.
Der bayrische Vorstoß für mehr Bewegung im Schulalltag hat bundesweit beim organisierten Sport Interesse geweckt, zumal Söder bayerische Sportikonen wie Philipp Lahm und Felix Neureuther einbinden will. Die Ankündigung sei „inhaltlich unterlegt“ und mit dem Bayrischen Landessportbund abgesprochen, erklärte ein Sprecher des NRW-Landessportbundes. Man hatte sich umgehend in München erkundigt. Unter anderem sei in Bayern vereinbart, „sukzessive Grundschulen zu Sportgrundschulen auszubauen“ und mit einer „Kraftanstrengung“ tägliche Bewegung zu verankern.
Was die Regierung vorhat
NRW will offenbar keine solche tägliche Bewegungszeit verordnen, aber die Kooperation zwischen Sportvereinen und OGS-Trägern fördern. Die Sportvereine fordern von der schwarz-grünen Landesregierung schon länger eine systematische Beteiligung am künftigen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den landesweit rund 2800 Grundschulen.
Zwar sind schon heute rund 65 Prozent aller Nachmittagsangebote Bewegungsangebote, allerdings klappt die Kooperation mit lokalen Vereinen nicht überall gut. Das hängt oft mit fehlender Infrastruktur, Geld- und Personalmangel zusammen. Rund 80 Prozent aller außerunterrichtlichen Betreuungsangebote organisieren in NRW freie Träger, die besonders unter einer OGS-Unterfinanzierung durch das Land und fehlenden gesetzlichen Standards leiden.
Was die Vereine möchten
Vereine und Verbände hatten gehofft, dass die schwarz-grüne Landesregierung mit einem Ausführungsgesetz für den OGS-Betrieb klare Standards vorschreibt, wie der Sport ins Ganztagsangebot zu integrieren ist. Wenn immer mehr Kinder bis in den Nachmittag in der Schule bleiben, sind die Vereine ohnehin auf eine enge Kooperation angewiesen. Die OGS-Träger wiederum können engagierte Partner gut gebrauchen, die den Nachmittag der Kinder sinnvoll füllen.
Es erwartet zwar niemand, dass Trainer gleich in der OGS selbst angestellt werden wie im erfolgreichen nordamerikanischen Schulsportsystem. Doch ein paar gesetzliche Standards sollten es dann doch sein. Davor schreckte die Koalition jedoch zurück. Das Land hätte mit dem Gesetz zugleich beantworten müssen, wer für Übungsleiter und Turnhallenstunden in den finanziell ausgezehrten Kommunen aufkommt.
Wo die Meinungen auseindergehen
NRW sieht sich in der Talentförderung trotzdem „hervorragend aufgestellt“ und verweist auf 18 Sportschulen, die mit 90 Grundschulen kooperierten. Zudem sei Sport in NRW von der ersten Klasse bis zur Abschlussprüfung verpflichtendes Unterrichtsfach. Mit drei Wochenstunden sei man gemeinsam mit Brandenburg „das Land mit den meisten verpflichtenden Sportstunden durchgängig durch alle Klassenstufen“.
Der Deutsche Sportlehrerverband beklagt dagegen eine „ausbaufähige Situation“. Erhebliche Probleme bereiteten der hohe Stundenausfall und der häufig fachfremd erteilte Sportunterricht. Dabei sorgt man sich augenscheinlich gerade um den Nachwuchs aus Elternhäusern, die nicht zur Bewegung angehalten oder zum nächsten Verein chauffiert werden: „Nur im Schulsport erreichen wir alle Kinder und Jugendlichen.“