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Rundschau-Debatte des TagesStreicht die EU Thüringen die Fördergelder?

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Das Wahlprogramm der AfD in Thüringen liegt auf einem Tisch.

Das Wahlprogramm der AfD in Thüringen liegt auf einem Tisch.

Angesichts einer möglichen Regierungsbeteiligung der AfD in Thüringen mehren sich die Sorgen vor einem Verlust von Rechtsstaatlichkeit. Tatsächlich sind die Ängste vor Sanktionen nicht unbegründet.

Die EU ist eigentlich bereits überbeschäftigt, manche würden auch sagen überlastet, mit Sorgenkindern. Vorneweg der ungarische Rechtsnationalist Viktor Orban. Der demontiert bereits seit Jahren den Rechtsstaat und untergräbt die Demokratie, wo er nur kann. Umso mehr Nervosität kommt in Brüssel auf, wenn in Deutschland gewählt wird, wie gerade in Thüringen gewählt wurde. Das starke Abschneiden der in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei lässt nicht nur in Brüssel eine bange Frage aufkommen: Könnte bald die rechtsextreme AfD an der Landesregierung beteiligt sein?

Sorge vor Eingriffen bei Grundrechten

Damit einhergehend sind vor allem die Sorgen um demokratische Grundrechte gewachsen. Was etwa, wenn bei einer Regierungsbeteiligung der AfD in Thüringen die Grundrechte der EU wie etwa Medienfreiheit infrage gestellt werden? Bislang hat Brüssel hauptsächlich auf Angriffe auf demokratische Institutionen auf nationalem Level reagiert. So wurden für Ungarn etwa Zuschüsse aus dem EU-Haushalt gesperrt und bis vor Kurzem wandte die EU das finanzielle Druckmittel auch bei Polen an, als dort noch die rechtspopulistische, zur Autokratie neigende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an der Macht war.

Handlungsmöglichkeiten der EU

Tatsächlich könnte die Union aber auch auf regionaler Ebene handeln und das noch mehr im Falle eines föderalen Systems wie in Deutschland, weil die Bundesländer – anders als in zahlreichen anderen Mitgliedstaaten – viele EU-Fördergelder selbst verwalten und eine bedeutende Rolle bei der Umsetzung von EU-Recht spielen. „Deshalb sind die Rechtsstaatlichkeits-Instrumente, die der EU zur Verfügung stehen, gut anwendbar“, sagt die Europarechtlerin Luise Quaritsch vom Jacques Delors Centre in Berlin. Als einfachste Möglichkeit gelten finanzielle Kürzungen. „Wenn ein Bundesland in seiner Verwaltung etwas unternimmt, was nicht mit der EU-Grundrechtecharta konform ist, dann könnte die Kommission ein Programm entweder nicht genehmigen oder die Auszahlung der Gelder über die Programmlaufzeit stoppen, bis die Grundrechte wieder erfüllt sind“, so Quaritsch.

EU-Vertreter warnen vor Konsequenzen

Droht Thüringen also der Verlust von Millionen Euro, wenn die AfD doch noch die Geschäfte mitbestimmt? „Sollte Björn Höcke in Thüringen Grundrechte einschränken oder den Rechtsstaat angreifen, muss er mit Konsequenzen aus Brüssel rechnen“, kündigte der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund an. Konkret hieße das: „Sollten die Pressefreiheiten eingeschränkt, die Unabhängigkeit der Justiz sabotiert, Minderheiten drangsaliert oder Grundrechte eingeschränkt werden, dann würden EU-Fördermittel eingefroren werden“, so Freund im Gespräch mit dieser Redaktion.

Wie viel Geld Thüringen aus der EU erhält

In einem solchen Szenario würde es um viel Geld gehen. So erhält Thüringen im Zeitraum von 2021 bis 2027 fast 1,1 Milliarden Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, hinzu kommen rund 466 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds und gut 450 Millionen aus dem Europäischen Fonds für ländliche Entwicklung. Mit Hilfe der Strukturfonds will die Gemeinschaft den sozialen, strukturellen und wirtschaftlichen Zusammenhalt fördern und den Ausgleich zwischen den Regionen schaffen.

Beispiel Polen zeigt Möglichkeiten

Als Vorbild für entsprechende Schritte könnte ein Streit um Sanktionen in Polen dienen, aus dem die EU-Kommission schlussendlich als Siegerin hervorgegangen ist. Dort hatten sich ab 2019 mehr als 100 Städte und Dörfer zu „LGBT-freien Zonen“ erklärt, vor allem im traditionell streng katholischen Süden sowie im Osten des Landes. Stets standen hinter der Maßnahme Vertreter der von 2015 bis 2023 regierenden PiS, die in dieser Zeit eine lautstarke Anti-LGBT-Kampagne führte.

Die EU leitete nicht nur ein Vertragsverletzungsverfahren ein, weil die Kommunen laut Brüssel gegen die Grundrechte von homo- und transsexuellen Menschen verstoßen haben, sondern drohte auch, Millionen von Zloty an EU-Fördermitteln für die Regionen wegen dieser Frage zu streichen. Es hat funktioniert. Fast alle Orte nahmen die Beschlüsse am Ende zurück. Entscheidend beim Rechtsstaatsmechanismus sei, sagt Europarechtlerin Quaritsch, „dass es eine Verbindung zwischen einem Rechtsstaatlichkeitsverstoß und der Verwendung von EU-Geldern gibt“. Das heißt, es muss stets der Bezug zum EU-Haushalt existieren, der sich aus den Steuergeldern aller Bürger speist.


Sorge vor AfD-Sperrminorität: Richterbund fordert Reform

Angesichts einer möglichen Blockade von Richterbesetzungen durch den Wahlsieg der AfD in Thüringen hat der Deutsche Richterbund (DRB) eine Reform des Verfahrens gefordert. Es sei „dringender denn je“, die Unabhängigkeit der Justiz „besser gegen gezielte politische Eingriffe durch illiberale, extremistische Kräfte zu sichern“, erklärte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Das Ernennungsverfahren müsse „gesetzlich so ausgestaltet sein, dass es möglichst nicht parteipolitisch missbraucht werden kann“.

Nach den Landtagswahlen in Thüringen am 1. September verfügt die AfD im dortigen Parlament nun über mehr als ein Drittel der Mandate. Sie kann damit im Landtag Entscheidungen blockieren, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig sind. Dazu gehören neben Verfassungsänderungen auch die Wahl von Mitgliedern des Richter- und Staatsanwaltswahlausschusses, die der Berufung von Richtern und Staatsanwälten zustimmen müssen. Bei der gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl in Sachsen verfehlte die AfD nur knapp eine solche Sperrminorität. „Mit der Sperrminorität der AfD in Thüringen ist ein erster Dominostein bereits gekippt“, erklärte Rebehn. Er plädierte dafür, Richterwahlausschüsse über eine Reform künftig so zu besetzen, dass „Parteienvertreter keine dominierende Rolle spielen“.

Ebenfalls überarbeitet werden müsse das Weisungsrecht der Politik. Rebehn bekräftigte die Forderung des Richterbunds, das Weisungsrecht „für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu streichen oder zumindest auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle zu beschränken“. „Allein der böse Anschein, dass eine Regierung Strafverfahren politisch steuern könnte, ist Gift für das Vertrauen der Menschen in eine objektive Strafjustiz.“ Und „in den falschen Händen wäre dieses Weisungsrecht fatal“. (afp)