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Sachsen und ThüringenDas sind fünf Lehren aus den Ost-Wahlen für NRW

Lesezeit 4 Minuten
Eine Wählerin steckt den Stimmzettel in die Wahlurne in einem Erfurter Wahllokal. In Thüringen und Sachsen wurden am Sonntag neue Landesparlamente gewählt.

Eine Wählerin steckt den Stimmzettel in die Wahlurne in einem Erfurter Wahllokal. In Thüringen und Sachsen wurden am Sonntag neue Landesparlamente gewählt.

Von Wüsts Kanzlerambitionen bis zu den grünen Volkspartei-Träumen: Am Sonntag hielt auch in NRW viel Realismus Einzug. Eine Analyse

Knapp 600 Kilometer sind es von Düsseldorf nach Dresden, rund 400 liegt Erfurt entfernt. Dennoch reichen die Landtagswahlergebnisse in Sachsen und Thüringen nah an die nordrhein-westfälische Landespolitik heran. Die historischen Ergebnisse vom Sonntag dürften Einfluss auf Stimmung und Ausrichtung der NRW-Parteien haben. Fünf Thesen zu Lehren aus den Ost-Wahlen:

Erstens: Kanzlerkandidatur adé

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hat sich zweieinhalb Jahre lang als Merkel-Erbe in der Merz-CDU kostümiert. Er verlieh der Alt-Kanzlerin mit Pomp den Landesverdienstorden, wiederholte ihr berühmtes „Wir schaffen das“ und führte seine schwarz-grüne Koalition so geschmeidig, dass man fast vergessen konnte, dass der Münsterländer eigentlich gelernter Konservativer ist. Die Brandmauer zur AfD („brandgefährliche Nazi-Partei“) zog Wüst besonders hoch. Das Kalkül dahinter: Wahlen werden in der Mitte gewonnen, und die Mehrheit will am Ende wohltemperierten Pragmatismus. Was in NRW sogar weiterhin erfolgversprechend sein dürfte, wirkt im bundesweiten Maßstab spätestens seit dem Rechtsruck vom Sonntag aus der Zeit gefallen. Die Merz-CDU wirbt mehrheitlich für einen kompletten Kurswechsel in der Migrations- und Wirtschaftspolitik. Wüst hingegen steht für das mittlerweile in Teilen der Union regelrecht verhasste „Auslaufmodell Schwarz-Grün“, obendrein für die schweren Behördenfehler bei der Abschiebung des Solingen-Attentäters und den überstürzten Kohleausstieg 2030. Prognose: Die K-Frage führt nicht mehr über Düsseldorf.

Zweitens: Einmal grüne Volkspartei und zurück

Die NRW-Grünen wähnten sich noch vor wenigen Jahren auf dem Weg zur führenden politischen Mittelinks-Kraft und gewannen 2022 tatsächlich erstmals Landtagswahlkreise. Der Wahlsonntag im Osten zeigt ihnen nun schonungslos, wie weit weg ihre Positionen in der Umwelt-, Gleichstellungs-, Klima- und Migrationspolitik inzwischen vom gesellschaftlichen Mainstream sind. Gelingt es künftig wenigstens noch, die gutsituierten, urbanen Akademiker im Westen bei der Stange zu halten? In NRW setzen die Grünen bislang auf „Geräuschlosigkeit“ und fielen als Junior-Partner von CDU-Regierungschef Wüst nicht weiter auf. Das ist vorbei. Die angeschlagene grüne Flüchtlingsministerin Paul kämpft nach dem Solingen-Attentat um ihren Verbleib im Amt, beim grünen Justizminister Limbach ist nach der denkwürdigen Rüge des Bundesverfassungsgerichts für Postenkungelei der Rücktritt bereits überfällig. Prognose: Die Grünen müssen sich auf ihre Kernklientel konzentrieren und wieder kleine Brötchen backen.

Drittens: Einigkeit lähmt die SPD

Die NRW-SPD streitet sich nicht mehr. Das ist, wie Landtagsfraktionschef Jochen Ott meint, eine Errungenschaft. Bringt aber nichts, wenn immer mehr Menschen die SPD, den SPD-Kanzler und die zerstrittene Ampel nicht mehr mögen. Der größte und mächtigste SPD-Landesverband könnte die Gesamtpartei in die Spur bringen, wenn er es wollte. Dafür müsste er aufbegehren - wegen der Entfremdung von normalen Bürgern, wegen des unbeliebten Kanzlers, wegen der an die AfD preisgegebenen Quartiere im Ruhrgebiet. Die ersten Sozialdemokraten aus NRW sagen, was ihnen stinkt. Markus Töns, Bundestagsabgeordneter aus Gelsenkirchen, beschwert sich bei Bundesministerin Nancy Faeser über deren Ost-Förderung. Sein Kollege Axel Schäfer aus Bochum schreibt, Olaf Scholz wirke „oft zu defensiv“ und werde von den eigenen Leuten nicht in Szene gesetzt. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link postet auf LinkedIn: „Wenn Nachbarschaften zusammenbrechen, weil sich zu viele Ausländer und Zugezogene nicht an die Regeln … halten, verlieren die Menschen den Glauben an Staat und Politik.“ Prognose: Das offene Wort nach innen ist die Überlebenschance der SPD.

Viertens: Krawallkurs kann’s für die FDP nicht sein

Bei den Liberalen ist Hysterie das Problem. Seit sich die Wahlniederlagen häufen, leidet die FDP unter einem Profilierungsreflex und erzählt vor jedem Mikrofon, wie unwohl man sich in der Ampel fühle. Was hat’s gebracht? Nichts. Wer wählt einen ewig quengelnden, aufbegehrenden Regierungspartner, der sich am Ende in den wenigsten Fällen durchsetzen kann? Die Spur dieses liberalen Dramas führt übrigens nach NRW. Viele aus der ersten Reihe haben hier ihre Wurzeln: Parteichef Christian Lindner, Justizminister Marco Buschmann, Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und FDP-Vize Johannes Vogel. „In einer Koalition müssen die Unterschiede sichtbar sein“, glaubt Vogel. Wirklich? Prognose: Als Opposition in der Regierung wird die FDP untergehen.

Fünftens: AfD vor der Faschisten-Falle

Die AfD in NRW dürfte ihr Glück kaum fassen. 2022 kam sie nur mit Ach und Krach wieder in den Landtag, heute dürfte sie vom bundesweiten Aufwind auch an Rhein und Ruhr zu zweistelligen Ergebnissen getragen werden. Alle hausgemachten Skandale in NRW scheinen aktuell an den Rechtspopulisten abzuperlen: ein Ausschlussverfahren gegen einen Landtagsabgeordneten, der seinen Lebenslauf gefälscht haben soll, Ärger mit einem völkisch-nationalistischen Bundestagsabgeordneten aus Dortmund oder der Wirbel um einen Landtagsbüro-Mitarbeiter unter Antisemitismusverdacht. Für AfD-Landeschef Martin Vincentz und seine Unterstützer aus dem „moderaten“ Lager ist die Situation dennoch kompliziert. In Thüringen gewann ja ausgerechnet jener Teil der AfD, von dem sich Vincentz abgrenzen möchte. Die gesichert rechtsextreme Höcke-AfD hat nach den Wahlen Oberwasser. Prognose: Die NRW-AfD wird klären müssen, wie rechts sie sein will und wer den Kurs bestimmt.