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Interview

AfD-Aussteiger berichtet
„Bei der AfD gibt es nur noch eine Richtung: nach rechtsaußen“

Lesezeit 5 Minuten
Das Logo der AfD

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Michael Schwarzer war Sprecher der AfD in NRW. Im Interview erzählt er, warum er im vergangenen Jahr die Notbremse zog und die Partei verließ.

Michael Schwarzer (66) war Sprecher der AfD in NRW, der AfD-Landtagsfraktion und Chef der AfD im Siegener Rat. Während das OVG Münster über die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als extremistisch verhandelt, erzählt Schwarzer im Gespräch mit Matthias Korfmann, warum er im vergangenen Jahr die Notbremse zog und die Partei verließ.

Herr Schwarzer, warum sind Sie 2016 in die AfD eingetreten?

Schwarzer: Ich war eigentlich ein typischer FDP-Wähler, fühlt mich von denen aber zunehmend verlassen. Es mag komisch klingen, aber Björn Höcke war der Grund.

Wie das?

Den Kurs des damaligen Vorsitzenden Bernd Lucke fand ich gut. Ich habe gedacht, wenn die den Höcke loswerden, könnte das eine interessante Partei sein.

Heute ist Höcke in der AfD mächtiger denn je, und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst warnt vor dem „Nazi“ Höcke …

Höcke ist ein nationalbesoffener Schwärmer. Unabhängig davon, ob er selbst ein Nazi ist oder nicht, muss man sagen: Er öffnet den tatsächlichen Nazis in der Partei nicht nur Tür und Tor, sondern sorgt dafür, dass diese Leute in der Partei wichtige Positionen besetzen. Er hat null Berührungsängste mit Nazis.

Und den haben Höcke, Petry, Meuthen & Co. gewähren lassen, oder?

Weil er ein Garant war für die Stimmen der robusten Mitglieder. Zunächst waren die in der Minderheit, aber sie wurden immer mehr.

Was meinen Sie mit robust?

Zum Beispiel Rechtsradikale, Extremisten bis hin zu Nazi-Sympathisanten. Menschen, die verbal immer weit übers Ziel hinausschießen und die in der Partei immer mehr auf ein Publikum trafen, das ähnlich denkt und redet.

Wie hat sich die Partei in den vergangenen Jahren entwickelt?

Es gibt nur noch eine Richtung: nach rechtsaußen.

Ist das ein Automatismus?

Durchaus. Im Verhältnis zu ihren Stimmen hat die AfD immer recht wenige Mitglieder gehabt. Wer dort mitmacht, muss damit rechnen, sozial und beruflich ausgegrenzt zu sein. Das nehmen ein paar finanziell Unabhängige auf sich, Rentner, vor allem aber Menschen, denen die Ausgrenzung egal ist. Man kann sie Wutbürger nennen. Die denken so, die sprechen auch so. Und jeder, der von denen gewählt werden möchte, muss auch so sprechen. Wer das nicht macht, gerät in den Verdacht, ein „Systemling“ und damit ein Feind zu sein.

Diese Abseitsposition hat weitere Konsequenzen: Sie finden kaum Mitarbeiter für die Büros in Bundestag und in den Landtagen. Abgeordnete rekrutieren ihre Mitarbeiter also in der Partei, unter Wutbürgern.

Wo blieb die Rebellion gegen den Rechtsruck?

Ich erkläre das mit einem Bild, das der frühere AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell beschrieben hat: Stellen Sie sich ein Restaurant vor. Sie essen dort mit guten Freunden, und dann kommt eine Gruppe herein, die rülpst, furzt und grölt. Wer wird das Restaurant verlassen? Die normalen Gäste. Auf die Partei bezogen: Es gehen jene, die sich selbst als liberal und konservativ sehen.

Warum steht die „Junge Alternative“ so weit rechtsaußen?

Jugendorganisationen aller Parteien sind tendenziell radikaler als die Gesamtpartei. Viele in der JA wollen eine radikale Sprache hören und folgen jenen, die diese Erwartung bedienen. Wer eine normale, gemäßigte Rede hält auf einem Parteitag, der ist praktisch chancenlos. Schon seit 2019 gibt es in der AfD einen verbalen Überbietungswettbewerb. Die Macht in der Partei geht nicht von den hohen Funktionären, sondern von den Delegierten und den Kreisverbänden aus, also mehrheitlich, wie beschrieben, von Wutbürgern.

Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht, dass das nicht mehr Ihre Partei ist?

Das war während des Parteitages in Essen 2021. Ich war früh dort und konnte gleich am Eingang parken. Dann habe ich zwei Stunden lang beobachtet, wer zu diesem Parteitag ging. Mir fiel die Kinnlade runter. Ich wusste, dass diese Leute Kandidaten wählen werden, für die ich kein Pressesprecher sein kann. Ich wusste in diesem Moment, die Partei ist verloren, sie ist lost.

Waren diese Delegierten jene, von denen Sie bei Ihrem Rücktritt gesagt haben, sie seien „inkompetente, charakterlich zweifelhafte, sozial abgehängte und oft randständige Radikale, die wenig mehr haben als ihre Wut und ihr oftmals rückwärts gerichtetes Weltbild“?

Damit habe ich zwar eher die Führungsriege in den Kreisverbänden gemeint, aber auf viele dieser Delegierten traf das auch zu.

Jetzt hat die NRW-AfD gerade erst mit Martin Vincentz einen Vorsitzenden wiedergewählt, mit dem Sie sich verbunden fühlen und der sich selbst als gemäßigt einordnet. Ist die Reise der AfD an den äußersten rechten Rand mit solchen Leuten noch aufzuhalten?

Diese Reise ist nicht mehr zu stoppen. Die Gemäßigten haben bundesweit und auch in der AfD in NRW längst keine Mehrheit mehr. Die Delegierten haben Vincentz, für den ich meine Hand ins Feuer lege, und seine Unterstützer dennoch gewählt, weil sie wussten, dass mit radikalen Vorstandsmitgliedern die AfD erstens ein Problem in der Landtagsfraktion und zweitens noch mehr Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung haben würde.

Aber entscheidend ist für die radikale Mehrheit, dass Matthias Helferich, der sich selbst, das freundliche Gesicht des NS‘ nannte, in den Landesparteivorstand gewählt wurde, denn mit ihm wird der Vorstand gläsern und verliert die Kontrolle.