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StilkolumneSollte man älteren Menschen seinen Platz in der Bahn anbieten?

Lesezeit 4 Minuten
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Oft gibt es in der Bahn nicht für alle Sitzplätze: Sollte man dann für ältere Menschen aufstehen?

  1. Stil und gutes Benehmen, das klingt schnell altmodisch. Doch Orientierung im richtigen Umgang mit unseren Mitmenschen suchen viele.
  2. In unserer Stilkolumne „Wie geht's?” beantworten Experten genau diese Fragen – von der angemessenen Kleidung bis zur richtigen Wortwahl.
  3. Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians widmet sich in dieser Folge der Frage, ob es immer noch höflich ist, für andere in der Bahn aufzustehen – oder ob das schon an Altersdiskriminierung grenzt.

Köln – Leserfrage: In Bussen und Bahnen für ältere Mitfahrende aufzustehen und ihnen den Platz anzubieten könnte auch schon mal wie eine Altersdiskriminierung wirken, oder?

Eines gleich vorneweg: Ich weiß genau, was Sie meinen. Mir ist es in der KVB exakt so ergangen, als jemand mir Platz machen wollte: „So, jetzt ist es so weit! Jetzt gehst du als alte Schachtel durch!“, habe ich frustriert gedacht. Ob ich dabei auch noch pikiert dreingeschaut habe, kann ich nicht mehr sagen.

Es gibt keine feste Regel

Fakt ist: Wer in einer voll besetzten Bahn den Sitzplatz nötiger hat, ist nicht allein am Alter festzumachen: Der Sportstudent nach einer Knie-OP muss sicher dringender sitzen als die 75-Jährige, die gerade vom Workout aus dem Fitness-Studio kommt. Fürs Aufstehen gibt es daher keine feste Regel. Es ist aber im Zweifel besser, Ihren Platz anzubieten und es auszuhalten, dass Ihr Gegenüber abwehrend reagiert, als sich das Aufstehen genau dieser Befürchtung wegen zu verkneifen.

Zur Person

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Ingeborg Arians

Foto: Michael Bause

Ingeborg Arians, geboren 1954, hat Sprachen und Volkswirtschaftslehre studiert und ist Dipl.-Übersetzerin für Französisch, Spanisch und Englisch. Von 1986 bis 2019 war sie Leiterin der Abteilung Repräsentation und Protokoll im Amt der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln. In dieser Zeit arbeitete sie für insgesamt vier Oberbürgermeister und die amtierende OB Henriette Reker.

Eigentlich kommt es nämlich darauf an, dass Sie auf die anderen geachtet haben. Wenn jemand diese Haltung und Ihre gute Absicht missversteht, dann ist das nicht Ihr Problem. Im Gegenteil: Nach meinem eigenen Erlebnis in der Bahn habe ich mich gefragt, warum ich über mein Alter sinniert habe, statt mich über die Geste der Höflichkeit zu freuen: Da hat ein anderer sich für mich zurückgenommen!

Mehr Dankbarkeit ins Leben lassen

Das bringt mich auf eine Grundregel für ein stilsicheres Zusammenleben: Wir sollten mehr Dankbarkeit in unser Leben lassen, das scheinbar Selbstverständliche bewusster wahrnehmen – und honorieren. Mit „Honorieren“ meine ich zunächst eine Einstellung. Wer das nicht gewohnt ist, wird feststellen, dass es nicht so leicht ist, wie es klingt. Wie machen wir im Alltag die Situationen ausfindig, in denen ein Wort des Dankes, eine Geste der Wertschätzung angebracht ist? Das setzt Empathie voraus.

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Ein Beispiel: Ich war unlängst im Kaufhaus, ganz gestresst davon, den Corona-Sicherheitsabstand zu halten und nicht unnötig Oberflächen zu berühren. Dann musste ich auch noch Rolltreppe fahren. Oh je! Dann sah ich am Fuß der Treppe eine Mitarbeiterin, die mit Tuch und Desinfektionsmittel den Handlauf abwischte. Spontan überkam mich ein Gefühl des Dankes. Ich habe die Frau einfach angesprochen und ihr gesagt, wie dankbar ich ihr sei. Ich hatte das Gefühl, sie hat sich darüber gefreut – und mir tat es auch gut.

Dankbarkeit bereichert auch uns selbst

Genau darum geht es: Dankbarkeit bereichert nicht nur die anderen, sondern auch – und vielleicht sogar noch mehr – uns selbst. Der Chef, der sich morgens für eine gute Vorlage bedankt, motiviert nicht nur den verantwortlichen Mitarbeiter, sondern geht auch selber besser gestimmt in den Tag. Gleiches gilt für ein Dankeschön gegenüber Mitmenschen, die mutmaßlich selten Dank erfahren: die Bäckereiverkäuferin, die schon morgens um sechs freundlich ist oder der Mann von der Müllabfuhr, der Ihre Tonnen auch bei 35 Grad im Schatten leert.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an:Stilkolumne@dumont.de

Über die freundlichen Worte hinaus lässt sich das „System der Dankbarkeit“ auch materiell praktizieren: Es ist richtig, am Ende eines Krankenhaus-Aufenthalts einen Obolus für das Pflegepersonal zu hinterlassen. Und es ist eine gute Idee, Ihren Nachbarn nach einer lauten Geburtstagsfeier ein Stück Kuchen vorbeizubringen. Wenn man einmal verstanden hat, dass Gesten des Dankes immer positiv auf einen selbst zurückfallen, dann setzt das ungeahnte Fantasien frei.

Das System der Dankbarkeit funktioniert sogar beim ärgsten Gegner. Wenn Sie mit dem Gedanken in eine Kontroverse gehen, was es über den anderen an Dankenswertem zu sagen gäbe, wirkt das im wahrsten Sinn des Wortes oft entwaffnend.

Aufgezeichnet von Joachim Frank