Berlin – Bis kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich der Kapazitätsabbau in Deutschlands Krankenhauslandschaft deutlich beschleunigt. Allein von 2018 bis 2019 sind in Deutschland 4000 Klinikbetten weggefallen, wie aus neuen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegen. Allein im Vor-Corona-Jahr wurden so viele Betten gestrichen wie in den acht vorangegangenen Jahren insgesamt, wie aus der Ministeriumsantwort auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht.
Den Ministeriumsangaben zufolge verfügten 2019 bundesweit 1914 Kliniken über 494000 Patientenbetten. 2018 waren es noch 498000 Betten in 1925 Häusern gewesen. Gegenüber 1991 betrug der Rückgang rund ein Viertel bei der Bettenzahl und mehr als ein Fünftel bei den Krankenhäusern.
Trend zur Privatisierung
Die Zahlen zeigen überdies einen massiven Privatisierungstrend: Von 2005 bis 2019 wurden 206 öffentliche Kliniken und 38000 Betten in öffentlichen Krankenhäusern abgebaut. Bei freigemeinnützigen Trägern lag das Minus bei 173 Häusern und 22000 Betten. Demgegenüber steht ein Aufwuchs von 154 privaten Häusern und 30000 Betten in privaten Kliniken.
Linken-Sozialexpertin Sabine Zimmermann sieht in den Zahlen ein „komplettes Versagen der Gesundheitspolitik der letzten 20 Jahre“. Auch leere Krankenhausbetten seien keine Verschwendung, „sondern eine notwendige Reserve für Zeiten wie diese“, sagte sie mit Blick auf die Corona-Pandemie unserer Redaktion. „Mit dem Krankenhauskahlschlag muss Schluss sein: Der Abbau von Betten und Krankenhäusern muss gestoppt werden, besonders in ländlichen Regionen“, sagte Zimmermann. Ansonsten drohten bei künftigen Notfällen auch hierzulande Szenen wie in Portugal, Italien oder Großbritannien.
Experte: Der Bedarf an Betten sinkt
Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin widerspricht: Die Zahl der stationär behandelten Patienten sei stärker zurückgegangen als die Zahl der Betten, so Busse im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch im Corona-Jahr 2020 „ist die Zahl der benötigten Krankenhausbetten gesunken“. Gleichzeitig würden noch sehr viele Menschen in den falschen Krankenhäusern behandelt, etwa solche mit Herzinfarkt in Krankenhäusern ohne Herzkatheter.
Busses Forderung: „Wir brauchen dringend eine Reform hin zu besser ausgestatteten Krankenhäusern und weniger unnötigen Betten in schlecht ausgestatteten Krankenhäusern. Dann hätten wir auch mehr Pflegepersonal pro Patient.“
Kritik von Kinderärzten
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnte bereits im Juni vergangenen Jahres vor Engpässen bei der medizinischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen. „Die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Kinderkliniken und -stationen ist akut gefährdet“, sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach. Die Zahl der Betten in den Kinderabteilungen der deutschen Krankenhäuser gehe seit mehr als 20 Jahren stetig zurück. Der Verband sprach von einem „Kinderkliniksterben“ und forderte die Politik dazu auf, die klinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu sichern. (dpa)
Dagegen hält auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die neuen Zahlen für alarmierend. Zwar sei der Abbau von Kapazitäten teils auch auf kürzere Liegezeiten durch eine bessere medizinische Versorgung zurückzuführen, sagte der künftige DKG-Hauptgeschäftsführer Gerald Gaß. Aber vielfach handele es sich um einen „kalten Strukturwandel“ ohne Planung. „Dabei laufen wir Gefahr, dass auch bedarfsnotwendige Krankenhäuser und Versorgungsangebote vom Markt verschwinden“, sagte Gaß. „Dies ist besonders da hochproblematisch, wo auch die niedergelassenen Ärzte keine flächendeckende Versorgung mehr anbieten können.“
Pandemie zeigt Wichtigkeit von Kapazitäten
Die Notwendigkeit zum Gegensteuern „wird gerade jetzt in der Pandemie deutlich“, denn es habe sich gezeigt, „wie wichtig es ist, ausreichende Kapazitäten zu haben“, betonte Gerald Gaß. Für die Kliniken sei es sehr wichtig, dass sie „sehr bald eine wirtschaftliche Perspektive und Sicherheit für das gesamte Jahr 2021, also das zweite Pandemiejahr, bekommen“, fügte er noch hinzu.
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Es dürfe nicht sein, dass Krankenhäuser durch die Pandemie „in eine wirtschaftliche Notlage kommen“. Die Vorbereitungen für einen neuen Krankenhaus-Rettungsschirm laufen auf Hochtouren. Nach intensiven Gesprächen des von Gesundheitsminister Jens Spahn einberufenen Beirates sollen Bund und Länder auf dem Corona-Gipfel am Mittwoch den Weg zu einen neuen, milliardenschweren Hilfsprogramm ebnen.