Interview mit Chef des LehrerverbandesWie gerecht ist das Impfen von Lehrern?
- Lehrkräfte, Kita-Erzieherinnen und -Erzieher können ab Anfang März gegen Corona geimpft werden – früher als etwa 60- bis 70-Jährige, Polizisten und Einzelhandelsverkäufer.
- Ist das gerechtfertigt oder das Ergebnis einer geschickten Lobbypolitik?
Heinz-Peter Meidinger ist seit 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Im Interview mit Stefanie Witte verteidigt er die Bevorzugung seiner Berufsgruppe und plädiert für mehr Unterricht in den Kernfächern.
Herr Meidinger, Lehrer werden jetzt vor Feuerwehrleuten und Polizisten geimpft, die im Gegensatz zu Lehrern häufig Abstände nur schwer einhalten können. Ist das gerecht?
Es sind ja nicht nur Lehrer in der Impfgruppe zwei, sondern auch Polizisten, die im Dienst einem höheren Risiko ausgesetzt sind. Außerdem handelt es sich nur um einen Teil der Lehrkräfte, die aufrücken, nämlich Grund- und Förderschullehrkräfte sowie Kita-Erzieherinnen. Ja, es ist immer eine ethische Abwägung. Ich muss sagen, ich hatte Hemmungen zu fordern, dass Lehrkräfte bevorzugt geimpft werden, solange wir in Konkurrenz zu den Über-70-Jährigen waren. Aber jetzt gibt es einen Impfstoff, der nicht an Ältere verimpft werden darf. Dadurch ergibt sich ein neuer Spielraum. Es ist nun stärker der politische Wille da, auch Schulen zu sicheren Orten zu machen. In dem Zusammenhang verstehe ich übrigens nicht, warum Lehrkräfte von Abschlussklassen von der Impfpriorisierung ausgenommen werden, obwohl ältere Jugendliche ja sogar infektiöser sind als Kinder und dort teilweise bereits wieder vollständiger Präsenzunterricht stattfindet.
Gegen Sommerschulen
Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, hat Forderungen nach sogenannten Sommerschulen gegen Lernrückstände in der Corona-Pandemie entschieden zurückgewiesen. „Grundsätzlich brauchen Kinder und Jugendliche die schulfreie Zeit, um einfach ungezwungen miteinander zu lachen, zu spielen und mal etwas anderes zu sehen als die eigenen vier Wände“, sagte Krüger unserer Redaktion. Es wäre „ein fatales Signal, die Kinder jetzt für die Unzulänglichkeiten des Bildungssystems in den Sommerferien büßen zu lassen“. Stattdessen fordert er offene, freiwillige und kostenfreie Angebote, „die spielerisch, projektbezogen und an der Lebensrealität der Kinder ausgerichtet notwendigen Lernstoff wiederholen“. (rl)
Sollte nicht genug Impfstoff zur Verfügung stehen – sollten Lehrer dann hinter 70-Jährigen zurückstehen?
Beim Impfstoff Astrazeneca konkurrieren wir nicht mit alten Menschen. Der Schulbetrieb ist die größte tägliche Massenveranstaltung in Deutschland. Viele Lehrkräfte treffen an einem Schultag mit über 100 Kindern im Nahbereich zusammen. Dass da ein stark erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht, ist unbestritten.
Müssten dann nicht auch Friseure früher geimpft werden? Die kommen ihren Kunden schließlich deutlich näher als Lehrer ihren Schülern.
Das ist eine politische Güterabwägung. Ich habe nichts dagegen, wenn auch Friseure geimpft werden. Am Ende ist eine grundsätzliche Frage: Wie wichtig ist es der Gesellschaft, dass Schulen geöffnet werden können, für wie systemrelevant hält die Politik die Bildung?
Corona hat auch dafür gesorgt, dass erheblich weniger Lehrstoff bearbeitet wurde. Wie sollen die Defizite ausgeglichen werden?
Zuerst ist wichtig, festzustellen, wer unter den Schülerinnen und Schülern Defizite hat und in welchem Ausmaß. Ich kann mich noch gut an eine Videoschalte mit der Kultusministerkonferenz im Herbst erinnern: Da hieß es, die Lücken seien gar nicht so groß und die Lehrer seien Profis genug, um das selbst auszugleichen. Die Politik hielt das für kein großes Problem. Diese Einschätzung hat sich nach dem zweiten Lockdown geändert.
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Auch die KMK will jetzt ein Konzept für die Schüler, die besonders betroffen sind, erarbeiten. Dazu braucht es Lernstandserhebungen nach der Rückkehr in den Präsenzunterricht, eine ehrliche Bestandsaufnahme zumindest in den Kernfächern. Dann muss man festlegen, was zu tun ist. Hier mal eine Ferienakademie, da ein paar gekürzte Ferientage und dort eine Zusatzförderstunde sind der Größe des Problems jedenfalls nicht angemessen. Ich schätze, dass bis zu einem Fünftel der Schüler so große Defizite haben, dass sie mehr Zeit brauchen.
Also sollte bis zu einem Fünftel der Schüler das Jahr wiederholen?
Darauf könnte es hinauslaufen. Wichtig wäre, das freiwillige Zusatzjahr intelligent zu nutzen. Wie das aussehen kann, diskutieren wir gerade auch im Lehrerverband. Es könnte zum Beispiel verstärkten Unterricht in den Kernfächern bedeuten. Primär geht es dabei ja darum, dass sowohl die Lücken aus dem letzten Schuljahr als auch die Lücken, die derzeit entstehen, geschlossen werden. Möglich wäre zum Beispiel auch, dass man dazu Kinder aus mehreren Klassen in einer eigenen Lerngruppe zusammenzieht.
Woher kommen die Lehrer dafür?
An diesem Punkt stoßen wir an grundsätzliche Grenzen – mit allen Maßnahmen. Allerdings verteilt sich dieser Mehrbedarf über die nächsten zehn Jahre. Kurzfristig bleibt die Schülerzahl weitgehend gleich, zumal das ja weniger die Abschlussklassen betreffen wird, die sich jetzt auf Prüfungen vorbereiten. Gerade in der ersten Klasse gibt es Probleme, weil Schüler während er Pandemie nicht richtig Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt haben. Eltern von Kitakindern fürchten jetzt, dass es nicht genug Plätze für die nachrückenden Kinder gibt. Sie haben Recht – gerade mit Blick auf die Grundschulen machen wir uns große Sorgen. Da werden die Grundlagen gelegt. Dort entstandene Lücken belasten die gesamte weitere Schullaufbahn.