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Lauterbach unter DruckDer merkwürdigste der merkwürdigen Masken-Deals unter der Lupe

Lesezeit 7 Minuten
Spahn und Lauterbach

„Es muss ganz genau geprüft werden, was dort stattgefunden hat“: Mit diesen Worten kündigte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, rechts) bei seinem Amtsantritt eine Aufarbeitung der Coronapolitik auch seines Vorgängers Jens Spahn (CDU) an.

Als Minister Spahn 2020 zu viele Masken bestellte, profitierte davon auch ein Unternehmen aus seiner Heimatregion. Der Fall Fiege erhält heute neue Brisanz. Eine Aufklärung bleibt bislang aus.

Lucas WiegelmannEs war im Dezember 2021, als Karl Lauterbach sein neues Amt als Gesundheitsminister mit einer klaren Botschaft antrat: Er wolle aufarbeiten, was unter seinem CDU-Vorgänger Jens Spahn in der Coronapolitik falsch gelaufen ist. „Es muss ganz genau geprüft werden, was dort stattgefunden hat“, versprach der Sozialdemokrat. Und mit dieser vagen Absichtserklärung gaben sich die Deutschen auch lange zufrieden.

Erst jetzt, zweieinhalb Jahre später, kommt es zum Schwur. Seit in diesem Sommer bekannt wurde, dass dem Bund Milliardenzahlungen wegen chaotischer Maskenbestellungen drohen, steigt der öffentliche Druck. Neben Jens Spahn, der in der Frühphase der Pandemie verantwortlich war, rückt dabei auch Lauterbach selbst in den Fokus. Weil der sich heute längst nicht so freigiebig mit Informationen zeigt, wie seine früheren Ankündigungen hätten erwarten lassen. Seitdem wird die Frage jeden Tag ein bisschen drängender: Will Lauterbach wirklich aufklären?

Um das herauszufinden, hat unsere Redaktion den wohl merkwürdigsten aller merkwürdigen Maskendeals der ersten Corona-Monate rekonstruiert – und dafür neben Jens Spahn und einer Firma aus dem Münsterland auch Karl Lauterbachs Gesundheitsministerium um Auskünfte gebeten. Wenn die Politik wirklich Licht in die Maskenbeschaffung bringen will, ist diese Geschichte der ideale Lackmustest.

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Masken-Deal „nahezu ohne Risiko“

Es geht um den Fall des Grevener Logistikunternehmens Fiege, der vor Jahren bereits Schlagzeilen machte und heute, vor dem Hintergrund so vieler anderer problematischer Masken-Geschäfte, noch einmal neue Brisanz erhält. Das Besondere dabei: Hier stellt sich nicht nur die übliche Frage, warum die Bundesregierung so viel mehr Masken bestellte als gebraucht wurden. Auch eine erstaunlich freimütige Auftragsvergabe an offenbar persönliche Bekannte spielt eine Rolle – und zwar zu märchenhaften Vertragsbedingungen.

Fiege, ein Familienunternehmen aus dem Nachbarwahlkreis von Jens Spahn, ist vielen geläufig als die Firma, die 2020 zunächst allein mit der logistischen Abwicklung der gesamten Coronamaskenbeschaffung des Bundes betraut wurde. Eine Vergabe, die schon damals in die Kritik geriet, weil die Firma gute Kontakte zu Spahns CDU unterhält. Der frühere Chef Hugo Fiege war Mitglied im Präsidium des CDU-Wirtschaftsrates. Sohn Felix Fiege, heutiger Co-CEO des Unternehmens, ist aktiv im CDU-Wirtschaftsrat NRW.

Das Unternehmen erhielt im Frühjahr 2020 den Zuschlag, den Transport und die Lagerung von Millionen von Masken abzuwickeln, die alle möglichen Lieferanten dem Bund anboten. Ein lukrativer Auftrag, der ohne Ausschreibung zustande kam – wegen Dringlichkeit, hieß es zur Begründung.

Ein solcher Vertrag ist ungewöhnlich und nur durch die besonderen Zeiten zu erklären, die verzweifelten Hilferufe von Krankenhäusern.
Gregor Thüsing, Jura-Professor an der Uni Bonn

Was weniger bekannt ist: Nur ein paar Tage später konnte Fiege noch ein zweites Geschäft mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) machen. Am 31. März 2020 einigte man sich auf einen Rahmenvertrag darüber, dass der Logistiker Fiege auch selbst zum Händler werden sollte. Ihm wurde zugesagt, dem Ministerium bis zu 110 Millionen FFP2-Masken und 500 Millionen OP-Masken auf eigene Rechnung liefern zu können. Später wurde der Rahmen sogar erweitert auf 350 Millionen FFP2-Masken und 700 Millionen OP-Masken. Dabei galten Konditionen, von denen Kaufleute sonst nur träumen können.

Wenn Fiege in großem Stil Masken ankaufen wollte, in China etwa, brauchte die Firma das nötige Geld zum Beispiel nicht selbst vorzustrecken: Das BMG sagte zu, stets selbst in Vorleistung zu gehen und Fiege den Kaufpreis vorab zu überweisen. Erste derartige „Abschlagszahlungen“ in Höhe von 40 Millionen Euro „an Fiege beziehungsweise verbundene Unternehmen“ waren bei Vertragsunterschrift bereits geflossen.

Besonders auffällig: Für den Fall, dass ein Lieferant „trotz der Vorkasse nicht oder nicht vollumfänglich“ lieferte, verzichtete das Ministerium darauf, sein Geld wieder von Fiege zurückzufordern. „Etwaige Ansprüche“ hätte das BMG direkt gegenüber den säumigen Lieferanten durchsetzen müssen.

Und das wäre womöglich schwierig geworden: Fiege brauchte dem BMG vorab gar nicht zwingend offenzulegen, welche Lieferanten die jeweiligen Vorauszahlungen überhaupt bekommen sollten. Über die „potenziellen Bezugsquellen“ der Masken solle die Firma das Ministerium nur informieren, „soweit es die Zeit zulässt“, heißt es im Rahmenvertrag.

„Ein solcher Vertrag ist ungewöhnlich und nur durch die besonderen Zeiten zu erklären, die verzweifelten Hilferufe von Krankenhäusern und anderen Einrichtungen“, sagt Gregor Thüsing, Jura-Professor an der Universität Bonn und Herausgeber eines vielzitierten Standardwerks zur Vertragsgestaltung. Die Regierung habe damals zurecht alle Hebel in Bewegung gesetzt, findet er. Er sagt aber auch: „Aus einem Kaufvertrag ist hier quasi ein Maklervertrag nahezu ohne unternehmerisches Risiko geworden, ein Vertrag, an dem man viel verdienen konnte und nur wenig verlieren.“

Fragt sich also: Wie ist ein solcher Vertrag zustande gekommen? Spielten persönliche Kontakte zwischen der Firma Fiege und dem damaligen Gesundheitsminister Spahn dabei eine Rolle? Spahn selbst lässt dazu über einen Sprecher ausrichten, „in der damaligen Notsituation“ sei Fiege „als erfahrener Anbieter in der Gesundheitslogistik“ zur „sofortigen Umsetzung“ bereit gewesen. „Dies war auch die sachliche Grundlage für die damalige Entscheidung.“

Hatte Spahn private oder privatwirtschaftliche Beziehungen zu Fiege? „Nein.“ War Spahn persönlich am Kontakt des BMG zu Fiege beteiligt? Das könne man 30 Monate nach Ausscheiden aus dem Amt und ohne Akteneinsicht nicht mehr sagen.

Bei Fiege glaubt man sich in diesem Punkt besser erinnern zu können. Eine Sprecherin verweist gegenüber unserer Redaktion auf Informationen auf der Firmenwebsite, wonach es im Zusammenhang mit dem Masken-Geschäft durchaus einen „persönlichen Kontakt“ zu Spahn gegeben habe. Man sei sich auch „durch unterschiedliche Gelegenheiten wie Unternehmerveranstaltungen, Besuche oder Ähnliches bekannt“.

„Unterstellungen“, gute Beziehungen seien der Grund für die Aufträge vom Bund gewesen, weist Fiege jedoch als „geschäftsschädigend“ zurück: Man sei nur deshalb zum Zuge gekommen, weil man „zur rechten Zeit ein fertiges Konzept“ gehabt habe und „in zwei Tagen ready to go“ gewesen sei.

Selbst wenn man das für glaubwürdig hält, stehen aus Sicht der Steuerzahler allerdings weitere Fragen im Raum. Etwa diese: Wie stellte das Ministerium sicher, dass es für seine Millionenzahlungen auch wirklich die entsprechenden Maskenlieferungen bekam? Auf der Firmen-Website gibt Fiege an, man habe dem Bund für Maskenverkäufe insgesamt 859 Millionen Euro in Rechnung gestellt. Das BMG dagegen teilte 2022 auf eine Anfrage der Linksfraktion mit, Fiege habe nur Masken im Wert von rund 505 Millionen Euro „beschafft“ – eine Diskrepanz von mehr als 350 Millionen Euro.

Und, ebenfalls unklar: Wie lange lief das ganze Geschäft eigentlich – nur in den ersten Wochen des akuten Maskenmangels? Oder auch noch zu einer Zeit, in der der Bund längst in all den Maskenlieferungen ertrank, die derzeit die Gerichte beschäftigen?

Hier käme die angekündigte Aufklärungsoffensive des Karl Lauterbach ins Spiel. Tatsächlich hat Lauterbach in Sachen Fiege vor wenigen Tagen sogar etwas Neues gesagt. In einem FAZ-Interview gab er an, „nach seinem Kenntnisstand“ sei die Beauftragung von Fiege 2020 „auf Empfehlung des damaligen Bundesministers“ zustande gekommen, also Spahns. Woher Lauterbach das weiß und wie genau die mutmaßliche „Empfehlung“ Spahns aussah, dazu will das BMG gegenüber unserer Redaktion allerdings keine Stellung nehmen.

Auch beim Thema Abschläge und Rückzahlungen zeigt sich das BMG zugeknöpft. Ob man dieselben Vorkasse-Regelungen, die Fiege genoss, auch anderen Lieferanten gewährte, beantwortet ein Sprecher vage: „Im Zuge der Marktverknappung durch die Pandemie waren zum Teil Vorauszahlungen notwendig, um Schutzausrüstung sicher beschaffen zu können.“

„Transparenz entlastet“

Rückzahlungsansprüche gegenüber Lieferanten von Fiege? „Sämtlichen Zahlungen des BMG“ hätten „vertraglich vereinbarte Warenlieferungen“ gegenübergestanden, teilt das Ministerium mit. Und lässt damit offen, ob unter „vereinbarten“ Lieferungen auch „tatsächlich erfolgte“ Lieferungen zu verstehen sind. Es klingt eher nicht so, wenn der BMG-Sprecher mit Blick auf die Fiege-Geschäfte ergänzt: „Derzeit laufen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Schutzmasken elf Verfahren vor Schiedsgerichten in der Volksrepublik China.“ Um wie viele Masken geht es da, um wie viel Geld? Kein Kommentar.

Und die Laufzeit des Fiege-Vertrages? Dass die Maskenbestellung aus dem Ruder lief, musste dem BMG ausweislich eines Berichts des Bundesrechnungshofs bereits Ende April 2020 dämmern. Zu diesem Zeitpunkt bat man die beteiligten Beschaffungsämter bereits, keine Schutzmasken mehr zu besorgen. Am 5. Mai 2020 schließlich erklärte das Ministerium intern die gesamte Maskenbeschaffung für beendet. Ob Fiege trotzdem weiter liefern durfte?

Der Sprecher gibt immerhin an, die letzten Masken habe Fiege noch im August 2020 an das BMG verkauft. Lief zu diesem Zeitpunkt auch der Vertrag noch, oder wann endete er? Man habe den Vertrag im Moment einer „zu diesem Zeitpunkt prognostizierbaren Bedarfsdeckung“ gekündigt, sagt das BMG dazu. „Transparenz entlastet“, hat Minister Lauterbach in dem erwähnten FAZ-Interview noch gesagt. Und man fragt sich, woher er das wissen will.