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Rundschau-Debatte des TagesWie es wirklich um die Union steht und wie es weitergeht

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CDUCSU

München/Berlin – Was waren das noch für Zeiten: „Goldene Zwanziger“ hatte sich Markus Söder Anfang der aktuellen Dekade gewünscht. Selbstverständlich mit ihm als unangefochtenem bayerischen Ministerpräsidenten und auch in Berlin als einflussreicher CSU-Chef, vielleicht hat er dabei sogar an seine eigene Kanzlerschaft gedacht.

Anfang 2022 – Söder hat gerade seinen 55. Geburtstag gefeiert – ist in der Union so gar nichts golden: In Berlin hochkant aus der Regierung geflogen, CDU und CSU haben sich noch immer nicht vom heftigen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur erholt, in Bayern dümpelt die CSU in Umfragen nur noch bei 35 Prozent und die nächste Corona-Welle hat gerade begonnen. Da fügt sich die wegen Corona-Infektionen kurzfristig abgesagte Klausur der CSU-Landesgruppe passend ins Bild.

„Hoffentlich wird es ein besseres Jahr als das letzte“, sagt Söder zu Beginn seiner Rede beim virtuellen CSU-Neujahrsempfang. Die Gegenwart der Union sieht trist aus. Nach 16 Jahren Bundesregierung ist nun Opposition angesagt. Als reiche das nicht aus, steht die große Schwester vor dem nächsten Wechsel an der Spitze. Seit Söder 2018 den CSU-Vorsitz übernommen hat, gab es in der CDU mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und dem in den Startlöchern stehenden Friedrich Merz drei Chefs. Nur wenige Fußballvereine im Abstiegskampf verschleißen mehr Trainer.

Fokus der CSU liegt auf 2023

Söder will aber an das auch für ihn persönlich schlechte Jahr 2021 nicht mehr denken. Sein Fokus – und der der CSU – gilt einzig 2023. Dann wird in Bayern wieder gewählt, dann muss Söder ein gutes Ergebnis liefern, will er auch für ihn persönlich gefährliche Fliehkräfte verhindern. Söder sitzt in der CSU zwar noch immer fest im Sattel – aber eben nur solange, wie Basis, Funktionäre und auch die Landtagsfraktion ihm zutrauen, das Ruder wieder rumreißen zu können. 2023 wird Söders Schicksalsjahr.

Er wünsche sich zum Jahreswechsel mehr Optimismus und weniger Jammern, sagt Söder in seiner Ansprache. Seit dem perfekt inszenierten Treffen mit Merz vor wenigen Tagen am Kirchsee sei er überzeugt, es werde nun besser. Mit Merz könne es gelingen, ein neues Kapitel für neue Gemeinsamkeiten aufzuschlagen. Zudem deutet er an, in Bayern sein Team neu aufstellen („verfeinern“) zu wollen, um für 2023 gerüstet zu sein. Nicht wenige erwarten, dass Söder schon bald sein Kabinett umbildet.

Doch auch Söder weiß, dass die CSU in Bayern ohne eine gute Zusammenarbeit mit einer starken CDU keinen Erfolg haben wird. Anders als im gescheiterten Bundestagswahljahr fordert die CDU unter Merz auch die klare Loyalität der bayerischen Schwester für die Landtagswahlen in den nächsten Monaten ein. Bei den Abstimmungen im Saarland, in Schleswig-Holstein, NRW und Niedersachsen geht es nicht nur um Erfolge für das angekratzte Seelenheil, es geht auch darum, zumindest über den Bundesrat noch einen Machthebel in der Hand zu haben.

Suche nach „neuer sozialer Mitte“

Während sich Merz in Erwartung seiner in wenigen Tagen anstehenden offiziellen Wahl auf dem CDU-Parteitag bedeckt mit Äußerungen hält, setzt Söder eine Messlatte für das neue Jahr. Die Liste der Kritikpunkte an der neuen Regierung von SPD, FDP und Grünen im Bund könnte oppositioneller nicht sein: Finanzen, Außenpolitik – in allen Bereichen wirft der CSU-Chef der Ampel fundamentales Versagen vor. Söder wird bis zur Wahl in Bayern keine Gelegenheit auslassen, sein Land als Gegenentwurf zur Bundesregierung zu präsentieren.

Wüst und Merz in Schicksalsgemeinschaft

Gut vier Monate vor der Landtagswahl sucht NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst den Schulterschluss mit dem designierten CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz. Beim reibungslosen Machtübergang von Armin Laschet zu ihm selbst und mit der starken Beteiligung bei der Mitgliederbefragung über den neuen Bundesparteichef habe die CDU „Charakter bewiesen“, sagte Wüst am Wochenende bei einer Klausurtagung der NRW-CDU in Düsseldorf.

Nach dem Bundestagswahl-Debakel finden sich Wüst und Merz plötzlich in einer Schicksalsgemeinschaft wieder. Der eine ist auf den Erfolg des anderen angewiesen. Die Umfragen sind trist, Ende März wird bereits im Saarland gewählt. Wüst und Merz entstammen beide dem Wirtschaftsflügel der Partei und konservativen Landstrichen in NRW, wollen aber jeden Eindruck einer Achsenverschiebung vermeiden. „Wir sind uns einig, dass der Erfolg der CDU in der Mitte liegt. Wir orientieren uns an den Themen der Mitte und den Menschen in der Mitte“, sagte Wüst.

Auch Merz will von einer Unwucht in der neuen Parteiaufstellung zugunsten des Wirtschaftsflügels nichts wissen: „Ich teile den Eindruck ausdrücklich nicht.“ Für die vier in diesem Jahr anstehenden Wahlen übernimmt der baldige CDU-Vorsitzende allerdings eher eine begrenzte Haftung: „Die Landtagswahlen müssen in den Ländern geführt werden und werden auch in den Ländern gewonnen – hoffen wir jedenfalls.“ (tb)

Der CSU (und der CDU) schreibt er ins Stammbuch, sie müsse sich als „liberal-konservativ-bürgerliche Kraft der Mitte“ wieder verstärkt um Stammwähler kümmern, um eine „neue soziale Mitte“. Zugleich müssten (für ein gutes Wahlergebnis) aber auch neue Zielgruppen etwa in Städten und Intellektuelle erreicht werden. Dabei müsse die neue Beinfreiheit genutzt werden, „wir sind nicht mehr Teil der Regierung, müssen nicht mehr um Kompromisse feilschen“.

Doch die Corona-Krise hat die Union auch intern in Mitleidenschaft gezogen. Das Lager der Bürgerlich-Konservativen, darunter viele Mittelständler und Selbstständige, hadert mit den Pandemie-Auflagen. Wer Söder dieser Tage erlebt, hört einen nachdenklicheren Politiker, dem die Leichtigkeit ein wenig abhanden gekommen scheint. Dazu passen auch seine Schlussworte in der Ansprache: „Ich weiß auch, dass nicht alles perfekt ist, weder in der CSU noch in unserem Land. Aber das war es doch noch nie.“ (dpa)