Seit einem Jahr wird NRW von einer schwarz-grünen Koalition regiert. Stichtag ist der 28. Juni 2022, an dem Hendrik Wüst (CDU) zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Eine Bilanz
NRW-KoalitionDas ist das Zwischenzeugnis nach einem Jahr Schwarz-Grün
Die erste schwarz-grüne Landesregierung in der Geschichte Nordrhein-Westfalens startete vor einem Jahr als neues „Projekt“ und nannte sich selbstbewusst „Zukunftskoalition“. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Stellvertreterin Mona Neubaur (Grünen) präsentierten sich als frisch-moderne Duz-Freunde, die gesellschaftliche Gegensätze versöhnen wollten und „solides politisches Handwerk“ versprachen. Was ist daraus geworden? Eine kritische Würdigung des Kabinetts zum ersten Geburtstag.
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU)
Obwohl er nie ein Parteidarling war, ist Wüst heute uneingeschränkte Nummer eins der NRW-CDU. Mit smarter Fehlerfreiheit, Unlust an der Kontroverse und dem Sinn für schöne Bilder gilt er inzwischen sogar als potenzieller Kanzlerkandidat der Union. Ein Ministerpräsident, der mehr Präsident als Minister ist. Die gesprengte A45-Talbrücke als toxisches Erbe seiner Verkehrsministerzeit könnte noch unangenehm werden.
Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne)
Neubaurs freundlicher Pragmatismus kommt in den Wirtschaftsverbänden an, doch am Ende zählen Bilanzen. Von den versprochenen 1000 Windrädern bis 2027 ist noch nicht viel zu sehen. Neubaurs Hang zu langen Schachtelsätzen macht eingängige Botschaften schwer. Der „Hinterzimmer-Deal“ mit RWE zur Räumung es Braunkohle-Protestdorfs Lützerath war auch kein kommunikatives Glanzstück. Laut NRW-Trend muss die wichtigste NRW-Grüne ganz schnell bekannter und beliebter werden.
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Innenminister Herbert Reul (CDU)
Die Kriminalitätsentwicklung in NRW ist schlecht, doch der Innenminister ist und bleibt der populärste Landespolitiker in NRW. Reuls kauzige Mischung aus „Null Toleranz“ und Mitgefühl kommt an. So hat er sogar den Skandal um Todesschüsse aus einer Polizei-Maschinenpistole auf einen 16-jährigen Afrikaner überstanden. Der 70-jährige Kabinettssenior lässt sich auch vom neuen grünen Koalitionspartner nicht davon abhalten, kriminelle türkisch-arabische Clans beim Namen zu nennen.
Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU)
Endlich mal ein Fachmann im Amt, dachte man, als der frühere Ministerialbeamte aus der Haushaltsabteilung in den Chefsessel befördert wurde. Doch Optendrenks chaotische Haushaltsaufstellung 2022/23 ließ unerwartete Schwächen im politischen Handwerk zu Tage treten. Anders als Amts-Vor-Vorgänger Walter-Borjans, der als „Robin Hood“ Jagd auf reiche Steuersünder machte, hat Optendrenk noch nicht sein Thema gefunden.
Europa- und Medienminister Nathanael Liminski (CDU)
Der Schattenmann von Ex-Ministerpräsident Laschet muss sich erst an die erste Reihe gewöhnen. An seiner Professionalität gibt es kaum Zweifel. Liminski weiß, wie NRW-Interessen im Bundesrat oder in Brüssel durchgesetzt werden. Als Medienpolitiker hat sich überdies zum wichtigsten Brückenbauer zwischen dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk und den Privatverlagen einen Namen gemacht. Ein Ressort ohne Glamourfaktor, aber dem 37-jährigen Kabinettsjunior gehört die Zukunft.
Bau- und Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU)
Fleißig und mit der Freude am Kleingedruckten zieht Scharrenbach auch in der zweiten Legislaturperiode ihre Kreise. Ihre Razzien gegen Schrottimmobilien-Besitzer kommen ebenso an wie ihre Detailarbeit bei der Landesbauordnung. Beim Lösungsvorschlag für das kommunale Altschuldenproblem hat die Betriebswirtin aus Kamen hingegen in die Trickkiste gegriffen: Ein Milliardenpaket ohne Milliarden.
Gesundheits- und Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU)
Neben Herbert Reul ist der 65-jährige Laumann der zweite Routinier in der Landesregierung. Der gelernte Maschinenschlosser -- ein Unikum im Politikbetrieb -- ist gesegnet mit einem Gespür für die Nöte berufstätiger Menschen und hat Expertise in Gesundheitsfragen. Laumann brachte in NRW schon eine Krankenhausreform auf den Weg, als die Bundesregierung das Problem der kriselnden Kliniken noch gar nicht richtig auf dem Schirm hatte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kritisierte zunächst Laumanns Reform, dann lobte er sie zum Vorbild für ganz Deutschland hoch.
Justizminister Benjamin Limbach (Grüne)
Zum Start feierten die Grünen „ihren“ neuen Minister, versprach er doch eine betont menschenfreundliche Justiz und eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Umweltkriminalität. Beim Thema Clan-Kriminalität warnte er vor einer Stigmatisierung von Clan-Mitgliedern, schlug also andere Töne an als der Law-and-Order-Mann Herbert Reul. Nach dem fulminanten Auftakt ist es ruhig geworden um den 53-jährigen. Unterm Strich zu ruhig.
Schulministerin Dorothee Feller (CDU)
Im wohl schwierigsten Ressort legte die Verwaltungsfrau einen überraschend guten Start hin. Sie kommuniziert besser als ihre liberale Vorgängerin, ist ideologiefrei, versteht sich als Problemlöserin. Die 57-jährige brachte ein Konzept gegen Lehrkräftemangel auf den Weg, gönnt Grundschülern mehr Lesezeit, die Besoldung von Lehrkräften wurde angeglichen. Die Abiturpanne im April warf erste Schatten auf ihre Arbeit, es folgten mehrere Datenpannen. Die IT-Probleme verhageln Fellers Bilanz am Ende des ersten Jahres. Ist halt ein schwieriges Ressort.
Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne)
Krischer war Parlamentarischer Staatssekretär im Bund und ist ein mit allen politischen Wassern gewaschener Aktivposten in der schwarz-grünen Koalition. Manchmal schießt der temperamentvolle Dürener aber übers Ziel hinaus: Sein Aufstand gegen die Ausbaupläne des Bundes für bestimmte Autobahnabschnitte begann mit Gebrüll und endete kleinlaut. Krischer kämpfte fürs Deutschlandticket und stellt sich im Streit um das Brückendesaster an der A45 schützend vor Hendrik Wüst.
Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU)
Ruhig und unspektakulär leitet Gorißen ihr kleines Ressort. Angesichts der Tatsache, dass sich ihre Vorgängerinnen, die Agrar- und Umweltministerinnen Christina Schule Föcking und Ursula Heinen-Esser, (beide CDU) nicht lange im Amt hielten, reicht Ruhe schon für eine gute Bewertung. Kümmert sich engagiert um eine wichtige Klientel der Union: die in diesen Krisenzeiten besonders protestfreudigen Landwirte. Biss hat sie auch: Die 51-jährige legte sich mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) an, als dieser für die Kennzeichnungspflicht für Schweinefleisch trommelte.
Familien- und Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne)
In der Rolle der Grünen-Fraktionschefin war sie prägnant und brillant, als Ministerin ist die 41-Jährige vorsichtig. Mehr Mut würde Paul guttun, heißt es. Ihre Baustellen gehören allerdings zu den besonders komplizierten. Die Kitas stecken in der Dauerkrise, das Alltagshelferprogramm und die Sprach-Kitas wurden von ihr bisher nur auf Zeit gerettet. Viele Kommunen sind unzufrieden mit Paul, weil sie Mühe hat, die versprochenen 34.500 Unterbringungs-Plätze des Landes für Geflüchtete zu schaffen. Da ist noch Luft nach oben.
Kultur- und Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU)
Ein paar Mal machte die eher unauffällige Ministerin Schlagzeilen: Sie kritisierte zum Beispiel die Priesterausbildung an der Kölner Hochschule für Theologie. Nach dem Skandal um einen Professor der Hochschule Gelsenkirchen, der Studierende belästigt haben soll, vertraute sie dem Aufklärungswillen der Hochschule. Sie pochte auf Unterstützung für Kultureinrichtungen und Hochschulen in der Energiekrise, musste sich aber Vorwürfe anhören, die Landeshilfe reiche nicht.