- Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ruft dazu auf, nicht notwendige Reisen in Risikogebieten zu vermeiden.
- Und erklärt, wie sich Deutschland auf möglicherweise weiter steigende Infektionszahlen im Herbst vorbereitet.
Die Corona-Infektionszahlen steigen gerade deutlich an. Wo liegen die Ursachen?
Spahn: Durch den Rückreiseverkehr nach den Sommerferien sind die Infektionszahlen im gesamten Bundesgebiet gestiegen. Weitere Ursachen für größere Ausbrüche sind Feiern, geselliges Beisammensein, Hochzeiten, religiöse Zusammenkünfte.
Als zuletzt die Infektionszahlen so hoch lagen, wurde alles dichtgemacht. Nun werden die Stadien wieder für Publikum geöffnet und in NRW wird über den Karneval verhandelt. Wäre nicht mehr Vorsicht angezeigt?
Es gibt eine Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin von vor drei Wochen. Danach sollten vorerst keine weiteren Öffnungsschritte mehr gegangen werden. Daran möchte ich ausdrücklich erinnern. Die Vereinbarung bleibt angesichts der steigenden Infektionszahlen weiter aktuell. Je nach regionalem Infektionsgeschehen kann es der Lage angepasst aber unterschiedliche Vorgaben geben.
Also sollte man die Stadien nicht öffnen?
Spahn Entscheidend sind gute Konzepte, die dann auch konsequent angewandt werden. So bitter das für den einzelnen und die Stimmung beim Fußball sein mag: Wenn regional die Infektionszahlen steigen, sollten keine Fans ins Stadion. Die Stadt München hat das genau richtig gemacht.
Und der Karneval?
Spahn Ich kann mir Karneval, so wie ich ihn kenne als Westfale - mit Schunkeln, Bützchen, Alkohol trinken - mitten in der Pandemie schlecht vorstellen.
Das RKI hat nun noch weitere Regionen zu Risikogebieten erklärt. Das bedeutet zwar kein Reiseverbot – raten Sie dennoch ab?
In unseren direkten Nachbarländern liegen die Infektionszahlen teilweise achtmal so hoch wie in Deutschland. Das sollte jedem Reisenden zu Denken geben. Generell gilt auf Reisen dasselbe wie für zu Hause: Abstand halten, Hygieneregeln befolgen, Alltagsmaske nutzen. Das macht den Unterschied. Nicht notwendige Reisen in Risikogebiete sollte man ganz vermeiden. Ich weiß, dass das hart ist, wirtschaftlich für die Reiseveranstalter und persönlich für diejenigen, die einen Urlaub lange geplant hatten.
Aber wir haben mit Ischgl und dem Sommerurlaub erlebt, was nun auch für den anstehenden Herbst- oder Weihnachtsurlaub droht: Dass durch Reiserückkehrer die Infektionszahlen steigen. Und dass durch zurückkehrende Familien Infektionen in Schulen und Kitas getragen werden können.
Viele Virologe und Epidemiologen rechnen mit einem deutlichen Schub der Corona-Infektionen im Herbst. Welchen Spielraum gibt es, darauf zu reagieren, um die Infektionsketten tatsächlich zu unterbrechen?
Wir werden genau hinschauen, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Stand heute kann das Gesundheitswesen mit dem erhöhten Infektionsgeschehen der vergangenen vier Wochen gut umgehen. Die Gesundheitsämter sind noch in der Lage, die Kontakte Infizierter nachzuverfolgen. Wichtig ist, dass wir die besonders betroffenen Risiko-Gruppen weiter besonders schützen und die Konzepte dafür im Alltag wieder schärfen. Deshalb werden präventive Reihentests in den sensiblen Bereichen wie zum Beispiel Pflegeheime ein fester Bestandteil der Teststrategie für Herbst und Winter. Dort müssen wir den Eintrag des Virus verhindern. Es gilt weiter höchste Wachsamkeit.
Was wollen Sie zudem ändern?
Bereits beendet haben wir die kostenlosen Tests für Reiserückkehrer aus Nicht-Risikogebieten. Zum Oktober wird das Bundesinnenministerium die Vorgaben der Quarantäne-Zeit für Rückkehrer aus Risikogebieten anpassen. Außerdem sollen Antigen-Schnelltests Bestandteil der Teststrategie werden. Das wäre ein qualitativer Schritt nach vorne. Wir haben die Testkapazitäten enorm hochgefahren. Allein in den letzten vier Wochen wurde etwa ein Drittel aller Tests seit Beginn der Pandemie gemacht.
Soll die neue Teststrategie soll ab dem 1. Oktober starten?
Entscheidend ist, dass wir für den Herbst und Winter unsere Test- und Quarantänestrategie fundiert und sorgfältig weiterentwickeln. Ich denke, dass das in Abstimmung mit den Ländern eher bis Mitte Oktober braucht.
Müssen möglicherweise Testzentren wieder stärker genutzt werden, um die Hausärzte vor Überforderung zu schützen?
Unbedingt. Wir brauchen im Herbst regional und lokal sogenannte Fieberambulanzen, an die sich Patienten mit klassischen Atemwegssymptomen wie Corona und Grippe wenden können. Ich setze darauf, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen solche zentralen Anlaufstellen vor Ort anbieten werden. Konzeptionell gibt es die schon – sie sollten im Herbst idealerweise flächendeckend zugänglich sein.
Ein positiver Befund: Die Kliniken in Deutschland waren während der Corona-Hochphase keinen Moment überfordert. Deutschland war froh um seine oft kritisierten großen Kapazitäten. Wird diese Erkenntnis etwas an Ihren Plänen für die Krankenhausreform ändern?
Die Kliniklandschaft hat sich in der Krise bewährt – auch mit ihrer Kompetenz in der Fläche. Zugleich haben die Kliniken mehr denn je untereinander kooperiert. Diesen Geist brauchen wir auch für die Entwicklung der Krankenhauslandschaft insgesamt, um regional abgestimmte Konzepte von der Uni-Klinik bis zu den Grundversorgern zu schaffen.
Der Bundesrechnungshof hat der Organisation der Klinikstruktur in Deutschland eine schallende Ohrfeige erteilt und fordert eine Grundgesetzänderung, um Finanzierung und Verantwortung wieder in eine Hand zu legen. Sind Sie auch dafür?
Diese Debatte ist so alt wie ich.
Der Bundesrechnungshof hat es noch einmal sehr klar analysiert...
Die entscheidende Frage ist: Was ist realistisch? Bei der Krankenhausplanung wollen und müssen Landesregierungen eine Rolle spielen. Das lässt sich nicht aus Berlin machen. Denkbar ist aber, dass sich der Bund stärker bei Investitionen der Krankenhäuser engagiert, und im Gegenzug bei den Versorgungskonzepten mitentscheidet.
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Der Bundesrechnungshof kritisiert auch Ihre Pläne: Mit den gut drei Milliarden Euro, die der Bund nun in die Kliniken steckt, entfalten Sie eben nicht genug Steuerungswirkung...
Die drei Milliarden Euro sind Teil des Konjunkturprogramms. Diese Mittel sollen in der akuten Wirtschaftskrise rasch abgerufen werden und deshalb nicht an komplizierte politische Prozesse gekoppelt sein. Das ist wichtig, um schnell die digitale Infrastruktur der Kliniken zu verbessern.
Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung in Ihrer Partei wahr – ist der von Ihnen unterstützte Kandidat für den Parteivorsitz Armin Laschet auch der Favorit?
Die Stimmung ist gut – auch deshalb, weil in der Krise das Vertrauen in staatliche Institutionen und ihre Repräsentanten spürbar steigt. Das ist ermutigend. Das haben wir auch bei der Kommunalwahl in NRW gemerkt. Das gute Ergebnis ist ein gemeinsamer Verdienst der vielen CDU-Kommunalpolitiker, der Landesregierung und des Ministerpräsidenten Armin Laschet.
Also ist er Favorit?
Er hat die Unterstützung des Landesvorstandes. Die Regierung in NRW arbeitet konstruktiv und effektiv. Wichtige Projekte wie Industrieförderung und innere Sicherheit laufen. Eine solche Regierungsbilanz ist eine Visitenkarte über NRW hinaus. Ich spüre, dass es neben dem Zuspruch für Armin Laschet in der Partei eine hohe Zustimmung für den Ansatz gibt, im Team zu handeln und die Breite der Partei widerzuspiegeln. Es gibt ein hohes Bedürfnis danach, zusammenzuarbeiten statt intern zu streiten.
Als es 2018 einen Wettbewerb um den Vorsitz gab, blieb die Partei nach der Wahl gespalten zurück. Warum sollte das 2020 anders sein?
Wenn wir wollen, dass – wer auch immer als Vorsitzender gewählt wird - auch Kanzler wird, dann müssen wir gemeinsam und geschlossen kämpfen.
Ist die CDU rational genug, sich so zu verhalten?
Ja. Die CDU will regieren.
Es gibt immer wieder Vermutungen, am Ende könnten Sie doch für den Vorsitz antreten. Erwägen Sie das?
Nein.
Seit Monaten wäre den Umfragen zufolge eine schwarz-grüne Regierung möglich. Aus Ihrer Sicht eine gute Alternative zu Schwarz-Rot?
Eine weitere große Koalition hielte ich nicht für gut. Es wäre für Union und SPD besser, diesen Weg nicht fortzusetzen – auch um die Unterschiede wieder klarer machen zu können. Mit guten Kompromissen könnte Schwarz-Grün viele gesellschaftliche Konfliktfelder befrieden. Gleichzeitig gibt es große Unterschiede zwischen Union und Grünen. Was nutzt es, wenn Winfried Kretschmann Verständnis dafür hat, wie wichtig die Polizei für das Durchsetzen von Recht und Ordnung ist? Die Mehrheiten auf einem Grünen-Bundesparteitag liegt bei linken Grünen, für die Polizisten eher ein Feindbilder sind.