- Sie seien mit ihrem Gutachten „auf der Zielgeraden“, sagt Rechtsanwalt Björn Gercke, der spätestens am 18. März das Schriftstück zu Missbrauch im Erzbistum Köln vorlegen will.
- Mit Gercke sprach Raimund Neuß.
Als das Erzbistum Köln ein Gutachten – damals noch von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) – zum Umgang mit sexualisierter Gewalt an Kindern ankündigte, weckte es hohe Erwartungen: Namen Verantwortlicher sollten genannt werden, und zwar ohne Tabus. Nun wird dieses Gutachten zurückgehalten, Sie sind der neue Gutachter. Können Sie die damals geweckten Erwartungen erfüllen?Ob wir die Erwartungen erfüllen können, soll die Öffentlichkeit und vor allem die Betroffenen entscheiden, wenn das Gutachten veröffentlicht ist. Wir können auf jeden Fall jetzt schon sagen, dass wir Namen von Verantwortlichen und auch systemische Ursachen benennen werden, beides ohne Kompromisse im Rahmen des rechtlich Möglichen.
Spätestens am 18. März soll das Gutachten vorgelegt werden. Wie weit ist Ihre Arbeit gediehen?
Wir haben die Auswertung und Analyse des sehr umfangreichen Aktenmaterials abgeschlossen, ebenso die Befragung aller potentiell Verantwortlicher sowie weiterer Auskunftspersonen. Wir stehen jetzt mitten in der Phase der rechtlichen Bewertung, wir sind also auf der Zielgeraden.
Werden Sie alle Fälle aufgreifen, die WSW thematisiert hat, oder lassen Sie da etwas weg?
Wir lassen gar nichts weg, sondern stellen alle Fälle dar. Insoweit geht unser Gutachten weit über das WSW-Gutachten hinaus.
Was ist es überhaupt, was Sie zentral an dem WSW-Gutachten kritisieren: Die juristische Einordnung der Fakten – oder bereits die Faktendarstellung an sich?
Wir werden uns inhaltlich zu dem WSW-Gutachten nicht mehr äußern. Das haben die Professoren Jahn und Streng – für jeden nachlesbar – hinreichend getan, ebenso wie zuletzt der ehemalige Vorsitzende am Bundesgerichtshof Thomas Fischer in seiner Spiegel-Kolumne, wenn auch nur zu dem Aachener Gutachten der Kanzlei.
Das WSW-Gutachten sei nicht gerichtsfest, wird kritisiert. Aber was heißt das? Können Sie absolute Gerichtsfestigkeit garantieren?
Unser Anspruch ist – wie bei jeder Begutachtung von uns – ein gerichtsfestes Werk. Wir sehen etwaigen rechtlichen Angriffen durch Personen, die von uns benannt werden und denen unsere Bewertung nicht gefällt, jedenfalls gelassen entgegen.
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Haben Sie sich an dem WSW-Gutachten sozusagen entlang gearbeitet, oder haben Sie unabhängig von den früheren Gutachten alle Quellen neu gesichtet?
Wir haben komplett bei Null angefangen bzw. anfangen müssen.
Der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat die frühere Praxis der Aktenvernichtung in Köln bestätigt, die er dann als Personalchef gestoppt habe. Wie kann man auf dieser Datenbasis länger zurückliegende Fälle analysieren? Der Kölner Diözesanrat meint ja ohnehin, die wenigsten Antworten ließen sich in den Akten finden.
In der Tat können Sie nur begutachten, was Sie in den Akten haben, sofern Sie denn überhaupt Akten haben. Alles andere wäre reine Spekulation, was sich verbietet. Aber seien Sie gewiss, dass der Umgang mit den Akten und auch die Aktenführung Gegenstand unserer Ausführungen sein wird.
Der Diözesanrat kritisiert auch eine Verengung auf juristische Fragestellungen. Geht es wirklich nur darum, ob das Agieren eines Verantwortlichen zur jeweiligen Zeit rechtskonform war? Beispiel: Verzicht auf eine Anzeige bei der Staatsanwalt schaft, dafür gibt es ja erst seit jüngerer Zeit kirchenintern bindende Vorgaben.
Genauso wie die Kollegen aus München sind wir ja nur Juristen. Juristen können bzw. sollten auch nur juristische Fragestellungen beantworten. Dabei werden wir von zwei Kirchenrechtlern, Professor Helmut Pree und Dr. Stefan Korta, unterstützt. Ich denke, die juristische Bewertung kann nur ein Teil der Aufarbeitung bei dem Missbrauchsskandal sein.
Zur Person
Der Kölner Rechtsanwalt Björn Gercke ist bundesweit gilt als einer der führenden deutschen Strafrechtler. Er ist Honorarprofessor an der Universität Köln und als Strafverteidiger zum Beispiel im Prozess gegen den Unternehmer Alexander Falk und im Loveparade-Prozess bundesweit bekannt geworden.
2020 beauftragte ihn das Erzbistum Köln mit einem neuen Gutachten zum Umgang kirchlicher Amtsträger mit Fällen sexualisierter Gewalt. (rn)
Es gibt auch andere Ansätze – etwa eine historische oder sozialwissenschaftliche – mit gleicher Berechtigung. Bei all diesen Ansätzen gibt es kein „besser“ oder „schlechter“. Sie liefern unterschiedliche Antworten auf unterschiedliche Fragen. Ich bin überzeugt, dass unser Gutachten nicht dazu führt und auch nicht dazu führen darf, dass ein Schlussstrich unter den Umgang mit dem Missbrauch im Erzbistum Köln gezogen wird.
Nochmal zum Persönlichkeitsrecht, wenn ich an einen schweren Fall außerhalb des Raums der Kirche erinnern darf: Im Missbrauchsfall Lügde werden Jugendamts-Mitarbeitern schwere Versäumnisse zur Last gelegt. Identifizierend berichtet werden darf über sie aber nicht. Können Sie mit Mitarbeitern kirchlicher Behörden anders verfahren?
Wir sind keine Äußerungsrechtler, stehen aber im ständigen Austausch mit den Rechtanwälten, die vom Erzbistum diesbezüglich beauftragt wurden. Ich bin überzeugt, dass wir ein Gutachten präsentieren, dass insoweit unangreifbar ist. Das heißt natürlich nicht, dass Verantwortliche sich nicht dagegen wehren werden. Aber ich habe Vertrauen in die Kollegen aus dem Äußerungsrecht, dass wir uns da auf sicherem Terrain bewegen.
Wir haben in Aachen gesehen, dass die ursprünglich auch in Köln beauftragte Kanzlei letztlich nur die Namen von Bischöfen und Generalvikaren nannte. In Berlin wurde gar der ganze Mittelteil des dortigen Gutachtens, der mit den meisten Namen, herausgeschnitten und nicht veröffentlicht. Werden Sie in Köln weiter gehen können?
Wir werden weiter gehen. Lassen Sie sich überraschen.