Die Elendskirche ist das einzige sakrale Gebäude in Köln, das sich nicht in kirchlichem, sondern in privatem Besitz befindet.
Elendskirche im SeverinsviertelKölner Familie engagiert sich seit 1676

Die Kölner Elendskirche
Copyright: Constantin von Hoensbroech
Die letzten Nebelschwaden, die noch am frühen Morgen über der Stadt lagen, hatten sich verzogen. Die Sonne nahm ihren Lauf und streichelte mit ihren wärmenden Strahlen das Severinsviertel. Noch herrschte wenig Betriebsamkeit in den engen Gassen. In die Stille mischte sich das Geräusch eines leisen, unregelmäßigen Klackens. Der vornehm gekleidete Herr, der gemächlich durch das Kölner Stadtviertel schlenderte, blieb stehen und blickte sich um. Da entdeckte er einen Hund, der genüsslich und ungestört am Rande des Elendsfriedhofs an den Knochen eines nur notdürftig verscharrten Verstorbenen nagte. Die unwürdige Szenerie rührte Jacob d. J. de Groote derart, dass er beschloss, baldmöglichst eine Mauer sowie ein eisernes Tor um die Begräbnisstätte errichten zu lassen.
So oder so ähnlich hat sich gemäß Überlieferung dieses Geschehen an einem Sonntag des Jahres 1676 ereignet. Es war der Beginn des bis heute währenden Engagements der in der Kölner Südstadt. Jacob d. J. (1627 bis 1681) hatte den Anstoß dazu gegeben. In den folgenden beiden Jahren ließ er die dem Erzengel Michael geweihte Friedhofskapelle mehrfach erweitern und das Patronat des heiligen Papstes Gregor (540 bis 604) hinzufügen. Der finanziell unabhängige Kaufmann de Groote hatte zu Lebzeiten zahlreiche Kölner Kirchen mit Spenden und Stiftungen bedacht. Dazu zählten nun auch die baulichen Maßnahmen auf dem ungeschützten Friedhof, der als Elendsfriedhof bekannt war und damals außerhalb der Stadtmauer lag.
Beerdigt wurden auch Pilger oder Kaufleute auf Durchreise
Erstmals erwähnt wurde der Ort im Jahr 1335, ein erstes Gebetshaus gab es wohl bereits seit 1473. Beerdigt wurden hier diejenigen Verstorbenen, die nicht in Köln gemeldet oder als Ehrlose verstorben waren: etwa Arme und Geächtete, hingerichtete Verbrecher, Henker oder Abdecker. Aber auch ehrbare Personen wurden hier beigesetzt, etwa Pilger oder Kaufleute, die während ihrer Durchreise verstorben waren oder Flüchtlinge. Als „Elende“, eben Ausländer, wurden diese Menschen bezeichnet, was den Namen des Friedhofs erklärt. Ob Jacob d. J. sich bei seinem Engagement für diese Begräbnisstätte auch von der eigenen Familiengeschichte hat leiten lassen?
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Im Jahr 1580 war die katholische Familie derer de Groote aufgrund der konfessionellen Auseinandersetzungen aus den spanischen Niederlanden in das „heilige Köln“ geflüchtet. In Flandern war das bis in das 13. Jahrhundert zurück nachweisbare Adelsgeschlecht wirtschaftlich erfolgreich sowie karitativ und religiös engagiert. So richtete bereits Gerhard de Groote (1340 bis 1384) in Gent eine Stiftung ein und gründete den Orden der „Brüder vom gemeinsamen Leben“. In Köln gelangte die geschäftstüchtige Kaufmannsfamilie rasch zu Ansehen und stieg in den Kreis der führenden Patrizierfamilien auf. 25-mal war ein de Groote einer der beiden Bürgermeister in der Freien Reichsstadt. Sieben Familienmitglieder gelangten in Köln auch als Geistliche zu Würde und Ansehen, so beispielsweise der Kanonikus Everhard Anton Jacob Balthasar de Groote (1718 bis 1796). Zusammen mit seinem Bruder Maria Franz Jakob Gabriel (1721 bis 1792) nimmt er sich der baufällig gewordenen Friedhofskapelle an. Die beiden ersetzen diese durch einen größeren Kirchenbau, der nach etwas mehr als fünf Jahren Bauzeit durch den damaligen Weihbischof Karl Aloys Reichsgraf Königsegg-Aulendorf im Jahre 1771 konsekriert wird.
Constantin von Groote gibt Führungen
Im Jahr 2022 Tage wurde – pandemiebedingt mit einem Jahr Verspätung – der 250. Geburtstag des kleinen Gotteshauses gefeiert. Sankt Gregorius Am Elend, so der offizielle Name, ist eine von vier Barockkirchen der Domstadt und als öffentlich zugängliche Kirche im Stiftungsbesitz die letzte von ehemals 30 Kölner Familienkirchen. Bis heute engagieren sich die Mitglieder der Familie von Groote persönlich für die Kirche. Constantin von Groote erläutert beispielsweise bei Führungen die spannende Geschichte und Geschichten der Kirche, ihre Kunstwerke und ihre Umgebung. In der Sakristei etwa können Besucher die gerahmte Todesanzeige von Everhard Anton Jacob Balthasar de Groote studieren, der im 55. Jahre seines Priesterstandes am 2. Januar 1796 verstorben ist und „dessen liebe Seele dem H. Mess-Opfer einer ehrwürdigen Priesterschaft und dem andächtigen Gebeth deren Kristglaubigen beßtens empfohlen wird“.
1824 wurde für den Erhalt der Kirche eine eigene Stiftung errichtet. Die „von Groote‘sche Familienstiftung Am Elend zu Köln“ existiert bis heute und ist als Trägerin der Kirche beim Erhalt des barocken Ensembles federführend. Die Stiftung wird von zwei Provisoren aus dem Familienkreis geleitet. Zurzeit sind dies Constantin von Groote als Provisor senior und Magnus Freiherr von Canstein als Provisor junior. Das Vermögen der Stiftung ist in der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg fast vollständig entwertet worden. Eine der wichtigsten Aufgaben der Stiftung ist es daher, für den Erhalt der Kirche Fördergelder öffentlicher und privater Institutionen sowie private Spenden einzuwerben. Für die Stiftung steht als nächste bauliche Herausforderung die Sanierung des markanten Walmdachs an. „Spätestens in vier Jahren hat es das Ende seiner Lebensdauer erreicht“, sagt Constantin von Groote, der neben der Unterstützung aus öffentlicher Hand sowie dem Erzbistum Köln auf die Unterstützung von Spendern hofft, um die auf etwa eine halbe Million Euro veranschlagten Kosten finanzieren zu können.
Die Elendskirche ist ein einzigartiger Ort der Kölner Kultur und Geschichte, aber eben auch und insbesondere des religiösen Lebens.
Dominik Meiering, leitender Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden, betont: „Die Elendskirche ist ein einzigartiger Ort der Kölner Kultur und Geschichte, aber eben auch und insbesondere des religiösen Lebens.“ Dem Kölner Domkapitular ist es wichtig, in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass sich Bürger aus der Nachbarschaft darum verdient machten, aus der 1943 bei einem Luftangriff bis auf die Grundmauern abgebrannten Kirche die liturgischen Geräte zu retten und zurückzugeben. Im Jahr 1967 wird die Kirche durch den damaligen Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings wieder geweiht. „Die Vergänglichkeit und der Tod sind an diesem Ort ebenso präsent wie die Hoffnung und der Glaube an die Auferstehung und ein Leben nach dem Tod“, unterstreicht Meiering.