Zwei Missbrauchsopfer verklagen das Erzbistum Köln auf Schmerzensgeld. Erzbischof Koch sagt als Zeuge im Gericht aus. Er soll mit Pfarrer U. befreundet gewesen sein.
Was wussten die Geistlichen?Erzbischof Koch sagt gegen das Erzbistum Köln aus

Ein Mottowagen, gebaut von Jacques Tilly und aufgestellt von der Giordano Bruno Stiftung für das bundesweite Aktionsbündnis der Betroffeneninitiativen, steht vor dem Landgericht in Köln.
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Zwischen zwei Kreuzen, die schon zu bersten beginnen, ist eine Hängematte gespannt. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht liegt ein Bischof darin und schläft den Schlaf der Gerechten. Auf der Hängematte heißt es: „14 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle!“ Die satirische Großplastik von Karnevalswagenbauer Jaques Tilly parkte am Dienstag prominent vor dem Haupteingang des Justizzentrums an der Luxemburger Straße in Köln. Der Grund: Zwei Missbrauchsopfer (39 und 58) verklagen derzeit das Kölner Erzbistum auf Schmerzensgeld.

Es werden zwei Verfahren gegen die katholische Kirche verhandelt.
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Während die 39-Jährige in den 1990er Jahren Opfer eines ehrenamtlichen Leiters einer Messdienergruppe geworden war, lebte die 58-Jährige von Ende der 1970er bis in die 1980er Jahre als Pflegetochter beim katholischen Pfarrer Hans Bernhard U., der sie in der Zeit wiederholt missbraucht und vergewaltigt haben soll.
Hans Bernhard U. und Erzbischof Koch sollen Freunde gewesen sein
Zeitweise soll U. mit der 58-Jährigen und ihrem Ziehbruder (60) — beide kamen aus einem Bonner Kinderheim zu dem Priester — auch im Kölner Priesterseminar gelebt haben. Im Februar 2022 war U. vom Landgericht zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, weil er von 1993 bis 2018 neun Mädchen teils schwere sexuelle Gewalt angetan hatte. Die Taten zu Lasten der 58-Jährigen, die vermutlich das erste Opfer des Priesters war, waren da bereits verjährt. U. ist inzwischen auch aus dem Klerikerstand entlassen worden.
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Die 5. Zivilkammer muss in den beiden Fällen klären, ob das Bistum für die Taten und ihre Folgen haften muss. Beide Frauen klagen auf jeweils 830.000 Euro; die 58-Jährige fordert zudem weitere 20.000 Euro als „materiellen Vorbehalt“ für weitere Kosten, die als Folge der erlittenen sexualisierten Gewalt noch auftreten könnten. Das Gericht interessierte besonders die Frage, ob andere Seminaristen und Geistliche im Kölner Priesterseminar wussten, dass die Betroffene und ihr Ziehbruder dort regelmäßig mit U. übernachteten und die 58-Jährige ein Zimmer mit U. teilte.
Köln: Berliner Erzbischof als Zeuge
Hierzu wurde neben dem Ziehbruder auch der Berliner Erzbischof Dr. Heiner Koch (70) als Zeuge vernommen. Als angehender Priester war Koch 1979 im Kölner Erzbistum, ebenso wie der spätere Missbrauchstäter U. Wie die Klägerin vor Gericht aussagte, seien sie und ihr Ziehbruder damals oft und ganz selbstverständlich mit ins Kölner Priesterseminar genommen worden. Während ihr Bruder alleine geschlafen habe, habe sie mit U. im selben Zimmer übernachtet. Die 58-Jährige sagte auch, dass U. und der heutige Berliner Erzbischof Freunde gewesen seien. „Den Namen Koch hat Bernd oft erwähnt“, sagte sie.
Auch seien sie vielen anderen Seminaristen und Priestern im Seminar aufgefallen. So habe sie mit ihrem Bruder Schnitzeljagd auf den Korridoren des Priesterseminars gespielt. Das Highlight der Kinder sei aber der Besuch im scherzhaft „Zöli-Bad“ genannten seminareigenen Schwimmbad gewesen. Dort seien die tobenden Kinder mit eher sportlichen Priestern, die ihre Bahnen zogen, aneinandergeraten, wie der Ziehbruder der Klägerin aussagte.
Koch hingegen sagte aus, dass er sich nicht erinnern könne, dass die Klägerin als Mädchen im Priesterseminar zu Gast gewesen sei. „Dass ein blondes Mädchen da war? Kann sein, weiß ich nicht“, sagte Koch. Hin und wieder seien mal Kinder im Seminar gewesen. Dabei habe es sich aber meist um Messdiener gehandelt, die nach ihrem Dienst im Dom noch auf einen Kaffee vorbeigekommen seien.
Taten als Kirchen- oder als Privatmann
Vom Vorsitzenden Dominik Theisen befragt, wie sein Verhältnis zu U. gewesen sei, sagte Koch: „Persönlichen Kontakt zu ihm hatte ich kaum. Wir waren nicht befreundet.“ Dass U. damals Kinder bei sich hatte, „ist mir nicht nachhaltig in Erinnerung“, sagte der Erzbischof weiter. Wie zur Entschuldigung schob er hinterher, dass das „jetzt 46 Jahre her“ sei.
Bereits im Sommer hatte das Gericht mitgeteilt, dass es das Bistum im Fall der 58-Jährigen eher nicht in der Haftung sehe. U. habe die Missbrauchstaten als Pflegevater und nicht als Priester begangen. Eine Amtshaftung erstrecke sich aber nur über den dienstlichen und nicht den privaten Bereich. Und als privat betrachtet das Gericht bislang die Stellung U.s als Pflegevater der beiden Kinder. Ein Urteil im Klageverfahren der 58-Jährigen soll am 6. Mai verkündet werden.
Im Fall der 39-Jährigen tendiert das Gericht hingegen in die andere Richtung. Demnach sei ein Leiter einer Messdienergruppe als „verlängerter Arm des Bistums“ anzusehen, erläuterte der Vorsitzende Dominik Theisen. Auch betreffe seine Tätigkeit den Kernbereich der Gemeinde und damit des Erzbistums als deren Verwaltungsstruktur. Allerdings erkennt das Gericht bislang nur zwei Missbrauchstaten, die in einem Strafprozess festgestellt worden waren, als bewiesen an.
Die Klägerin behauptet aber, rund fünf Jahre lang jeden Mittwoch missbraucht worden zu sein. Für den 29. April ist ein weiterer Verhandlungstermin angesetzt. Dann soll womöglich auch die 39-Jährige selbst vernommen werden.