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Fall um Priesters U.Erzbistum Köln lehnt Haftung für Missbrauch ab

Lesezeit 4 Minuten
Im Februar 2022 war Pfarrer U. (im roten Anorak) vom Kölner Landgericht wegen mehrfachen Missbrauchs zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden und als Folge 2023 aus dem Klerikerstand entlassen worden.

Im Februar 2022 war Pfarrer U. (im roten Anorak) vom Kölner Landgericht wegen mehrfachen Missbrauchs zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden und als Folge 2023 aus dem Klerikerstand entlassen worden.

Das Erzbistum Köln weigert sich, 850.000 Euro Schmerzensgeld an die ehemalige Pflegetochter des verurteilten Priesters U. zu zahlen, leugnet dabei eine Amtshaftung.

Zwei Jahre nach der Verurteilung des früheren Priesters U. wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs zu zwölf Jahren Haft fordert die frühere Pflegetochter des Geistlichen 850.000 Euro Entschädigung vom Erzbistum Köln. Melanie F. hatte als Halbwaise und Tochter einer suchtkranken Mutter jahrelang im Haus des Seelsorgers gelebt und war in dieser Zeit fortgesetzt von ihm missbraucht worden. Im Prozess gegen U. war sie als Zeugin aufgetreten. Das Erzbistum Köln aber weist den Schmerzensgeldanspruch zurück und lehnt eine Amtshaftung der Kirche für das Handeln von U. ab. In ihrer Klage-Erwiderung führen die Bistumsanwälte aus, dass die Missbrauchstaten in U.s Wohnung begangen worden seien und ein Zusammenhang mit Dienstpflichten als Priester nicht ersichtlich sei. Zudem hätten U.s Vorgesetzte auch ihre Kontrollpflichten nicht verletzt, weil sie keine konkreten Anhaltspunkte für Missbrauchstaten des Priesters gehabt hätten. Überdies wäre eine Kontrolle des Geistlichen Sache des Bonner Jugendamts gewesen, das U. das Sorgerecht für das Missbrauchsopfer übertragen hatte.

Pfarrer U. war Diakon in Alfter

U. lebte damals,1979, als Diakon in Alfter und engagierte sich nebenbei im Kinderheim „Maria im Walde“ in Bonn, wo er sich besonders um zwei Zöglinge kümmerte. Es gelang ihm, mit energischen Worten den damaligen Erzbischof Joseph Kardinal Höffner zu überzeugen, dass er den Jungen (12) und das Mädchen (13) als Pflegekinder bei sich aufnehmen durfte. Das Bistum stimmte unter zwei Bedingungen zu: Das Mädchen muss sich taufen lassen, und im Haus muss eine Haushälterin wohnen. Im Prozess gegen Pfarrer U. konstatierte der Richter Christoph Kaufmann: „Die erste Auflage wurde schnell erfüllt, die zweite nie“. Die Folge: Zweimal schwängerte U. das Mädchen, zweimal musste es abtreiben, beim ersten Mal wusste die 13-Jährige nach eigen Angaben nicht, was ihr geschah.

Der Schmerzensgeld-Prozess sollte eigentlich gestern beginnen. Doch das Kölner Landgericht verschob die Verhandlung auf den 4. Juni. Grund ist der Hinweis der zuständigen fünften Zivilkammer an die Klägerseite, dass nach vorläufiger Prüfung der Vorwurf der Amtspflichtverletzung noch nicht hinreichend dargelegt worden sei. Es stelle sich die Frage, inwieweit der Missbrauch im privaten Bereich des Priesters oder in Ausübung seines Amtes erfolgt sei, so ein Gerichtssprecher.

Staats- und Kirchenrechtler sehen Verantwortung beim Erzbistum

Nicht nur der Anwalt von Melanie F., Eberhard Luetjohann, bekundete Unverständnis für den Hinweis des Gerichts. Es gebe den Priester nicht als Privatperson, sagte er gegenüber der Rundschau. Das gehöre zum Wesensverständnis des geistlichen Amts in der katholischen Kirche.

Ähnlich äußerte sich auf Rundschau-Anfrage der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen, der der Aufarbeitungskommission der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung angehört. „Die Argumentation des Erzbistums Köln, es fehle ein Bezug zu den Amtspflichten des damaligen Priesters U., überzeugt nicht. Der stärkste Grund dafür, dass es um eine spezifisch priesterliche Aufgabe ging, ist die Zustimmung, die der damalige Kölner Erzbischof, Kardinal Höffner, erteilt hat.“ Rixen verwies auf die Urteilsbegründung gegen U. Darin heißt es wörtlich: „Gegen Ende des Diakonats ersuchte der Angeklagte das Erzbistum darum, die Kinder auch über seine anstehende Priesterweihe hinaus als Pflegekinder in seinem Haushalt belassen und auch das Sorgerecht für sie übernehmen zu dürfen. Hierbei handelte es sich um einen bis dahin im Erzbistum noch nie vorgekommenen Vorgang.

Entsprechend führte das Ersuchen zu unterschiedlichen Stellungnahmen, die auch auf Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Ansinnens des Angeklagten mit dem Beruf des Priesters hinwiesen. Letztlich stimmte der Erzbischof dem Ersuchen des Angeklagten aber mit Blick auf das angenommene Wohl der Kinder zu“, steht auf Seite 3 der 74-seitigen Urteilsbegründung. „Warum hätte der Erzbischof sich überhaupt einmischen sollen,“ fragt Rixen, „wenn es rein um U.s Privatangelegenheiten gegangen wäre?

Vorher hat er mir Alkohol gegeben, sodass ich betrunken wurde und kaum noch etwas mitbekam.
Melanie F. ,Klägerin

Das staatliche Recht – auch das Landgericht Köln – müsse, so Rixen, das umfassende Verständnis vom Priesteramt bei der Frage, was zur Amtspflicht gehört, beachten. Eine Unterscheidung zwischen Amtsträger und Privatperson, wie sie für staatliche Funktionsträger nachvollziehbar ist, passe gerade zum Priesterbild der katholischen Kirche nicht, erst recht nicht, wenn wie hier der Erzbischof durch seine ausdrückliche Zustimmung die Sorge für die Kinder zur Aufgabe des Priesters U. gemacht hat.

Auch Lothar Jaeger, ehemaliger Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln, sagte, das Jugendamt habe die Kinder der Organisation des Bistums anvertraut. Damit habe für das Erzbistum auch eine allgemeine Kontrollpflicht bestanden.

Mit Verweis auf das laufende Verfahren werde sich das Erzbistum dazu nicht äußern, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Es sei dem Erzbistum Köln ein wichtiges Anliegen, dass ein staatliches Gericht über den Fall befindet und allgemeine rechtliche Klarheit schafft. Deshalb verzichtet es auch in diesem Verfahren darauf, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. (mit kna)