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Besuch in LitauenHendrik Wüst beim Crashkurs an der Ostflanke

Lesezeit 4 Minuten
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident , Hendrik Wüst (r, CDU) spricht neben Oberst Klaus-Peter Berger (2.v.r.) mit deutschen Soldaten.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident , Hendrik Wüst (r, CDU) spricht neben Oberst Klaus-Peter Berger (2.v.r.) mit deutschen Soldaten.

Ministerpräsident Wüst besucht Nato-Soldaten in Litauen – und schärft sein außen- und sicherheitspolitisches Profil.

Vilnius Achtung! Der Ministerpräsident fahre „über Luke“, kündigt der Presseoffizier an. Da biegt Hendrik Wüst schon um die Ecke und schaut aus dem Dach eines Fuchs-Transportpanzers. Er trägt einen Flecktarn-Parka, den ihm Oberst Klaus-Peter Berger geliehen hat. Nun soll er drei Dutzend deutsche Soldaten begrüßen, die sich an der Nato-Ostflanke vor Kriegsgerät aufgereiht haben. Sie stehen in ihren Knobelbechern im Morast, Wüst trägt die guten braunen Wildlederschuhe. „Oh, das tut mir leid“, sagt der Oberst. „Egal, macht nichts“, sagt Wüst und tänzelt zu den Uniformierten.

Wüst für drei Tage in Litauen

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ist für drei Tage nach Litauen geflogen. Offiziell geht es um einen Empfang zum Tag der Deutschen Einheit in Vilnius. Außerdem will er den deutschen Streitkräften in der Nato-Beistandsinitiative überfälligen Respekt zollen. „Hier wird gemeinsam auch unsere Sicherheit verteidigt“, lobt Wüst.

Zugleich steht ein solcher Trip bei jemandem, dem Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur 2025 nachgesagt werden, im Verdacht des außen- und sicherheitspolitischen Trainingslagers. Wüst scheint hier im Schnelldurchlauf Wissens- und Erfahrungslücken zu schließen. Der 48-jährige CDU-Politiker saugt förmlich auf, dass in Litauen noch einmal eine ganz andere Solidarität mit der Ukraine gelebt wird als in Deutschland. Was er hört, tippt er in sein Ipad.

Überall in der Altstadt von Vilnius prangen blau-gelbe Fahnen. Die Nato-Präsenz wird als Lebensversicherung gesehen. Im Westen droht die russische Exklave Kaliningrad, im Osten Belarus. „Man will hier nie wieder den Russen in Litauen haben“, erklärt Bundeswehr-Oberst Berger. Er sagt wirklich „den“ Russen.

Wüst legt einen Kranz mit NRW-Banner an der nationalen Gedenkstätte für den litauischen Kampf um Unabhängigkeit auf dem Friedhof in Antakalnis nieder. Hier ruhen die Opfer des Januar-Putsches von 1991, als die Sowjetmacht zum vorerst letzen Mal versuchte, ihren Einfluss wiederherzustellen.

Neubrandenburg: Mit einem Rückkehrerappell auf dem Marktplatz werden Soldaten begrüßt, die aus dem Auslandseinsatz in Litauen zurückkommen.

Neubrandenburg: Mit einem Rückkehrerappell auf dem Marktplatz werden Soldaten begrüßt, die aus dem Auslandseinsatz in Litauen zurückkommen.

Bei einem Treffen mit Premierministerin Ingrida Šimonytė wird Wüst schmerzlich in Erinnerung gerufen, dass auch seine CDU über Jahre Warnungen vor einer gefährlichen Energieabhängigkeit von Russland ignoriert hat. „Ihr hattet Recht, wir lagen falsch“, räumt er ein. Später betont er immerhin den Wert des heutigen Gas-Embargos. Es sei „eine Riesencharakterleistung des deutschen Volkes, dass wir mit unserem Energiehunger nicht den Krieg finanzieren wollen“, findet Wüst.

Auch wenn ihm die Flecktarn-Jacke gut steht, kann er im Nato-Stützpunkt Rukla bisweilen nicht verbergen, dass das noch nicht seine Welt ist. Er ist einst ausgemustert worden und hat den letzten Appell miterlebt, als vor 20 Jahren in seinem Wahlkreis in Borken eine Kaserne zugemacht wurde. Wüst fragt nach Anreizen für Soldaten, um nach Litauen zu gehen. Der Oberst verzieht keine Miene und antwortet: „Die Truppe wird zusammengestellt und hierher befohlen. Das ist relativ einfach.“

Bei seinem Besuch in Litauen hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst in Rukla den deutschen Anteil der Battle Group LTU (BG LTU) besucht.

Bei seinem Besuch in Litauen hat Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst in Rukla den deutschen Anteil der Battle Group LTU (BG LTU) besucht.

Vor allem erreicht Wüst mit dieser Baltikum-Tour, sich auf außenpolitische Flughöhe zu begeben. Das schwarz-grüne Kleinklein in NRW ist weit weg. Wüst schläft in Vilnius in einem Hotel, das auch schon Angela Merkel und George W. Bush bewohnt haben. Er sagt Sätze wie: „Es war ein Fehler, sich so wenig mit Fragen der Verteidigungsfähigkeit und der Resilienz zu befassen.“ Oder: Er sei Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) dankbar, dass der dauerhaft eine Brigade (4000 Soldaten) in Litauen stationieren wolle. Und auch Olaf Scholz (SPD) zollt er Dank für den „Zeitenwende“-Begriff. „Warum sollte ich den Kanzler nicht loben dafür?“, fragt Wüst kokett.

So gehört nicht viel Fantasie dazu, sich den Düsseldorfer Regierungschef in der Kanzlerkandidaten-Diskussion der Union vorzustellen. Während er sich nahezu fehlerfrei als Staatsmann bewegt, verkauft sich ein „Stern“-Cover, das seinen Parteichef Friedrich Merz mit reinretouchierter Frontzahnlücke zeigt. Und am Sonntag sind ja auch noch Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Wüst, der am Dienstag in Hamburg kurz vor Abflug nach Vilnius bei den Einheitsfeierlichkeiten zum Ballermann-Song „Helikopter 117“ auf der Tanzfläche gesichtet wurde, scheint immer besser startklar zu werden.

Manchmal dürfte er gleichwohl spüren, dass zusätzliche politische Verantwortung auch schwer wiegen kann. So schärft ihm Oberst Berger in Rukla als „Aufgabe der Politik“ ein, den Deutschen zuhause das Bedrohungsgefühl in Osteuropa zu vermitteln – und den Bürgern klarzumachen, dass Deutschland selbst mal Frontstaat gewesen sei, vom Schutz anderer gelebt habe und nun etwas zurückgeben müsse. „Ich habe Ihren Auftrag verstanden“, sagt Wüst.