Vor der LandtagswahlWüst und Kutschaty im großen Kandidatencheck der Redaktion
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Drei Monate vor der Landtagswahl haben CDU und SPD die beiden Anwärter auf das Ministerpräsidenten-Amt mit Spitzenergebnissen gestärkt. Amtsinhaber Hendrik Wüst wurde beim Delegiertentreffen der CDU in Essen mit 99,1 Prozent auf Platz eins der Landesliste gesetzt. SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty, NRW-Parteivorsitzender und Landtagsfraktionschef, erhielt bei einem digitalen Parteitag 98,3 Prozent Zustimmung. Laut einer Umfrage des Instituts Insa für die „Bild am Sonntag“ liegt die SPD mit 29 Prozent wieder knapp vor der CDU (27). Die Spitzenkandidaten im Vergleich:
Hendrik Wüst
Leitthema
„Es macht den Unterschied, ob wir regieren“, lautet die zentrale Botschaft, die Wüst mantraartig in seine Bewerbungsrede einbaut. Er will die CDU als Machtmaschine präsentieren, die den Menschen mit Pragmatismus Probleme vom Hals hält und sich nicht in Programmdebatten verliert. Obwohl die Corona-Krise für viel Unmut sorgt, versucht es Wüst mit einer Mischung aus Bilanzstolz mit dem Verweis auf Milliardenausgaben seit 2017 für innere Sicherheit oder wirtschaftliche Entfesselung sowie der Aussicht auf Veränderungen mit Augenmaß: „Wir müssen zeigen, dass beides geht: Klima schützen und gute Arbeitsplätze, Wohlstand und soziale Sicherheit erhalten.“
Der 46-jährige Volljurist aus dem Münsterland inszeniert sich als moderner Konservativer, der die NRW-CDU nach dem Debakel seines Vorgängers Armin Laschet aufgerichtet hat. Den Delegierten in der Grugahalle wird ein Imagefilm präsentiert, der Wüst als Jungen von nebenan zeigt: in Windjacke radelnd durch Rhede, beim Bäcker oder im Handball-Verein. Aus dem Off meldet sich dazu der späte Familienvater, der seine Tochter als „größte Herausforderung“ neben dem Ministerpräsidenten-Amt nennt und Sätze sagt wie: „Wenn ich die Kleine ansehe, motiviert mich das jeden Tag, alles zu geben.“
Stil
Obwohl schon in jungen Jahren CDU-Generalsekretär, gehört Wüst nicht zu den feurigen Debattenrednern. Er spricht auch in Essen westfälisch temperiert, bleibt am Manuskript. Dafür kommt er als Seriositätsversprechen daher, dem man die Regierungsgeschäfte weiter anvertrauen soll.
Rückhalt
Wüst war nie ein Parteidarling und ist vor allem wegen seines Landtagsmandats (das die NRW-Verfassung vorschreibt) Ministerpräsident geworden, hat sich aber nach dem jähen Absturz Laschets in nur 100 Tagen eine vorläufig unangefochtene Position erarbeitet. Die NRW-CDU setzt auf Geschlossenheit und die Medienpräsenz des Regierungschefs. Gewinnt Wüst, ist er eine künftige Kanzler-Option der Union. Verliert er, ist es vorbei mit der Politik.
Themenfokus
Wüst will möglichst lange als Ministerpräsident wahrgenommen werden und erst spät als Wahlkämpfer. „Wir werden einen kurzen, aber umso intensiveren Wahlkampf nach Ostern machen“, kündigt er an. Offiziell will die CDU die schwarz-gelbe Wunschkoalition fortsetzen, aber dafür ist seit Jahren keine Mehrheit in Sicht. Insgeheim dürfte Wüst deshalb auf Schwarz-Grün hoffen, damit es nicht auch in Düsseldorf zur Ampel kommt. Die traditionell im ländlichen Raum verankerte NRW-CDU dient sich immer offensiver den urban geprägten Grünen als ideale Ergänzung für Klimaschutz als „Versöhnungsprojekt“ an.
Thomas Kutschaty
Leitthema
„Für euch gewinnen wir das Morgen“ ist die Überschrift über dem SPD-Wahlkampf. Dahinter steckt ein ur-sozialdemokratisches Ziel: Gerechtigkeit. „Für uns zählt die Zukunft, nicht die Herkunft“ sagt Kutschaty. Mit vier Kern-Botschaften will er Wählerinnen und Wähler von der SPD überzeugen: bezahlbare Wohnungen, gute Bildung für alle Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, ein Gesundheitssystem, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt sowie die Verwandlung NRWs in ein modernes, klimaschützendes Industrieland.
Inszenierung
Kutschaty inszeniert sich als Gegenentwurf zum Ministerpräsidenten. Der wird als kühler Vertreter einer Elite gesehen. Ein Feind des Mieterschutzes, der sich nicht mal traut, Schule zur „Chefsache“ zu machen, sondern die umstrittene FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer in der Pandemie schalten und walten lässt. Dagegen steht der Anti-Wüst: Ruhrgebiets-Protagonist Kutschaty, der dank seiner Eltern und der SPD-Sozialpolitik den „Bildungsaufstieg“ geschafft hat. Kind eines Eisenbahners und einer Verkäuferin aus Essen-Borbeck, aufgewachsen in einer Mini-Wohnung ohne Kinderzimmer, der als junger Anwalt Mieter verteidigt hat. Einer, der sich um jene kümmert, die für kargen Lohn schuften, Büros putzen, Supermarktregale auffüllen, Pakete und Essen ausliefern. Als er Justizminister war, umgab ihn die Aura eines „Staatsnotars“. Inzwischen zeigt sich Kutschaty mit Frau, Söhnen und Tochter und legt Wert auf seine Arbeiter-Wurzeln.
Im Landtag gibt sich Kutschaty bissig, der digitale Parteitag nahm ihm die Chance, rhetorisch zu glänzen. Nüchtern-sachlich blieb die Rede, im Hintergrund aufgehübscht durch blauen Morgenhimmel, Oberhausens Gasometer und Windräder.
Rückhalt
Die Partei stehe geschlossen „hinter jemandem, der es verdient“, lobte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einem Grußwort. Mit Kutschaty kehre die SPD zurück zu ihrer Kernkompetenz. Als Mit-Wahlkämpfer sendeten Kanzler Olaf Scholz und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer Solidaritätsbekundungen für Kutschaty. „Wahlkampf ist ein Marathon und endet mit einem Schlussspurt“, sagte Dreyer. Bei der Bundestagswahl habe das großartig geklappt. Der Kanzler sagte, NRW brauche „einen Aufbruch“. Kutschaty sei dafür der Richtige.
Themenfokus
Das „Regierungsprogramm“ in Zahlen: 100 000 neue Wohnungen jedes Jahr, 1000 Talentschulen in benachteiligten Quartieren, null Euro Kita-Gebühren, keine Klinikschließung, keine Straßenausbaubeiträge mehr. Ein 30 Milliarden Euro schwerer „Transformationsfonds“ soll als Turbo für den Klima-Umbau der Wirtschaft wirken. Schüler sollen gratis Bus fahren können, die Städte entschuldet und Arbeitnehmer stärker an „Unternehmensgewinnen“ beteiligt werden.