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Neue AusstellungMuseum Ludwig zeigt die Geschichte von Migranten im Rheinland

Lesezeit 4 Minuten
Die Familien Türköz und Üçgüler

Die Familien Türköz und Üçgüler in der ersten gemeinsamen Wohnung im Kölner Agnesviertel.

Köln – Mit einem einzigen Satz brachte Max Frisch 1965 das Drama der Migration auf den Punkt, als er sagte: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Aus der Geschichte der „Gastarbeiter“, die für zwei Jahren kommen und dann wieder gehen sollten, wurde die Geschichte der Migration. Für Deutschland ist sie noch nicht geschrieben, aber im Bild präsentieren sie jetzt die Kuratorinnen Ela Kaçel und Barbara Engelbach mit der Ausstellung „VOR ORT: Fotogeschichten der Migration“ im Museum Ludwig. Hier wird einmal nicht über die Menschen gesprochen, die voller Hoffnung aus Italien, Griechenland und der Türkei nach Deutschland kamen, um sich ein „besseres“ Leben aufzubauen, sondern sie erzählen selbst von sich anhand ihrer privaten Fotografien.

Der Versuch, sich neu zu verorten, war schwierig, wenn man nach der Arbeit in der Fabrik in Baracken und Wohnheimen leben musste. Den Angehörigen in der Heimat schickt man dann ein Foto, auf dem man im neuen Anzug schick wie Marcello Mastroianni auf die Kamera zuging, während im Hintergrund noch die Verschläge der Unterkunft zu sehen waren.

Ein Leben in schlecht ausgestatteten Wohnungen der Kölner Südstadt

Barbara Engelbach erinnert daran, dass man um das Schicksal der Zwangsarbeiter wusste, die während des Krieges noch im öffentlichen Leben der deutschen Städte präsent waren. Nun wurden Menschen aus dem Süden Europas mit Niedriglöhnen abgespeist, und sie besaßen nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen.

Der Türke Ali Kanatli

Der Türke Ali Kanatli (vorne rechts) mit Freunden am Aachener Weiher.

In den 1960er Jahren leben Migranten deshalb etwa in schlecht ausgestatteten Altbauten der Kölner Südstadt. Als diese saniert und damit zu begehrten Adressen des deutschen Mittelstands wurden, fanden sie sich in Wohnquartieren wie dem Kölnberg am Rande der Stadt wieder. All das zeigt die Ausstellung, ebenso wie die Dokumente der ersten Migranten-Streiks bei Ford.

Die Ausstellung liefert Hintergründe, bereitet aber vor allem die Bühne für die private Fotografie. Nur flankierend werden Arbeiten von Chargesheimer oder Candida Höfer mit ihrem Blick für kunstvolle Bildgestaltung gezeigt.

Chrysaugi Diederich

Chrysaugi Diederich mit einer Freundin bei einer Party in Köln um 1965.

In den frühen Amateuraufnahmen sind die Männer mit Kollegen, Freunden oder beim Sport zu sehen. Die Familien konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht nachziehen. Oder Eltern nahmen ein Kind mit nach Deutschland und ließen ein anderes bei den Großeltern im Süden. Solche Risse sollten sich in vielen Familien nie mehr schließen. Es ist interessant, zu beobachten, welches Kinderbild im Wohnzimmer an der Wand hängt und welches auf dem Fernseher steht.

Oftmals wurde bei Ausflügen fotografiert, in Situationen, in denen man guter Laune war. Oder man lichtete sich in den Parks ab. Die Menschen in der Heimat sollten sehen, dass die Entscheidung fortzugehen, kein Fehler war. Der Fotografie als Medium der Selbstermächtigung kommt in dieser Ausstellung zentrale Bedeutung bei. Die Fotos seien „durch viele Hände gegangen, sind immer wieder angefasst worden, sind am Herzen getragen worden“, sagt Barbara Engelbach „Sie sind wie eine Nabelschnur.“

Rahmenprogramm zur Ausstellung

Das Rahmenprogramm zur Ausstellung startet am 24. 6. um 19 Uhr mit einem Vortrag via Zoom von Burcu Dogramaci. „Working Camera: (Gast-) Arbeit und Migration im Blick der Fotografie“ zeigt, wie sich Menschen in fremden Städten verorten.

Am 1. Juli um 19 Uhr zeigt Bengü Kocatürk-Schuster im Gespräch mit Robert Fuchs (DOMID) eine Diaschau ihrer Fotografien unter dem Titel „Migration erinnern: Eine Familiengeschichte in Dias“. Informationen zum Programm gibt es online.

www.museum-ludwig.de

Die Italienerin Asimina Paradissa zeigt sich bei der Arbeit oder lässt sich wie eine Erobererin vor einem Frauenwohnheim aufnehmen. „Ich habe zwar immer fotografiert, aber ich wollte ja auch dabei sein. Damals gab es ja diese ,Selfies’ noch nicht“, erinnert sie sich. Ein wenig lästig war das schon, wie sie sagt: „Da musstest du das immer jemandem zeigen: ,Hier, mach du mal ein Bild.’“

Die Archive des Dokumentationszentrums und Museums über Migration in Deutschland (DOMiD), das sich derzeit noch auf der Venloer Straße befindet, in Zukunft aber in eine ehemalige KHD-Halle in Kalk ziehen wird, liefert einen großen Materialanteil. Mit den Fotografien der Migranten vervollständigt sich nicht alleine das Bild der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Viele Aufnahmen stammen aus Köln und gewähren einen authentischen Blick auf die Stadt. Auch deshalb verbringt man viel Zeit in dieser Schau.

Bis 3. 10. 2021, geöffnet Di bis So 10 – 18 Uhr, Bischofsgartenstr. 1. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 304 S., 25 Euro.