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Ehrung in DüsseldorfToten Hosen bekommen Staatspreis NRW verliehen

Lesezeit 5 Minuten
Campino steht während eines Konzerts auf der Bühne.

Die Toten Hosen um Sänger Campino stehen seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne und haben mehr als 15 Millionen Alben verkauft.

Sechs Gründe, warum Ministerpräsident Wüst in der Band eine würdige neue Staatspreis-Trägerin gefunden hat.

Hendrik Wüst könnte den Staatspreis NRW, die höchste Auszeichnung des Landes, an fast jede und jeden verleihen, die ihm würdig erscheinen. Es ist seit bald 40 Jahren das Privileg des amtierenden Ministerpräsidenten, nach eigenem Gutdünken Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu dekorieren, die herausragende Leistungen erbracht haben und sich irgendwie mit Nordrhein-Westfalen in Verbindung bringen lassen.

Wenn Wüst also am 30. Oktober im Düsseldorfer Apollo Varieté den Punkrock-Stars von den Toten Hosen die Staatspreis-Urkunde aushändigt, würde ein wenig Nostalgie ausreichen. „Alles wird gut“ war 1990 die erste eigene Single, die der damals 15-jährige Hendrik in seinem Jugendzimmer in Rhede auf die Kompaktanlage gelegt hat. So etwas verbindet ein Leben lang.

Höchste Auszeichnung des Landes

Wüst könnte sich auch bloß an der Ironie erfreuen, dass ausgerechnet er, der schon als Schüler in der Jungen Union des konservativen Münsterlandes sozialisiert wurde und seither wenig mehr als die CDU gesehen hat, mit dieser Staatspreis-Verleihung die Verbürgerlichung der einstigen linksalternativen Systemsprenger aus der Punk-Wiege des Ratinger Hofs in Düsseldorf einer besonderen Pointe zutreibt. Oder aber der Ministerpräsident hätte schlicht seine Freude an einem subversiven Ehrungswechsel: Letztes Jahr Angela Merkel, davor Michael Schumacher, jetzt eben die Jungs von der Opel-Gang.

Bei Lichte betrachtet gibt es für den Staatspreis an die Toten Hosen aber tatsächlich „1000 gute Gründe“, um einen der extrem erfolgreichen Songs aus der mehr als 40-jährigen Bandgeschichte zu zitieren. Die vielleicht wichtigsten sechs, die Wüst zu seiner Auswahl bewogen haben könnten, sind diese:

Freundschaft: Im Grunde bedient die Geschichte der Toten Hosen in einer Zeit immer flüchtigerer Beziehungen eine große Sehnsucht nach lebenslanger Freundschaft. Campino und Bassist Andi haben sich mit 14 im Hockeyclub in Mettmann kennengelernt, die Gitarristen Breiti und Kuddel sind ihre Jugendkumpels aus Düsseldorf. Schlagzeuger Vom ersetzte vor einem Vierteljahrhundert den inzwischen verstorbenen Drummer Wölli. Gemeinsam über 60 zu werden, unterschiedliche Persönlichkeiten auszuhalten und zusammen eine Familiengruft auf dem Düsseldorfer Südfriedhof zu reservieren – das schafft keine gecastete Boyband.

Engagement: Die Hosen sind mit mehr als 15 Millionen verkauften Tonträgern, zwölf ersten Plätzen in den Albumcharts und unzähligen Stadion-Tourneen reich geworden. Sie sind heute ein mittelständisches Unternehmen aus Düsseldorf-Flingern, das sich aufs Geldverdienen versteht. Doch die Hosen stellen mit ihrem Vermögen und ihrer Prominenz auch jede Menge Vernünftiges an. Sie engagieren sich in der Flüchtlings- und Entwicklungshilfe, sind unermüdlich im Kampf gegen Rechtsextremismus und unterstützen soziale Projekte. Bei allem kommerziellen Erfolg sind ihre Konzertkarten im Branchenvergleich noch immer erschwinglich. Die totale Live-Verausgabung für die Fans ist immer ihr Kerngeschäft geblieben.

Durchhaltevermögen: Die Hosen konnten vor dem ersten großen Erfolg mit „Hier kommt Alex“ jahrelang nicht von ihrer Musik leben. Sie haben sich durchgeschlagen und mehr dem Exzess gefrönt. Bis auf Leadgitarrist Kuddel, der von klein auf mit großem Talent gesegnet war, hatte der Rest der wilden Combo zunächst nicht einmal musikalisch viel drauf. Es gab allein im NRW der 80er Jahre ein Dutzend Bands, denen man den Durchbruch eher zugetraut hätte. Die Hosen haben trotzdem immer weiter gemacht, selbst ohne Ausbildung die eigene Kunst perfektioniert und sich zur erfolgreichsten Rockband Deutschlands entwickelt.

Respekt: Die frühen Jahre der Toten Hosen sind zwar durch Respektlosigkeit, Autoritätsverachtung und Zerstörung geprägt, doch kennzeichnend für sie wurde die Achtung vor anderen Künstlern und Berufsgruppen. Sie spielen gelegentlich gemeinsam mit klassischen Orchestermusikern, behandeln ihre Helfer hinter der Bühne ordentlich und würden nie als Fernsehjuroren über Möchtegern-Superstars urteilen. Musik als Ausdrucksform bleibt für sie etwas sehr Persönliches. Geniale Songs der einstigen Rivalen von den Berliner „Ärzten“ wie „Schrei nach Liebe“ werden heute problemlos bei Konzerten nachgespielt.

Heimat: Die Toten Hosen gehören zu den bekanntesten Düsseldorf-Botschaftern und unterstützen seit Jahrzehnten die Teams von Fortuna und DEG. Trotzdem haftet ihrer Heimatliebe nichts Piefiges an. Dafür sorgen schon die riesige Fan-Basis in Südamerika, der britische Schlagzeuger Vom Ritchie, der in der Eifel komponierende Kuddel und der Halb-Engländer Campino mit seiner pathologischen Liebe zum FC Liverpool. Obwohl fast alles über die Hosen bekannt ist: Homestories aus ihrem Düsseldorfer Leben haben sie nie nötig gehabt.

Inklusion: Die aus bürgerlichen Elternhäusern stammenden Bandmitglieder haben zwar als schrill gekleidete und bunt frisierte Bürgerschreck-Typen Karriere gemacht. Ihr Publikum aber wollten sie immer so annehmen, wie es ist. Alt, jung, reich, arm, spießig, alternativ – völlig egal. Noch heute kann man problemlos seine Kinder mit zum Konzert nehmen und ein Stück zur Seite gehen, wenn Alt-Punks vor der Bühne im „Kreisel“ toben. Den Hosen ist etwas gelungen, was im Showbusiness so schwer ist: in Würde alt zu werden. Sie klingen heute radiotauglicher, ohne sich musikalisch untreu zu werden. Sie haben sogar der Versuchung widerstanden, als alte weiße Männer ihre wohl berühmteste Liedzeile aus dem „Wort zum Sonntag“ von 1986 wahrzumachen: „Ich bin noch keine 60, und ich bin auch nicht nah dran, und erst dann möchte ich erzählen, was früher einmal war.“


Campino kämpft um „Erhalt des Systems“

„Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer – Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik“ heißt das neue Buch von Tote-Hosen-Frontmann Campino (62). Die Basis seines zweiten beim Piper Verklag erschienen Buches bilden seine Vorlesungen als Gast-Professor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Nachträglich hat er sie allerdings deutlich ergänzt – und dabei wird er auch sehr privat.

Campino erläutert, wie er zum Songschreiber geworden ist, welchen Einflüssen er gefolgt ist, was ihn inspiriert hat. Es geht um immerhin 768 Lieder in rund 45 Jahren. Es geht aber auch um die Missklänge der Gegenwart. Die Art und Weise der Auseinandersetzung habe sich verroht und bleibe oft oberflächlich. Und er gesteht sich ein, „dass ich plötzlich doch mehr mit dem sogenannten System zu tun habe, als das früher der Fall war. Es geht darum, dass unsere Gesellschaft für den Erhalt unserer Demokratie kämpfen muss und auch für unser Sozialwesen, das zwar reparaturbedürftig ist, aber vom Prinzip her ja steht. Das alles haben wir hart errungen und dürfen es nicht riskieren.“

Campino liest am 12. November, 19.30 Uhr, bei der lit.Cologne . Die Karten sind schon alle verkauft. (dpa)