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Wohnung gesucht!Und plötzlich ist alles weg – Gespräch mit einer Wohnungslosen

Lesezeit 6 Minuten
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Hedwig K. in ihrem Zimmer im Elisabeth-Fry-Haus

  1. Für den ersten Teil unserer Serie „Wohnung gesucht!“ sprechen wir mit Hedwig K., einer von 8000 Kölnerinnen und Kölnern, die keine feste Wohnung haben.
  2. Sie sagt: Von der Trendwende auf dem Wohnungsmarkt, die Oberbürgermeisterin Reker zuletzt verkündete, ist nichts zu spüren.
  3. Nach 40 Jahren verlor K. zuerst ihren Job als Krankenschwester, dann ihre Wohnung in Mehrheim. Und jetzt?
  4. „Es gibt keine Wohnung für mich.“

Köln – In Hedwig K. Leben hat alles seinen festen Platz – nur sie selbst nicht. Akkurat reihen sich ihre Bücher im Regal ihres Zimmers im Elisabeth-Fry-Haus der Diakonie Michaelshoven, das Bettzeug ist glatt gezogen, die Stifte stehen in einem Becher, daneben findet sich der Locher. Ordnung muss sein, auch wenn K. in dem Haus nur übergangsweise bleiben wollte, als sie 2017 ihren Job und ihre Wohnung verlor.

Seit Dezember 2017 lebt die 59-Jährige in dem Wohnheim für Frauen in Raderthal. K. möchte anonym bleiben, aber sie möchte ihre Geschichte erzählen, sie möchte zeigen, was der überlaufene Wohnungsmarkt in Köln für Menschen wie sie konkret bedeutet. Von der Trendwende auf dem Wohnungsbaumarkt, wie sie Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) zuletzt verkündete, ist in diesen 16 Quadratmetern nichts zu spüren.

Fast die Hälfte der wohnungslosen Kölner ist obdachlos

K. sagt: „Es gibt keine Liste, auf der ich nicht stehe, aber das hilft mir nichts. Es gibt keine Wohnung für mich.“ Auf die Frage, was sie sich von einer neuen Wohnung wünsche, sagt K. drei Worte: „Eine zu finden.“Hedwig K. hat ihre Heimat verloren – und damit ist sie nicht allein.

Rund 8000 Kölner haben keine Wohnung, schätzt der Kölner Mieterverein, 3000 davon sind obdachlos. Eine absolut verlässliche Erhebung liegt nicht vor, weder in Köln, noch in NRW oder Deutschland. Es sind Schätzwerte mit vielen Ungenauigkeiten, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gab die Zahl für 2018 mit 678.000 Menschen an, 41.000 davon auf der Straße.

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Experten zweifeln daran. Susanne Gerull, Professorin mit den Schwerpunkten Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin, sagt: „Wir haben keine verlässliche Zahl, auch die geplante neue Statistik der Bundesregierung wird sie nicht liefern, weil sie nur zählt, wer tatsächlich in Einrichtungen der Wohnungshilfe untergebracht ist. Obdachlose fallen also raus.“

Mit 57 gekündigt, keine Unterstützung vom Amt

Tatsächlich dürfte es eine große Dunkelziffer geben. Wohnungslosigkeit hat etwas mit Scham zu tun, nicht jeder Betroffene meldet sich. Das weiß Hedwig K. Als sie am Abend des 6. Dezember 2017 im Elisabeth-Fry-Haus klingelt, denkt sie: „Tja, das ist dann dein Leben.“ Von ihrem Leben ist nicht mehr viel über, „es passte in einen Koffer und eine Tasche“, sagt sie. Im Februar hatte die gelernte Krankenschwester und Altenpflegerin ihren Job verloren, das erste Mal im Leben, mit 57 sei sie zu alt, habe der neue Chef gesagt.

Expertin für Wohnungslosigkeit im Interview

„Betroffene schämen sich“

Mit Susanne Gerull, Expertin für Wohnungslosigkeit der Alice Salomon Hochschule, sprach Matthias Hendorf.

Frau Gerull, warum können in Deutschland überhaupt Menschen wohnungslos sein?

Susanne Gerull: Da gibt es einerseits die ganz individuellen Geschichten der Betroffenen, in der Regel sind sie aber verknüpft mit strukturellen Bedingungen, beispielsweise der herrschenden Wohnungsnot. Es gibt viele gescheiterte Biografien. Wenn etwa nach einer Trennung jemand anfängt zu trinken, dadurch seinen Job verliert, die Miete nicht mehr zahlen kann und sich nicht traut, aufs Amt zu gehen und sich Hilfe zu holen. Und plötzlich steht er auf der Straße.

Kann es jeden treffen?

Nein, so einfach ist es nicht. Es gibt schon Voraussetzungen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen – etwa, wenn Menschen Armut oder Gewalt in ihrer Kindheit erfahren haben, oder im Heim groß geworden sind.

Gibt es den durchschnittlichen Wohnungslosen?

Das ist schwierig. Aber es gibt bestimmte Wahrscheinlichkeiten, wenn man sich Statistiken anschaut. Demnach ist der durchschnittliche Wohnungslose eher männlich als weiblich, eher mittelalt als sehr alt oder sehr jung und er hat vermutlich einen nicht so hohen Bildungsstand. Das heißt aber nicht, dass jemand mit Studienabschluss nicht wohnungslos werden kann, es kann durchaus auch die Hochschullehrerin sein, die psychisch erkrankt und keine neue Wohnung findet.

Je länger jemand wohnungslos ist, desto schwieriger wird es, eine Wohnung zu finden?

Ja, die Vermieter wollen ein sicheres Einkommen sehen. Ohne Wohnung, Job und möglicherweise mit negativer Schufa-Auskunft hat man keine Chance.

Was macht Wohnungslosigkeit mit Menschen?

Es ist die existenziellste Armutserfahrung. Die Menschen schämen sich unglaublich. Ganz oft gibt es wohnungslose Männer, die den Kontakt zu ihren Kindern abbrechen, weil sie sich schämen und weil die Gesellschaft ihnen mitteilt: Du bist schuld. Du hast einen Fehler gemacht. Du hast vermutlich getrunken und deine Frau geschlagen.

K. geht zum Amt, will Unterstützung, ihrer Aussage nach bekommt sie zunächst nichts, die Jobsuche bleibt ergebnislos. Irgendwann erhält sie die Räumungsklage des Vermieters, sie kann die Miete nicht mehr zahlen. Damals wohnt sie in Merheim auf 89 Quadratmetern, zwei Zimmer mit Garten. Anfangs lebt sie dort mit ihrer Mutter, die später stirbt, K. bleibt, „ich konnte mir die Wohnung auch leisten – bis zu dem Moment, als die Arbeit weg war“.

Elisabeth-Fry-Haus als Anlaufstelle für Frauen

Am 21. Oktober 2017 lässt der Vermieter ihre Wohnung räumen, K. erinnert sich noch an das Datum, obwohl sie schon in einer Klinik ist, fix und fertig mit den Nerven, weil Strom und Heizung abgestellt sind, erzählt sie heute. Sie verkraftet es nicht, den Job zu verlieren, ihr über Jahre aufgebautes Selbstbild wackelt, sie zweifelt am Sinn des Lebens. Wohnungslos? Sie? Nach 40 Jahren Arbeit? Über ihre alte Wohnung sagt sie: „Da geht ein Stück Leben weg, für das ich geschuftet habe.“

In der Klinik päppeln die Ärzte sie auf, eine Sozialarbeiterin begleitet sie zum Amt, plötzlich geht alles ganz schnell mit dem Geld, sie erhält Unterstützung, sagt sie. Ob sie Fehler gemacht hat? K. sagt: „Ich würde heute vielleicht früher jemanden mitnehmen, aber würde, hätte, könnte ist ohnehin zu spät.“

Trotz Wohnberechtigungsschein kaum eine Chance

Nach einigen Wochen fängt sie an, nach Wohnheimen zu suchen – und hat Glück, im Elisabeth-Fry-Haus ist zufällig etwas frei. Drei Tage dürfen Frauen im Normalfall bleiben, höchstens zehn, letztlich kann sie aber zwei Jahre bleiben. Dieser Zeitraum läuft bald aus, sie rechnet mit einer sechsmonatigen Verlängerung, der Landschaftsverband Rheinland finanziert das Haus teils. Doch spätestens danach will K. raus aus dem Wohnheim, rein in eine neue Wohnung.

Zwar sagt sie unter Tränen über das Wohnheim: „Ich habe das hier immer als Pflaster auf einer sehr verwundeten Seele gesehen.“ Aber trotzdem will sie ihr eigenes Zuhause. Mittlerweile ist sie erwerbsunfähig, Kopf und Körper machen nicht mehr mit, sie hat einen Wohnberechtigungsschein der zweithöchsten Stufe. Doch das hilft ihr nichts, die Stadtverwaltung sagt: „Insbesondere benachteiligten Personengruppen bleibt der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum nahezu verschlossen.“ K. ist eine von ihnen.

Wohnungslose Menschen haben keine Lobby

Auch dass der Staat ihre Miete zahlen würde, ist ein Nachteil. „Sobald der Satz fällt, das Amt zahlt, ist die Wohnung weg“, sagt sie. „Wir melden uns“, hört sie häufig – und hört nie was, der Klassiker. Gerull sagt: „Es klingt vielleicht zynisch: Aber wir haben zu wenige wohnungslose Menschen, sie sind kein sichtbares Problem für die Politik. Sie haben keine Lobby. Wohnungslose Menschen sind oft eingeschüchtert, fühlen sich wertlos und denken, sie liegen dem Staat auf der Tasche und hätten ihre Situation selbst verschuldet.“

Die Wohnungslosigkeit hat K. verändert, man müsse aufpassen, nicht zu verbittern. „Manchmal denke ich, wofür habe ich ein Leben lang geschuftet.“ Sie würde heute vieles anders machen, nicht immer nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Irgendwann sagt Hedwig K. doch, was sie will: „Ich will keinen Palast, kein Schloss, das brauch’ ich alles nicht. Ich will ein Dach über dem Kopf, eine Haustür, die ich auf- und zuschließen kann und sagen kann: meins.“