Start wohl in Spielzeit 24/25Wie die Kölner Bühnen zum Milliardengrab wurden
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Köln – Zwischen rund zwei und drei Millionen Euro kostet die Sanierung der Bühnen am Offenbachplatz. Jeden Monat. Mittlerweile sowas wie Normalzustand in Köln. Aber wie konnte es so weit kommen? Wie konnte die Stadt die Sanierung von Oper und Schauspiel derart vermurksen? Eine Analyse.
Der Plan
Oper und Schauspiel sind um die Jahrtausendwende marode, das ist lange bekannt, doch 2004 ist klar: Es eilt. In einer Studie heißt es: „Über die nächsten zwei Jahre hinaus droht eine teilweise oder vollständige Schließung, da weder Betreiber noch Aufsichtsbehörden die Verantwortung übernehmen können.“ Sowohl Schauspiel als auch Oper sind Denkmäler, die Frage lautet: Abbruch und unbelasteter Neubau oder Sanierung im Bestand mit allen Komplikationen? Schließlich muss in die Nachkriegsgebäude neue Technik rein. Geht das? Oder soll die Oper nicht doch ganz woanders gebaut werden, etwa auf der Deutzer Rheinwerft, wie es zeitweise diskutiert wird? Nein, heißt es am Ende, die Bühnen bleiben am Offenbachplatz.
Chronologie und Prozesse
Chronologie
2/2006 Ratsbeschluss: Architekturwettbewerb zur Sanierung der denkmalgeschützten Opernhaus (1957 eröffnet) sowie Neubau Schauspielhaus (1962)
4/2007 Der Rat beschließt Sanierungsbudget von 230 Millionen Euro
5/2008 Die Entscheidung ist gefallen: Architekten sollen ein siebengeschossiges Schauspielhaus, Studiobühne und Kinderoper neu bauen. Die Werkstätten sollen unter die Erde, das alte Schauspielhaus abgebrochen werden
6/2009 Kostenschätzung ergibt 364 Millionen Euro
12/2009 Rat beschließt abgespeckte Variante für 295 Millionen Euro (unter anderem ohne Werkstatt)
2/2010 Bürgerinitiative will Schauspielhaus erhalten
4/2010 Stadtrat unterstützt Bürgerbegehren und gibt neue Machbarkeitsstudie in Auftrag
10/2010 Der Rat winkt die sogenannte Variante V6 winkt der Rat durch3/2011 V6 bleibt bestehen, der Stadtrat beschließt ein Budget von 253 Millionen Euro
6/2012 Der letzte Vorhang am Offenbachplatz fällt, die Bauarbeiten beginnen
10/2013 Grundsteinlegung
6/2014 Richtfest
7/2015 Der Crash: Die Stadt muss bekannt geben, dass es nichts wird mit der Eröffnung am 7. November, es gibt gravierende Probleme mit unter anderem Lüftung. Die Stadt kündigt im November dem Planungsbüro Deerns, Gerichtsstreitigkeiten dauern bis heute an. Eine neue Kostenschätzung geht von 404 bis 460 Millionen Euro aus.
5/2016 Bernd Streitberger kommt als Sanierungschef, die Kölner Bühnen übernehmen die Projektleitung von der städtischen Gebäudewirtschaft. Streitberger hatte die Bühnen als früherer Baudezernent mit auf den Weg gebracht
9/2016 Das Kleine Haus eröffnet am Offenbachplatz
7/2017 Erneut schlimme Zahlen: Streitberger geht von 545 bis 570 Millionen Euro Kosten aus, die Häuser sind nicht vor 4. Quartal 2022 fertig
7/2019 Es wird nicht besser: Nun soll es das zweite Quartal 2023 sein, Kosten: 554 bis 571 Millionen Euro
9/2019 Auch Deerns-Nachfolger Innius arbeitet fehlerhaft, die Bühnen geben bekannt: die Finanzierung (Zinsen) liegen bei rund 245 Millionen Euro, die Gesamtkosten demnach bei bis zu 816 Millionen Euro
7/2020 Es bleiben Probleme: Die Rundschau schreibt „Platzt der Eröffnungstermin?“ Streitberger geht im zweiten Halbjahr 2020 nun von einer Fertigstellung im 3. Quartal 2023 aus
12/2020 Die fünf ausführenden Firmen für die Innius-Pläne sind vergeben, aber teurer, insgesamt steht das Projekt nun bei bis zu 899 Millionen Euro .
Die Prozesse rund um die Sanierung
Zwei Verfahren laufen aktuell noch laut einer Gerichtssprecherin vor dem Landgericht Köln. Nummer eins: Die Beweissicherung der Baumängel, die zeigen soll, für wie viele das Planungsbüro Deerns verantwortlich ist . Die Stadt hatte Deerns 2015 gekündigt. Zunächst hatte Deerns 2017 dieses Verfahren vor dem Landgericht beantragt, 2019 beantragten die Bühnen ebenfalls ein Beweissicherungsverfahren. Es geht um insgesamt mehr als rund 8000 Mängel, für die die Bühnen Deerns verantwortlich machen.
Zwar war im Januar 2020 erstmals ein neutraler Gutachter auf der Baustelle, doch die Gerichtssprecherin teilte mit, dass Corona weitere Termine verhindert hatte. Ab Februar soll der Experte sich an neun Terminen anschauen, welche Mängel es gibt und wer dafür verantwortlich ist. Auf das Gutachten folgt die Entscheidung des Gerichts. Wann das sein wird, ist laut Sprecherin offen.
Das zweite Verfahren geht um Schadenersatz und Honorare: Deerns klagt laut Gerichtssprecherin auf 3,158 Millionen Euro, die Stadt erwiderte die Klage und forderte 29 Millionen Euro, unter anderem wegen Schadenersatz.
Im Jahr 2019 hat sich wie berichtet der Prozess um die Kündigung selbst erledigt. Das Landgericht hatte geurteilt, dass die Stadt Deerns kündigen durfte wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses. Es ließ aber offen, wer für die Baumängel verantwortlich ist. Dagegen wehrte sich Deerns vor dem Oberlandesgericht, das ist mittlerweile aber für erledigt erklärt worden. (mhe)
Zunächst folgt ein Wettbewerb für ein neues Schauspielhaus, der Siegerentwurf stößt 2008 aber nicht nur auf Liebesbekundungen. Als ein Jahr später das Archiv einstürzt und Menschen sterben, schwindet das Vertrauen der Bürger in ihre Stadt und ihre Baufertigkeiten, 2010 fordert eine Initiative den Erhalt des Schauspiels. Schauspielhaus-Chefin Karin Beier schwenkt auf deren Linie, der Stadtrat ebenfalls. Es ist eine heiße Phase, Opernintendant Uwe Eric Laufenberg und Beier zanken sich öffentlich, schreiben offene Briefe. Denn die Technik von Oper und Schauspielhaus ist verbunden, sie nacheinander zu sanieren, ist damit unmöglich. Beier will sich dazu nicht mehr äußern, Laufenberg sagt heute: „Ich kreide mir an, nicht taktisch geschickter vorgegangen zu sein, um für den voneinander unabhängigen Neubau des Schauspiels und die Opernsanierung zu werben.“
Im Oktober 2010 winkt der Rat Variante V6 durch, 2011 bestätigt er das. Das alte Schauspielhaus bleibt und wird ebenso saniert wie die Oper, neu gebaut werden Kleines Haus und Kinderoper. Heute liest es sich fast wie ein Witz, was die Verwaltung im Papier für den Rat schreibt: „Bauzeit: 06/2012 bis 06/2015.“ Die Verantwortlichen sprechen von einem sportlichen Zeitplan, nichts dürfe schief gehen. Doch es geht so ziemlich alles schief, was schief gehen kann, nachdem am 7. Juni 2012 zum letzten Mal „Die Meistersinger von Nürnberg“ aufgeführt wird und elf Tage später die Sanierung startet. Die Rundschau zählt ab sofort die Tage seit dem Beginn mit einem eigenen Logo.
Die Arbeiten
Nur vier Monate nach Baubeginn sind im Oktober 2012 schon 15 von 20 Themen auf der Baustelle verzögert, bei zehn davon droht ein hohes Risiko, die Termine zur Fertigstellung nicht zu packen. Krisengespräche mit den Firmen finden regelmäßig statt, trotzdem verkündet der damalige Sprecher, der Bauleiter habe ihm versichert, „da werden Paniktrompeten geblasen“. Oder vielleicht einfach die Wahrheit gesagt.
Für die Planung der Haustechnik ist Deerns zuständig, dabei handelt es sich um Elektrotechnik, Lüftung, Feuerlöschanlagen, Kälte- und Wärmeversorgung. Der frühere Deerns-Geschäftsführer Lars Schumacher leitet heute eine andere Firma, berät Deerns aber noch bei der Bühnensanierung, er sagt heute: „Schon Anfang 2012 haben wir nach Stichproben im Haus darauf hingewiesen, dass die alten Pläne nichts mit der Realität zu tun haben und wir eine Taskforce für solche Probleme brauchen. Doch dazu kam es nicht.“
Der nächste Einschlag kommt im Januar 2014 , der Puffer von 20 Millionen Euro ist verbraucht, laut nicht-öffentlicher Unterlagen, die der Rundschau vorliegen, bewerten die Beteiligten den avisierten „Premierentermin als äußert kritisch“ – knapp zwei Jahre vor der Eröffnung. Doch es geht weiter, im Juni 2014 folgt das Richtfest, die Intendanten prosten sich zu, alles scheint zu laufen – der Sprecher kündigt an, Verzögerungen notfalls mit 24-Stunden-Schichten aufzuholen. Das könnte mehr Geld kosten, „das ist aber nichts, was solche Gebäude aus dem Finanzplan bringt“. Drei Monate später: „Es darf jetzt aber nichts mehr passieren.“
Ende 2014 erwägt die Stadt laut der Unterlagen einen Baustopp, um sauber zu planen – doch das hätte den Eröffnungstermin unmöglich gemacht. Im Mai werden die Arbeiten an Kinderoper und Kleinem Haus zurückgestellt, es soll unbedingt mit der Eröffnung im November klappen, die Stadt verschickt Einladungen. Sie werden nie gebraucht.
Der Crash
Es ist der 22. Juli 2015, es ist der Tag, an dem die Kölner Stadtspitze einsieht, das all das Taktieren nichts mehr nützt und die Stadt öffentlich bekennen muss: Oper und Schauspiel können am 7. November nicht öffnen. Es ist an der Zeit, sich ehrlich zu machen und Realität anstatt von Hoffnung walten zu lassen. Also lädt die Stadt zur Pressekonferenz für tags darauf ein. Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach sagt einen Satz, der das Bühnen-Debakel gut veranschaulicht und sie auf alle Zeit verfolgen wird: „Ich habe hier nicht den Oberverantwortungs-Hut auf.“
Es ist ein Satz, der dokumentiert, wie die Stadt mit diesem Debakel umgeht: Keiner will so richtig schuld sein. Es ist auch der Tag, an dem die Stadt ihre Taktik für gescheitert erklärt. Mehr Bauarbeiter, um schneller voranzukommen, haben zu mehr Problemen geführt. Ein Irrsinn, teuer dazu. Die städtische Gebäudewirtschaft leitet das Projekt, ihre Chefin Petra Rinnenburger sagt: „Dadurch, dass wir soviel Druck in die Baustelle gegeben haben, mussten die Firmen teilweise in Parallelität arbeiten, die sonst nacheinander gearbeitet hätten.“ Der damalige Stadtentwicklungsdezernent Franz-Josef Höing sagt: „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.“ In dem alten Haus ist kaum Platz für all die Technik. Höing sagt: „Wir müssen jetzt aufräumen auf der Baustelle (...).“ Nur: Das ist bei den Bühnen nicht anders als im Kinderzimmer: Wer aufräumen muss, hat vorher geschlampt.
Danach geht die Firma Imtech insolvent, sie ist für den Strom zuständig, dann kommt Monate später, am 10. November, der nächste Knall: Die Stadt kündigt Deerns fristlos, die Firma sei „wesentlich verantwortlich für das Scheitern der Wiedereröffnung“. Deerns habe fehlerhaft geplant und ausgeführt, die Firma sieht sich als Bauernopfer und klagt (siehe Info-Text). Auch Teile des Rates misstrauen der Stadt und ihrer Argumentation. Die Sanierung ist ein Fall für die Gerichte – und wird es noch länger bleiben. Die neue Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) erbt das Projekt, verspricht Transparenz und sagt: Der Zeitpunkt ist vorbei, die Sanierung abzubrechen. Oper (zunächst blaues Zelt am Dom, dann Staatenhaus) und Schauspiel (Depot) müssen länger ins Interim, die Baukosten überschreiten die 400-Millionen-Euro-Grenze. Köln ist bundesweit blamiert.
Der Neustart
Anfang Mai 2016 ist der neue Sanierungschef da: Bernd Streitberger, jener Mann, der als Baudezernent einige Jahre zuvor den Termin am 7. November 2015 gestützt hatte. Die Stadt nimmt der Gebäudewirtschaft das Projekt weg, überträgt es Streitberger, vergrößert sein Team, stärkt die Bauleitung und handelt nach dem Prinzip „erst planen, dann bauen“. Die Botschaft: Wir fangen quasi von vorne an, es wird zwar weh tun, aber ab jetzt geht es aufwärts.
Zunächst braucht es einen Nachfolger für Deerns, letztlich heuert die Firma Innius an, sie rollt die Pläne neu auf, guckt, was sich von der Haustechnik übernehmen lässt oder was raus muss. Laut den Bühnen-Chefs entspricht es „über weite Strecke einer Neuplanung“, teils müssen demnach Schächte durch das ganze Opernhaus neu gebaut werden, um all die Leitungen unterzubringen. Im Sommer 2017 verkündet Streitberger: Bis Ende 2022 sind wir fertig, es kann bis zu 570 Millionen Euro kosten.
Nach dem Debakel im Sommer 2015 hatte die Kölner Politik nach Aufklärung geschrien, das Motto: Wenn wir Millionen Euro nachschießen müssen, sollte die Stadt bitteschön Fehler und Verantwortlichkeiten benennen, um sie nicht noch mal zu begehen. 2017 liegt das Gutachten vor, doch die Analyse der Kanzlei „Hecker Werner Himmelreich“ (HWH) passt sich dem Niveau der Sanierung an, fokussiert sich größtenteils auf Firmen wie Deerns und ihre Fehler, etwa viel zu wenige Bauleiter und die Kollision von Leitungen. Sonst nennt es „Binsenweisheiten“, wie es ein früherer hochrangiger Stadtmitarbeiter heute sagt, die schon die Reformkommission Großbauprojekte der Bundesregierung zuvor erarbeitet hat.
Vor allem hat das Gutachten ein Problem: Es ist nicht unabhängig. Denn die Stadt hatte Deerns im November auf Anraten ihrer Anwälte gekündigt, das betonte sie seinerzeit. Auf die Frage, ob die Kanzlei „HWH“ dazu zählte, antworten die Bühnen heute nur knapp: „Ja.“ Im Klartext: Die Kanzlei, die der Stadt zur Kündigung von Deerns geraten hat, benennt Deerns in einer vermeintlich neutralen Analyse als einen der Hauptverantwortlichen. Die Kanzlei betreut die Sanierung schon seit Jahren, die Stadt bezahlt sie, einen Interessenskonflikt verneint die Stadt, andere wie der kulturpolitische Sprecher der FDP, Ulrich Wackerhagen, sehen das anders: „Jeder, der an der Sanierung beteiligt ist, ist befangen und kann kein neutrales Gutachten erstellen.“
Allerdings: Der Rechnungsprüfungsausschuss des Rates ist einverstanden mit dem Auftrag für HWH. „Da sitzen nicht unsere besten Leute drin“, heißt es aus einer Fraktion. Aufklärung auf kölsche Art. Zwar mosern einige Fraktionen, doch ein neues Gutachten kommt nicht. Lerneffekt? Geht so.
Das Finale
Fertig. Irgendwie. Glanz oder Glamour, Markenzeichen großer Spielstätten, haben bei der Bühnensanierung aktuell nichts verloren. Vielmehr ist es ein Abklappern von neuen Terminen und Kosten. 2017 hat Streitberger Zahlen präsentiert, 2019 auch und jetzt Anfang 2021 – die Jahre ziehen vorbei. Auch Innius arbeitet laut Streitberger teils fehlerhaft, am Jahresende haben sie die Pläne vorgelegt, die Firmen für die Ausführung sind gefunden, das erleichtert die Bühnen, kostet aber statt 29 Millionen Euro wohl 44 bis 45 Millionen Euro.
Tatsächlich sieht Streitbergers aktuell Prognose eine Schlüsselübergabe im dritten Quartal 2023 vor, also zwischen Juni und September. Aber wie realistisch ist eine mehr oder weniger direkt anschließende Eröffnung? Üblicherweise müssen solche großen Gebäude über Monate eingestellt werden. Doch laut Bühnen-Chefs ist die Bühnentechnik schon zu 90 Prozent fertig, „die Sparten können also ab dem ersten Tag auf allen vier Bühnen uneingeschränkt proben, die neue Bühnentechnik wird beherrscht, mögliche technischen Kinderkrankheiten sind behoben“.
Für die Eröffnungsplanung sind laut Streitberger und Co. die Kultursparten zuständig, doch dort gibt es noch keine Pläne. Aus der Verwaltung ist zu hören: „2024 ist realistisch.“ Schlimmstenfalls liegen die reinen Sanierungskosten bei 612 Millionen Euro, hinzu kommen 287 Millionen Euro für die Finanzierung über 40 Jahre. Der frühere Opernintendant Laufenberg sagt: „Aus heutiger Sicht muss ich zugeben, dass ein Neubau wahrscheinlich besser gewesen wäre. Die alten Häuser sind diese immensen Summen eigentlich nicht wert.“ Illusionen macht sich kaum noch jemand in der Stadt, ein Beteiligter sagt: „Das Ding ist komplett durch, das kann man nicht mehr retten. Es geht nur noch darum, es zu Ende zu bringen.“