„Mit Verboten kommen wir nicht weiter“IHK-Präsidentin Nicole Grünewald im Gespräch
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Köln – Wir haben Kommunalwahlen hinter uns. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Wahlergebnis von Köln gehört haben?Grünewald: Das wird eine spannende Herausforderung für die Wirtschaft in den kommenden fünf Jahren.Wegen der stärkeren Position der Grünen?Ja. Bei den Grünen taucht die Wirtschaft im Wahlprogramm nicht so häufig auf. Wir sind jetzt im Dialog und werden den intensivieren.
Was sind für Sie die Knackpunkte?
Ich vermisse zum einen ein intelligentes Mobilitätskonzept. Auch bei einer autofreien Innenstadt müssen Menschen ohne Probleme in die Innenstadt kommen können. Zu einer wachsenden Stadt gehört Gewerbe und dafür braucht man Flächen. Viele Projekte, die für die Wirtschaft gut gewesen wären, wie die Ost-West-Achse, die Fusion der Kliniken und eine Teil-Privatisierung der Wirtschaftsförderung, sind in der Vergangenheit leider häufig am Veto der Grünen gescheitert.
Müssen sich nicht beide Seiten bewegen, IHK und Grüne?
Natürlich beobachten wir einen Sinneswandel bei unseren Mitgliedsunternehmen, die etwa den Klimawandel als sehr wichtiges Zukunftsthema erkannt haben. In der jetzigen Krise können Unternehmen aber keine weiteren Hemmnisse gebrauchen. Mit Verboten werden wir nicht weiter kommen, wir müssen partnerschaftlich auf Augenhöhe Lösungen erarbeiten!
Ein Dialog bei der Ost-West-Achse der U-Bahn führt nicht zwingend zum Ziel.
Alle Parteien haben mir gesagt, dass sie weg wollen vom Fraktionsdenken und der Parteipolitik und dass es mehr um die Sache gehen soll. Da werden wir sie beim Wort nehmen. Wir sind für eine Stärkung des ÖPNV, wir sind auch für Verbesserungen beim Radverkehr, man muss aber auch noch mit dem Auto in die Stadt kommen. Mit dem Verkehr soll sich innerhalb der IHK künftig ein neuer Ausschuss beschäftigen.
Was soll der genau machen?
Bislang haben wir Branchenausschüsse und möchten nun zusätzlich, wenn die Vollversammlung zustimmt, auch Querschnittsausschüsse, etwa einen Mobilitäts-, einen Digitalisierungs-, einen Umwelt & Energie- oder einen Stadtentwicklungsausschuss. Durch die Querschnittsauschüsse wollen wir schnell sprachfähig werden zu den relevanten Themen. Sie sollen unsere politische Arbeit befeuern.
Wie sieht denn die Lage der Unternehmen in der Region aus?
Die ist sehr unterschiedlich. Wir haben große Probleme in der Kreativwirtschaft. Die Hälfte der Unternehmen sagt, dass ihre Geschäfte still stehen. Jedes vierte sieht sich von der Insolvenz bedroht. Der Einzelhandel hat es schwer, auch weil Einkaufen mit Maske nicht wirklich Spaß macht, Gastronomie und Hotellerie leiden und viele Autozulieferer in der Region ebenfalls..
Braucht es weitere Hilfen?
Ganze Branchen sind unverschuldet in die Krise geraten. Die sollte der Staat unterstützen, und zwar mit echten Zuschüssen. Wenn etwa die Kreativitäts- und die Veranstaltungswirtschaft oder andere Branchen in die Pleite getrieben werden, lassen sie sich nach der Krise nicht schnell genug wieder aufbauen. Das wäre im Zweifel teurer, als jetzt zu unterstützen. Wichtig ist, dass ein zweiter Lockdown vermieden wird.
Auch auf der Kölner Hohestraße und der Schildergasse gibt es Leerstand. Was muss passieren, dass diese Straßen wieder florieren?
Wir brauchen ein schlüssiges Einzelhandelskonzept, und wir brauchen eine Vision für die Innenstadt. Dazu gehört auf jeden Fall eine hohe Aufenthaltsqualität. Erfolgreiche Metropolen punkten außerdem mit Sicherheit und Sauberkeit sowie mit Besonderheiten wie Geschäften, die es nicht in hundert anderen Städten gibt. Der neue Stadtentwicklungsausschuss der IHK wird sich mit der Frage beschäftigen, wie die Stadt von morgen aussieht.
Wer muss das anstoßen?
Letztlich ist das eine gemeinsame Aufgabe, bei der selbstverständlich die Politik und Verwaltung gefordert sind. Wir werden Vorschläge unterbreiten und sind eng mit der Wirtschaftsförderung der Stadt im Austausch. Wir hatten zuletzt auch gute Gespräche mit dem DGB und wollen stärker mit der Handwerkskammer zusammenarbeiten. In Köln ist in den letzten fünf Jahren zu wenig Wirtschaftspolitik gemacht worden. Die Wirtschaft muss wieder den Stellenwert bekommen, den sie verdient hat. Dazu würden wir uns auch gerne mit den Arbeitgebern enger zusammenschließen.
In der Vollversammlung ist die Industrie nicht stark vertreten, wie auch Ford-Werke-Chef Gunar Herrmann zuletzt angemerkt hat.
Der Wähler hat entschieden, wer in die Vollversammlung kommt. Es stimmt, dass nicht so viele Großunternehmen vertreten sind wie in der letzten Vollversammlung. Es haben sich aber auch nicht so viele Großunternehmen zur Wahl gestellt. Da wir nach Wahlgruppen wählen, ist die Industrie proportional vertreten, aber eben nicht mit sehr großen Unternehmen. Wir haben ja die Möglichkeit der Kooptation, die wir im kommenden Jahr auch nutzen wollen. Dieser Zuwahl sind aber enge rechtliche Grenzen gesetzt. Die großen Unternehmen sollen auch in den Querschnittsausschüssen vertreten sein und zeigen dazu bereits jetzt viel Bereitschaft. Die Stimmung in der Vollversammlung war gelegentlich aufgeladen.
Wie ist sie derzeit?
In der vorletzten Sitzung ging es durchaus kontrovers zu, in der letzten waren die Beschlüsse einstimmig, sogar ohne Enthaltung. Generell strebe ich in der Vollversammlung breite Mehrheiten an und nicht mehr so knappe wie in der Vergangenheit. In der letzten Sitzung ging es um politische Arbeit. In der anstehenden Sitzung geht es etwa um den Jahresabschluss für 2019. Ein Testat dafür gibt es nur unter der Auflage, dass wir den Ankauf des Gebäudes in Köln-Mülheim noch einmal aufmachen. Dabei geht es nicht nur um die Gebäude in der Innenstadt und in Mülheim, sondern wir müssen überlegen, welchen Flächenbedarf wir haben, ob wir Veranstaltungen durchführen wollen, wie wir erreichbar sein wollen. Das alles müssen wir diskutieren und sehen, wie das zu unseren beiden Immobilien passt. Dabei kann auch herauskommen, dass das zu keiner unserer beiden Immobilien passt.
Damit verzögert sich der Prozess
Ja, mit viel Tempo können wir Entscheidungen in diesem Jahr treffen, sonst Anfang nächsten Jahres.
Ist Mülheim noch im Rennen?
Für Mülheim spricht, dass wir es gekauft haben. Gegen Mülheim spricht, dass uns dort Flächen für Veranstaltungen fehlen. In der Corona-Krise waren wir eine der wenigen Institutionen, die Veranstaltungen durchführen konnten, weil wir im alten Kammergebäude Platz haben. Ein großer Vorteil ist auch die Lage in der Innenstadt. Zu klären ist, ob wir als IHK Verwaltung sein wollen oder auch Kommunikator und Treffpunkt. Wie das ausgeht, weiß ich nicht.
Sie haben sich durchaus als Anhänger des alten Gebäudes gezeigt.
Ja. Ich kann mir vorstellen, da zu bleiben. Ich kann mir aber auch ein Haus der Wirtschaft vorstellen, wo viele Dinge unter einem Dach geschehen könnten, vielleicht mit Wirtschaftsförderung, Arbeitgebern und der Handwerkskammer zusammen.
Was macht das Verfahren zur Findung eines neuen Hauptgeschäftsführer?
Wie eine Behörde müssen wir derzeit alles ausschreiben. Das kostet Zeit. Zurzeit läuft eine bundesweite Ausschreibung für eine Personalberatung. Voraussichtlich ab Mitte Oktober kann diese dann mit der Kandidatensuche beginnen. Dies kann schnell gehen. Wir wissen, wen wir wollen: Jemand mit klarer Erfahrung auf dem Gebiet, also aus einer IHK oder Verbänden, der oder die auf dem politischen Terrain zu Hause ist. Es gibt Signale aus der Kammerlandschaft, dass es Persönlichkeiten gibt, die sich für die Stelle interessieren, und wir haben auch einen Bewerber aus dem eigenen Haus, was ich persönlich sehr gut finde. Der Posten wird jedoch wohl nicht mehr so hoch dotiert sein wie zuletzt.
Wie viel Geld müssen Sie denn sparen in der Corona-Krise?
Eine Arbeitsgemeinschaft aller IHKs hat verschiedene Szenarien aufgestellt. Die gehen von zehn Prozent weniger Einnahmen über 20 bis zu 30 Prozent. Wir haben in diesem Jahr Glück gehabt, dadurch dass wir bereits im Januar und Februar die meisten Mitgliedsbeiträge veranlagt haben. Im nächsten Jahr kann uns das aber umso härter treffen. Ich bin ja zur Wahl angetreten mit dem Ziel, die Beiträge zu senken. Das wird jetzt natürlich extrem sportlich in den nächsten Jahren. Wir optimieren schon Kosten, aber wir haben auch gesetzliche Aufgaben, beispielsweise in der Aus- und Weiterbildung. Wir wollen auch weiter eine Flächenkammer sein und brauchen die Geschäftsstellen in der Region. Gummersbach ist etwa anders als Köln, da sollte man nicht alles zentral steuern. Und auch die Anliegen des Rheinischen Reviers sind besonders, da müssen wir als IHK vor Ort sein und die Region mit Köln noch enger verzahnen.