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Kölns OB Henriette Reker im Interview„Als ich antrat, dachte ich, ich wüsste, wie viel in Köln im Argen liegt“

Lesezeit 6 Minuten
An einer Hauswand ist ein überdimensionales Bild von Henriette Reker aufgemalt.

Immer noch da: Für den Wahlkampf 2020 hat sich Henriette Reker überdimensional auf eine Hauswand an der Severinstraße porträtieren lassen. Das Motto damals lautete: „Gut für Köln“.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker über das Schulplatzdesaster, Kulturbaustellen und was sie in den letzten zwei Jahren ihrer Amtszeit zu Ende bringen will

Frau Reker, es ist Halbzeit für ihre zweite und letzte Amtszeit. Sie haben immer wieder bemängelt, dass ihre Arbeit oft zu negativ dargestellt wird. Fühlen Sie sich nicht richtig gewürdigt, in dem was Sie als Oberbürgermeisterin für Köln tun?

Nein. Mir ist klar, dass man immer zweimal gewogen wird. Einmal während des Amtes und einmal hinterher. Zu so einem Amt gehört Kritik. Immer wenn sie konstruktiv ist und insbesondere wenn sie von Menschen kommt, die sich an der Stadt beteiligen, nehme ich sie ernst.

Besonders viel Kritik gibt es im Moment beim Thema Schulplatzvergabe. Der Rat hat das breit diskutiert. Viele haben erwartet, dass Sie auch das Wort ergreifen. Das haben Sie nicht getan. Warum nicht?

Als ich Oberbürgermeisterin wurde, habe ich im Schulbau eine desaströse Situation vorgefunden. Ich habe von Anfang an den Fokus darauf gelegt, Schulplätze zu schaffen. Als Beigeordnete für Soziales wusste ich von den Problemen. Aber keiner von den damals Verantwortlichen hat sich im ausreichenden Maße darum gekümmert.

Und dann kamen Sie?

Ich habe dafür gesorgt, dass eine Prioritätenliste und erfolgreiche Maßnahmenprogramme aufgestellt wurden. Wenn man Dinge nicht alleine erledigen kann, wie man sie zu erledigen hat – es gibt eine Schulpflicht, die Schulen müssen also zur Verfügung stehen –, ist jemand zu beauftragen, der sie erledigt. Jetzt bauen General- und Totalunternehmer Schulen für uns.

Für viele Eltern ist die Situation aber immer noch dramatisch. Manche überlegen, aus der Stadt zu ziehen. Muss da von der Stadt, von Ihnen, nicht einfach mal eine Entschuldigung kommen?

Ich weiß aus vielen Gesprächen mit betroffenen Familien, wie belastend die Situation für sie und die Kinder, die keinen Platz an ihrer Wunschschule bekommen, ist. Natürlich tut mir das sehr leid. Es ist auch wirklich eine unerträgliche Situation, wenn ein Grundschulkind durch die halbe Stadt fahren muss, um zur Schule zu kommen. Ändern können wir diese Situation nur, indem wir neue Schulplätze schaffen. Darauf habe ich von Anfang an einen Schwerpunkt gelegt und Strukturen entscheidend verändert. Früher dauerte es in dieser Stadt acht Jahre eine Schule zu bauen, heute sind es drei.

Es ist wirklich eine unerträgliche Situation, wenn ein Grundschulkind durch die halbe Stadt fahren muss, um zur Schule zu kommen.

Fühlen Sie sich als Aufräum-Oberbürgermeisterin?

Ja. Mir hat in meinem ersten Wahlkampf eine ältere Frau– ich weiß das noch ganz genau – auf dem Neptunplatz in Ehrenfeld gesagt: „In solchen Situationen werden immer Frauen gewählt, Sie brauchen keine Sorge haben.“

Damals, bei Ihrer ersten Pressekonferenz als OB, haben Sie im Museum Ludwig das Thema Kultur in den Vordergrund gerückt. Köln sollte wieder als Kulturmetropole wahrgenommen werden. Nun sind viele Museen geschlossen oder im Interim.

Auch hier gilt: In der Zeit, als ich das Amt antrat, dachte ich, ich wüsste, wie viel in der Stadt im Argen liegt. Aber so war es nicht. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass man jahrzehntelang keine Brücke, keine Straße und kein Museum saniert. Ich räume ein, dass ich das falsch beurteilt habe. Der Instandsetzungsstau ist in Köln – wie übrigens in nahezu allen westdeutschen Städten – immens.

Gibt es auch Hoffnung für den Neumarkt? Ist das ein Platz, den Sie zum Ende ihrer Amtszeit in einem vernünftigen Zustand hinterlassen wollen?

So ist es. Ich werde in diesem Jahr auch eine Vorlage zur Ost-West-Achse einbringen und hoffe, dass die Politik dann zügig die Entscheidung trifft, ob eine U-Bahn oder oberirdisch gebaut wird. Erst dann können dauerhafte, bauliche Maßnahmen erfolgen, da geht es um Fördergelder. Aber wir können auch nicht sagen, wir machen jetzt gar nichts bis dahin. Das wäre eine Zumutung für die Anlieger und diesen zentralen Platz.

Also sollen die Weichen gestellt sein und damit ein Haken dran? Das haben Sie Ende vergangenen Jahres auch zum FC-Trainingsgelände gesagt. Jetzt tut sich da so gar nichts mehr.

Die Verwaltung ist in guten Gesprächen mit dem 1. FC. Aber es ist ein komplexes Thema und benötigt daher auch die entsprechende Zeit.

Wir sind die Stadt mit der Baukultur aus den 1950er Jahren. Das ist mir in den letzten Wochen noch deutlicher geworden.

Dem Club fehlt das Geld. Ist es vorstellbar, dass die Stadt das neue Gelände baut?

Dass wir alles aus öffentlichen Mitteln finanzieren, kann ich mir nicht vorstellen – allein aus beihilferechtlichen Gründen. Ich schätze den FC, er prägt unsere Stadt, aber die Stadt kann nicht den Wirtschaftsbetrieb unterstützen. Wir klären derzeit, was möglich ist. Ich strebe eine zeitnahe Lösung an.

Eine weitere Entscheidung, die aussteht, ist der Klinikverbund. Mannheim und Heidelberg stellen sowas in Baden-Württemberg auf die Beine. Sind Sie frustriert darüber?

Noch nicht. Es dauert sehr lange, aber ich gehe davon aus, dass es bald eine Entscheidung geben wird. Aber wir konnten nicht mehr nur abwarten und haben mit der Zentralisierung der Kliniken in Merheim ein Zukunftsmodell mit der Geschäftsführung entwickelt.

Manche sagen, dass das Land das Thema totgeprüft hat.

Es ist die Frage, was man will. Baden-Württemberg will in der ersten Liga spielen. Wenn wir jetzt als Stadt in unsere Kliniken investieren, können wir sicher auch eine erstklassige medizinische Versorgung insbesondere im Rechtsrheinischen herstellen. Aber den großen Wurf, den der Klinikverbund bedeuten würde, nämlich Köln zu einem europäischen Spitzenstandort für die Lebenswissenschaften zu entwickeln, den kann man nur mit dem Land NRW gemeinsam erreichen. Die Kliniken sind ja nicht nur für Köln da, sondern für die gesamte Region.

Wenn es nicht klappt, wird es eine riesige finanzielle Herausforderung, allein der Bau kostet mindestens rund 600 Millionen Euro. Das riesige Defizit verschwindet nicht über Nacht und kommt finanziell noch on top, dazu die anderen Großprojekte. Ist das zu viel für Köln?

Es ist eine enorme Belastung für den Haushalt. Das ist eben der Preis für eine erstklassige medizinische Versorgung. Bisher haben wir das Glück, dass wir mit unserem Branchenmix stabile Einkünfte aus der Gewerbesteuer haben. Das erlaubt uns den Blick nach vorne und eine wirtschaftliche Entwicklung.

Auch andere Städte haben vergleichbare Probleme. Düsseldorf entwickelt sich dennoch sehr dynamisch. Nun soll ein neues Einkaufszentrum von Stararchitekt Santiago Calatrava entstehen. Fehlt Köln der Mut zum großen Wurf?

Wir sind die Stadt mit der Baukultur aus den 1950er Jahren. Das ist mir in den letzten Wochen noch deutlicher geworden. Vielen Menschen ist es wichtig, diese Baukultur zu erhalten. Wie das Gebäude der Zentralbibliothek sie repräsentiert. Köln und Düsseldorf sind in der Beziehung gar nicht vergleichbar.

Ist das auch Ihre Meinung, dass das alles erhalten bleiben sollte? Oder muss Köln nicht auch mal einen neuen Hingucker bauen?

Das ist Köln ja schon manches Mal gelungen, wie bei den Kranhäusern.

Das ist aber 15 Jahre her.

Ich glaube, dass Köln da ein anderes Selbstbewusstsein hat.

Selbstbewusstsein oder Mutlosigkeit?

Selbstbewusstsein. Wissen Sie, Berlin ist arm, aber sexy – das wissen wir seit Wowereit, Hamburg ist kühl und elegant, München ist bourgeois. Und Köln ist eben vielfältig und herzlich.